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auch in Jever zu sowas herangezogen wurde.) Am Ende des Grundstücks hatte es früher mal einen Maschendrahtzaun gegeben und dahinter einen Bauernhof, und man hatte die Schweine mit Fallobst füttern können. Die waren ganz versessen darauf gewesen. In ihrer Freßgier hatten sie gequiekt und sich um jeden einzelnen Appel gebalgt, auch wenn er schon schimmelig und braun gewesen war, mit Wurmlöchern und weißem Pilzbewuchs.

      Der Bauer hatte seinen Hof irgendwann verkauft, und jetzt war leider keine Sau mehr da.

      Gegen Bayern trat Real Madrid diesmal mit Breitner an, und der wurde von den Bayern-Fans gnadenlos ausgepfiffen. Gerd Müller sorgte mit seinen Toren für einen 2:0-Sieg, und dann kamen noch Ausschnitte aus den anderen Spielen, aber die erwiesen sich, wie Gustav sich ausdrückte, als »weniger erquicklich«. Aus den europäischen Vereinswettbewerben schieden Eintracht Frankfurt und der HSV nach ihren Niederlagen aus.

      »Da beißt die Maus keinen Faden ab«, sagte Gustav, und dann ging er pullern, ziemlich lange und laut, denn er hatte sechs Flaschen Bier getrunken.

      Oma war am Abtrocknen, und im Küchenradio lief ein Hit dieser schwedischen Trallala-Band, mit der ich mich nicht anfreunden konnte.

       Knowing me, knowing you (ah-haa)

       There is nothing we can do …

      Gustav erlaubte mir, seine Bücher zu lesen. Er besaß unter anderem »Alle meine Tore« von Uwe Seeler, eine Chronik der amerikanischen Präsidenten, und auch ein Buch über die Beatles, aber das hatte er selbst nicht bis zu Ende gelesen: Es tangiere ihn, wie er sagte, nur peripher, ob sich die Beatles die Zähne mit Blendamed oder Colgate putzten, dem Doppel-Stopper gegen Mundgeruch.

      Das Nachschlagewerk »Das treffende Zitat« war nach Stichworten geordnet.

       Das jüdische Volk wagt einen unversöhnlichen Haß gegen alle Völker zur Schau zu tragen, es empört sich gegen alle seine Meister; immer abergläubisch, immer gierig nach dem Gute anderer, immer barbarisch –, kriechend im Unglück und frech im Glück.

      Ein Zitat von Voltaire. Ob das Buch aus der Nazizeit stammte? Nein, das war eine Neuauflage aus dem Jahr 1974, und Gustav verriet mir, daß auch Oma keine wind- und wetterfeste Demokratin sei. Wenn er mir das hier einmal stecken dürfe. Die habe zum Beispiel was gegen Hänschen Rosenthal, diesen hopsenden Fernsehfritzen, weil das ein Jude sei. Bei dessen Sendung Dalli-Dalli habe Oma mal gesagt: »Geh mir weg mit diesem Itzig!«

      Eines Morgens machte Omas Herz Theater, und sie mußte zu Tante Doktor. Von der verschriebenen Medizin fühlte Oma sich schlagartig aufgemöbelt, aber was einfach nicht weichen wollte, trotz Tante Doktors Behandlung, war Opas ewiger Husten. Wenn Opa sich morgens im Badezimmer mit elektrischem Gebrumm rasierte, konnte man das Gehuste und Geröchel gut bis in die Küche hören. Das waren die Salven, die jeden Morgen ertönten, während Oma den Frühstückstisch deckte. Brettchen, Tassen, Butterdose, Teelöffel, Messer, Marmeladengläser und Kandiszuckertopf.

      »Vati hat wieder seinen ollen Pferdehusten«, sagte Oma dann.

      Als im Radio ein Bericht darüber kam, daß irgendwelche kubanischen Söldner in Angola gelandet seien, um dort den Frieden zu sichern, kuckte Opa mich böse an und rief: »Waffen! Was haben denn Waffen mit Frieden zu tun?«

      Opa hatte einen Rochus auf die Kubaner, aber was da wirklich los war in Angola, zwischen Russen, Amis, Angolanern und Kubanern, das entzog sich meiner Kenntnis.

      Vorm Einschlafen las ich in Gustavs alten Fußballbüchern. Wie Helmut Rahn 1954 den Siegtreffer im WM-Endspiel erzielt hatte, aus der Sicht von Fritz Walter:

       Der Ball flitzt knapp am Pfosten vorbei in den Kasten und auf der anderen Seite schon wieder heraus, so unheimlich schnell ist seine Fahrt. Der Schiedsrichter pfeift …

      Oder Uwe Seelers Memoiren: »Der Lütte muß in einen Kindergarten«, hatte Seelers Mutter eines Tages gesagt, »er wird zu wild. Er hat jetzt schon nichts mehr im Kopf als nur noch Fußballspielen!«

      Friede sei mit dir, o Frau Seeler.

