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von der Ewigkeit der Welt ebenso verwerfen. Seine Kritik richtet sich allerdings auch gegen die Mutakallimun, da diese jede Ursache und jeden Zweck in der Schöpfung bestreiten.

      Ibn Taymiyya versucht diese beiden Ansätze miteinander zu verbinden, indem er annimmt, dass Gott die Geschöpfe durchaus mit Absicht und Zweck ins Dasein bringt, und zwar durch Seinen unbegrenzten Willen und Macht. Während Ibn Taymiyya die Ewigkeit für jedes erschaffene Wesen ablehnt, erkennt er aber die Ewigkeit der Schöpfung selbst an, nicht im Sinne einer Ursache, sondern der fortgesetzten Schöpfungstätigkeit Gottes.

      Der kosmologische Beweis zeigt bestenfalls die Notwendigkeit einer ersten Ursache (bzw. eines Schöpfers) auf, deren weitere Eigenschaften aber unbestimmt bleiben, so dass in Wirklichkeit kaum von einem Beweis der Existenz Allahs die Rede sein kann. Im Koran hingegen ist die Existenz Allahs in der Erschaffung der konkreten und wahrnehmbaren Entitäten (aʿyān) durch Allah fest gegründet. Ibn Taymiyya betont die Bedeutung der Zeichen (āyāt) Allahs in der Schöpfung. Diese Zeichen können überall in der Natur und im Menschen selbst von jedem ohne große Mühe gefunden, betrachtet und verstanden werden. Im Vergleich dazu ist, so Ibn Taymiyya, der Kalam-Beweis hingegen wie ein mageres Häuflein von Kamelfleisch jenseits eines Berges, der Berg unerreichbar, das Fleisch nicht der Mühe wert (siehe Madschmūʿ fatāwā, 2: 22).

      Das Wissen von der Existenz Allahs stammt Ibn Taymiyya zufolge überdies aus der inneren Natur und Veranlagung des Menschen (fitra). Dieses Wissen macht die Kalam-Beweise überflüssig. Diese können gar nicht wirklich als Beweise für das Dasein Allahs verstanden werden, wenn nicht ein vorausgehendes Wissen um und Glauben an Allah vorausgesetzt wird. Nach Ibn Taymiyya ist die Erkenntnis und Anerkennung Allahs in die Herzen aller Menschen gelegt worden.

      Der Begriff der fitra bezieht sich auf den Koranvers 30: 30, in dem es heißt: »in Übereinstimmung mit der natürlichen Veranlagung (fitra), die Gott den Menschen eingegeben hat (fatara)«. fitra bezeichnet die reine und ursprüngliche Natur und Veranlagung des Menschen. Dazu gibt es auch einen bekannten Hadith, der besagt: »Jedes Kind wird in seiner natürlichen Veranlagung (fitra) geboren; es sind nur seine Eltern, die es später zu einem ›Juden‹ oder ›Christen‹ oder ›Magier‹ machen.« Diese ursprüngliche Veranlagung birgt die intuitive Erkenntnis Allahs und führt somit zum Islam, kann aber auch durch äußere Einflüsse entstellt werden. Einige Denker wie z.B. al-Ghazālī hatten der fitra bereits einige Aufmerksamkeit geschenkt, aber erst Ibn Taymiyya maß ihr eine wirklich zentrale Bedeutung bei.

      Ibn Taymiyya hat im Gegensatz zum Kalam stets die enge Beziehung von Glauben und Handeln betont, die eine Verbindung zwischen der wahrnehmbaren und der verborgenen Welt herstellt. Es ist kein Zufall, dass die Propheten ihren Ruf zur Religion mit dem Dienst an und der Liebe zu Allah begannen und eben nicht mit »rationalen Beweisen«. Die Wurzeln des Glaubens liegen in der Anerkennung der Grundlagen der Religion, die einhergeht mit der Verpflichtung zur Befolgung der sich daraus ergebenden Gebote in allen Belangen des täglichen Lebens.

      Ein weiteres Beispiel für den Unterschied zwischen der koranischen und der Kalam-Methode ist die Behandlung der leiblichen Auferstehung. Während die Mutakallimun die theoretische Möglichkeit der Auferstehung zu beweisen versuchen, vergleicht der Koran sie mit dem Schöpfungsakt, um so an ihrer Möglichkeit und Wirklichkeit keinen Zweifel zu lassen.

      Ibn Taymiyya übt auch Kritik an der Position des Aschʿarismus hinsichtlich der Handlungen Gottes, der es vermeidet, diese, wie etwa das Erschaffen (khalq) oder das Gewähren von Versorgung (tawdhīh ar-rizq), mit einem höheren Grund (ʿilla), Zweck oder Weisheit (hikma) zu verbinden. Die Aschʿariten befürchteten dadurch den Willen und die Macht Gottes unzulässig einzuschränken. Sie nahmen außerdem an, dass eine erschaffene Ursache zu einem infiniten Regress (tasalsul) führen müsse. Im Gegensatz dazu gingen wiederum die muslimischen Philosophen davon aus, dass Gott als erste Ursache die Kette von sekundären Ursachen anstößt, die sodann ihren determinierten und notwendigen Verlauf nehmen.

