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68er Student. Torsten Ewert
Читать онлайн.Название 68er Student
Год выпуска 0
isbn 9783347048287
Автор произведения Torsten Ewert
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Rilke, daraufhin angesprochen, zuckte nur gleichgültig mit den Schultern, „so etwas kann passieren“.
Sich mit dem Gegebenen abzufinden, war auch die Denkweise von Lupo, Peters strohblonder Mitbewohner am Ende des Wohnflures, dessen gescheiteltes Haupthaar weit in die Stirn eines länglichen und knochigen Gesichts fiel und mit einer Handbewegung weggewischt werden konnte. Warum sich aufregen, Tatsachen hinterfragen, wenn sich doch nichts ändern ließ? Von seinem Rufnamen, wer auch immer ihn erdacht haben mochte, wusste er stolz zu erzählen, dass er sich vom lateinischen lupos ableitete und ihn berechtigte, sich als Leitwolf einer Mannschaft verwegener Möbelpacker anzusehen, die mit grüngelb lackierten Kleinlastern, versehen mit dem Schriftzug ihres Besitzers Rilke, im Transportgeschäft ihrer Arbeit nachging.
Leidenschaftlich gern kochte Lupo für alle und soff dabei bis der Rausch ihn niederzwang. Diesen schlief er anschließend in seinem Zimmer aus, das außer dem Gerichtsvollzieher, vor dem er den Fernseher versteckte – er besaß sonst nichts von Wert, kein – Fremder je betreten hatte. Stark, wie er war, galt seine Vorliebe Klaviertransporten, und selten wurde er in der Hoffnung betrogen, dass sich mit jedem erklommenem Stockwerk das Trinkgeld, von ihm genussvoll Schmalz genannt, jeweils erhöhte. Entsprechend glänzten seine triefblauen Augen.
Bei Umzügen wurde der fremde Fernseher von ihm solange in Verwahrung genommen, bis die Rechnung beglichen war.
Als einziger besaß er keinen Führerschein. Schweinebacke, der weitere Mitbewohner im Flur, war sein Fahrer. Sich seines Spitznamens zu erwehren, hatte dieser aufgegeben, auch im Hinblick darauf, dass er in gewisser Weise zutraf.
„Gut, dass du kommst, kannst heute Nacht mit mir auf Zeitungstour gehen. Ab drei Uhr zwei Stunden Zeitungspacken verteilen, Schweinebacke ist ausgefallen, Lohn wie üblich.”
„Dann leg ich mich noch ein Stündchen aufs Ohr. Weck mich.”
Wenig später erfolgte ein knochenhartes Anklopfen. „Los geht’s.” Das Stimmengewirr und Motorengebrumm vom Hof war unüberhörbar.
Drei Lkw fuhren Kolonne. Peter am Steuer des letzten wieder hellwach nach dem starken Kaffee, den Lupo gekocht hatte, der sich sichtlich vergnügt auf dem Beifahrersitz räkelte und fahrlehrerhaft nervte: „Rechts, links abbiegen, geradeaus, bremsen, Gas geben, grüner wird’s nicht. Pass auf. Halt Kontakt.”
Allmählich interessierte es Peter wohin die Fahrt ging.
„Kochstraße, Zeitungsviertel.”
„Springer? Kenne sonst keinen Verlag dort.” Und tatsächlich, in der Stadtbrache Kreuzbergs tauchte das höhnisch herausfordernde Hochhaus an der Berliner Mauer mit langgezogenem, hellerleuchtetem, hochmodernem Druckereigebäude auf.
„Fahr die Einfahrt runter und zwischen den hohen Zäunen hindurch”, kommandierte Lupo.
„Bist du eigentlich verrückt, mich hierher mitzunehmen? Springerverlag, in den Augen der Studenten das Böse schlechthin!”
„Stell dich nicht so an, tust mir einen Gefallen, Sippenhaftung.”
Eingeklemmt zwischen anderen LKW, im gleißenden Scheinwerferlicht, luden sie an der Rampe Stapel der gebündelten Sonntagszeitung auf. Knappe Zurufe erfolgten. Die Packen flogen auf die Pritsche. Lupo richtete ein Verteilsystem ein, schloss die Plane und sprang wieder auf den Beifahrersitz. Abfahrt, erneut zwischen hohen Zäunen hindurch auf die Straße. Die Scheinwerfer fraßen sich durch die Nacht. Im Zickzack ging’s durch die Stadt: Kreuzberg, hoch in den Wedding, Halt an Kiosken, Restaurants, Hotels, Einkaufshallen, und jeweils ein, zwei oder mehrere Bündel flogen vor die Eingangstüren. Mit der Geschicklichkeit eines Affen vollführte Lupo sein Werk.