      Mama rief an und sagte mir, daß ich mich als Konfirmand am Karfreitag ruhig auch mal in Jever in der Kirche blicken lassen könne. Das sah auch Oma so, und wir gingen zusammen hin.

      Die Stadtkirche war 1959 abgebrannt, weil da wohl ein Bauarbeiter im Dachstuhl seine Zigarette nicht richtig ausgedrückt hatte. Vor den Flammen gerettet worden war das Edo-Wiemken-Diekmal, das man jetzt noch in der Kirche bekucken konnte. Das stand hinter einer Glaswand. Ein riesiges geschnitztes Dingens aus dem sechzehnten Jahrhundert, zur Erinnerung an Edo Wiemken, den letzten Häuptling des Jeverlands.

      Der Kirche war größer und lichter als die in Meppen, aber das Gesinge hörte sich nicht viel besser an als in der Gustav-Adolf-Kirche.

       Wenn ich einmal soll scheiden,

       so scheide nicht von mir!

      Für die Kollekte steckte Oma mir zwei Groschen zu, und sie hielt Ausschau nach Bekannten und entdeckte auch so einige: Frau Mammen, Frau Petersen, Frau Pfaff, Frau Börger, Herrn Kammrath, Frau Dingsbums und Herrn Sowieso. Alte Freunde der Familie, die hier schon zu Kaiser Wilhelms Zeiten zur Gemeinde gehört hatten und jetzt auf Krückstöcke und künstliche Hörhilfen angewiesen waren.

      Am Nachmittag fuhren wir allemann mit Tante Gisela im Auto ins Wangerland, nach Ziallerns, ein sogenanntes Wurtendorf mit krähenden Hähnen, blühenden Osterglocken und einer angeblich niemals versiegenden Süßwasserquelle. Durch die Gärten streunten goldgelbe und schwarze Katzen.

      Das müsse man mal gesehen haben, sagte Oma, und Opa sagte, eine Wurt sei eine künstliche Erhöhung aus Kuhmist und Marschenklei. Die hätten die Bewohner hier schon vor Jahrhunderten errichten müssen, als der Meeresspiegel angestiegen war, sonst hätten sie sich nasse Füße geholt.

      Wir gingen einmal rundherum und fuhren dann wieder nachhause.

      Am 28. Spieltag fegte Gladbach Karlsruhe mit 4:0 vom Platz. Und Klaus Fischer hatte schon wieder zwei Tore geschossen.

      Für die Eiersucherei am Ostersonntagmorgen fühlte ich mich eine Spur zu alt, aber ich tat Oma und Opa den Gefallen, ihnen vorzugaukeln, daß ich es ganz toll fände, im Garten schlecht versteckte Ostereier aufzuspüren. Die ersten drei fraß ich nach dem Pellen auf einen Satz auf und bekam plötzlich keine Luft mehr. Gustav klopfte mir auf den Rücken, und Opa schüttelte den Kopf.

      Die nächste Autoreise führte uns zum Knyphauser Wald bei Rispel, einem Örtchen in der Nähe von Wittmund. Fichten gab es da zu sehen, Birken, Buchen, Wassergräben und einen voluminösen See, aber der Knyphauser Wald war nicht so der Bringer. Bis auf den See hätte ich das alles auch in Meppen haben können.

      Papa kam mit Renate und Wiebke, um mich wieder abzuholen. Sie hatten mir einen Brief von Michael mitgebracht.

       Hallihallo!

       Ferien! Endlich Zeit, Dir den angekündigten langen Brief zu schreiben. Vorher war zuviel los: Klassenarbeiten, Hausaufgaben, Pauken … na, das hat ja jetzt alles ein Ende, zumindest für kurze Zeit. Aber wenn ich ehrlich bin … eigentlich war es gar nicht die Schule, die mich so beansprucht hat, sondern mein neuer Elektronikbaukasten. Auf der Verpackung stand ganz groß drauf: Hieraus kann man ein Radio bauen. Zwar nicht wörtlich, aber sinngemäß. Also fing ich gleich an meinem Geburtstag zu basteln an. Ich dachte, das sei so wie bei ’nem Modellflugzeug: Man setzt sich hin, legt alle Teile zurecht und baut sie dann einfach zusammen. Von wegen! Da mußten erstmal Versuche gestartet werden mit Parallelschaltungen, Wechselschaltungen, Wasserstandsmeldern und all so ’nem Zeugs, was nicht das Geringste mit ’nem Radio zu tun hat. Und weil wir (meine lieben Brüder natürlich auch) alles ganz richtig machen wollten, haben wir diesen ganzen Dreck auch zusammengefrickelt. Nach ein bis zwei Wochen war es dann endlich soweit: In dem Anleitungsbuch kam die Aufbauschaltung für ein Mittelwellenradio. Ich schloß mich in meinem Zimmer ein (das wollte ich ganz alleine machen) und fing an. Mensch, war das ein Kuddelmuddel aus Drähten, Widerständen, Kondensatoren und anderen

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