      Nach Ibn Taymiyya ist hingegen das Handeln Allahs durch Weisheit bestimmt und steht im Einklang mit Seinen Zielen und Zwecken, wodurch Sein Willen und Seine Macht keineswegs eingeschränkt werden. Ibn Taymiyya strebt danach, ein alternatives Modell zum Okkasionalismus der Aschʿariten wie auch zum Determinismus der falāsifa zu entwickeln.

      Darüber hinaus kritisiert Ibn Taymiyya die aschʿaritische Theorie des menschlichen Handelns, nach der Gott die menschlichen Handlungen erschafft, wobei der Mensch seine Handlungen lediglich erwirbt (kasb), was Ibn Taymiyya gleichwohl als – wenn auch modifizierten – Determinismus erachtet. So stimmen die beiden scheinbar gegensätzlichen Positionen der Aschʿariten und falāsifa doch letztlich in der Frage des Determinismus und der Verwerfung der menschlichen Handlungsfreiheit überein.

      Für Ibn Taymiyya hingegen sind die Menschen die wirklichen Täter ihrer Handlungen im vollen Sinne, ausgestattet mit Willens- und Handlungsfreiheit. Der wichtigste Grund für diese Konzeption, der von Ibn Taymiyya immer wieder betont wird, ist darin zu finden, dass sonst die Offenbarung samt ihrer Gebote und Verheißungen witzlos wäre. Darauf geht Özervarli aber nicht mehr näher ein.

      Özervarlis Schlussbemerkung bringt keine wesentlichen neuen Punkte. Es sei nur noch darauf hingewiesen, in welchen Denkern er Nachfolger von Ibn Taymiyya sieht: Ibn Qayyim al-Dschawziyya (gest. 751/1350), Ibn al-Wazīr (gest. 840/1436, Jemen) Muhammad asch-Schawkānī (1760-1834, Jemen), Muhammad Iqbal (1876-1938, Indien). Und vor allem sieht er unter modernen muslimischen Denkern den wahren Erben von Ibn Taymiyyas traditionalistischem Rationalismus in Musa Dscharullah Bigiev (1875-1949, Kazan).

      Die zuletzt angerissenen Themen können als Ausblicke verstanden werden, die einer näheren und ausführlichen Behandlung bedürfen. Özervarli selbst ist in einem Aufsatz der Frage der fitra nachgegangen, in dessen Titel das Thema folgendermaßen bezeichnet wird: Göttliche Weisheit, menschliches Handeln und die fitra in Ibn Taymiyyas Denken.9

      1 M. Sait Özervarli, The Qur’anic Rational Theology of Ibn Taymiyya and his Criticism of the Mutakallimun, in: Yossef Rapoport and Shahab Ahmed (Hg.), Ibn Taymiyya and His Times, Oxford: OUP, 2011, S. 78-100.

      2 Siehe Yossef Rapoport and Shahab Ahmed (Hg.), Ibn Taymiyya and His Times, Oxford: OUP, 2011.

      3 Siehe Ibn Taymiyya, Madschmūʿ fatāwa schaykh al-islām Ahmad ibn Taymiyya, Hg. ʿAbd ar-Rahman b. Muhammad b. Qasim und Muhammad b. ʿAbd ar-Rahman b. Muhammad, Beirut: Dar ʿAlam al-Kutub, 1983, 3: 339.

      4 M. Sait Özervarli problematisiert den Begriff der Theologie nicht, daher sei hier ebenfalls davon abgesehen.

      5 Diese wie auch die folgenden Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf: M. Sait Özervarli, The Qur’anic Rational Theology of Ibn Taymiyya and his Criticism of the Mutakallimun, in: Yossef Rapoport and Shahab Ahmed (Hg.), Ibn Taymiyya and His Times, Oxford 2011 (OUP), S. 78-100.

      6 Ibn Taymiyya, Darʾ taʿaruḍ al-ʿaql wa-n-naql aw muwāfaqat ṣaḥīḥ al-manqūl li-ṣarīḥ al-maʿqūl, Hg. M. R. Sālim, 11 Bände, Riyadh: Dār al-Kunūz al-Adabiyya, 1979.

      7 Siehe Muhammad Asad, Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar, Aus dem Englischen übersetzt von Ahmad von Denffer und Yusuf Kuhn, Düsseldorf, 2009.

      8 Siehe Koran 3: 7 in der Übersetzung von Muhammad Asad: »Er ist es, der dir von droben diese göttliche Schrift erteilt hat, Botschaften enthaltend, die klar in und durch sich selbst sind, – und diese sind die Essenz der göttlichen Schrift – wie auch andere, die allegorisch sind. Nun gehen jene, deren Herzen zum Abweichen von der Wahrheit geneigt sind, demjenigen Teil der göttlichen Schrift nach, der in allegorischer Weise ausgedrückt worden ist, suchen aus (was bestimmt) Verwirrung (erzeugt) und suchen seine endgültige Bedeutung (auf willkürliche Weise zu erlangen); aber keiner außer Gott kennt seine endgültige Bedeutung. Darum sagen jene, die tief im Wissen verwurzelt sind: "Wir glauben daran; das Ganze (der göttlichen Schrift) ist von unserem Erhalter – wiewohl sich dies keiner zu Herzen nimmt außer jenen, die mit Einsicht versehen sind.« (Siehe Muhammad Asad, Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar, Aus dem Englischen übersetzt

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