„Fertig, geschafft, nach Hause.”
„Wenn wir den ganzen Kladderadatsch in die Spree geschmissen hätten, meine linken Freunde hätten gejubelt, und ich wäre in ihrer Achtung gestiegen.”
„Dafür gibt’s kein Geld, und du hättest Ärger bekommen.”
„Kein zweites Mal, das Geld kannst du behalten. Koch lieber ein paarmal für mich, muss mich im Spiegel wiedererkennen.”
„Rilke und wir müssen überleben, der Transport ist unser Geschäft. Du brauchst das Blatt ja nicht zu lesen, dafür tun’s Millionen, und die können gar nicht so unrecht haben. Nur ihr spielt euch auf.”
„Wir machen auf die Volksverdummung aufmerksam.”
„Seid froh, dass ihr was lernen und studieren könnt, derweil wir für euch arbeiten. Ich bin mit meinem Leben zufrieden.”
Peter gab auf, ließ den Wagen auf dem Hof ausrollen. Die anderen waren schon da, jeder mit einer Flasche Bier in der Hand. Zigarettenrauch umhüllte müde Augen.
„Schnapp dir den Nuckel, du Buckel, Schlummertrunk.”
„Die leere Flasche eignet sich gut zum Molotowcocktail.”
„Zu spät.”
Wie ein Stein schlief Peter bis weit in den Nachmittag hinein.
Als der Sonnenstrahl durch die schräge Dachluke wie ein weißsilbriger Balken voll Millionen kleinster Staubpartikel die leichte Düsternis erhellte und sein Gesicht traf, stand er auf. Ein Bad täte ihm gut, gab’s leider nicht, das Stadtbad war nur wochentags geöffnet, eine Waschschüssel der Notanker.
Unten in der Küche rumorte Lupo, scheuerte Töpfe. Gulasch hatte es gegeben, der Geruch war entsprechend.
„Die anderen sind ausgeflogen, Kaffee ist noch im Pott. Das Marmeladenbrot kannste selber schmieren. Prost.”
Er wedelte mit der halbleeren Bierflasche. Seiner Haltung nach nicht die erste.
Ausgemergelt sah er aus. Von dem viel zu langen Gürtel, den er stramm um die Hüfte geschnürt hatte, damit die zu große Hose nicht rutschte, hing das eine Ende verloren hinunter. Immer wieder griff er an den Hosenbund und zog ihn nach oben.
„Soldaten kennen ihre Pflicht, gehorchen, Tag und Nacht. Ich hau mich jetzt aufs Ohr”, ein stierer Blick, dann wankte er davon, um den Rest des Tages zu verschlafen, anschließend Fernsehen, bis er wieder einschlief.
Rosi und Rosa
Der Gedanke an ein Bier und die Hoffnung auf ein Gespräch waren für Peter Grund genug, das Wuppke anzusteuern. Tatsächlich, seine Überraschung war riesengroß, begrüßte ihn mit stürmischer Begeisterung Rosi und sprudelte los: „Claudia und ich leben zusammen. Dieses Wochenende ist sie zu ihren "Eltern nach Westdeutschland gefahren. Sie ist nicht so draufgängerisch wie ich, deshalb habe ich die Situation genutzt, etwas in geschichtlicher Anlehnung allein zu unternehmen, nicht ganz allein, sondern mit dir.”
Ein verschmitztes Lachen forderte ihn heraus, sie freute sich an seiner Verunsicherung.
„Du erinnerst dich, wir sprachen über Rosa Luxemburg.”
„Eine äußerst intelligente Revolutionärin mit dem Ausspruch Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“
„Ja, und du zeigst mir den Ort ihres Todes. Ich liebe das abgründig Gruselige, bekomme dann eine Gänsehaut, dann erlebe ich die aufkommende hämmernde Angst, aber auch sofort den unbändigen Willen, mich mit aller Kraft zu behaupten und dem momentan Unabänderlichen zu begegnen. Dann wachse ich über mich selber hinaus, wie ich es früher in der Schule denen bewiesen habe, die mich einschüchtern wollten. Deswegen werde ich auch zu Demonstrationen gehen, engagiert mitmachen, dabei sein. Ich liebe die Revolution, so wie Rosa. Lediglich Claudia bremst mich und meint, dass ich spinne und mich allenfalls zu meinem