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mir sofort, wo ich den Kobold finde!«

      Die Katze ließ sich mit der Antwort Zeit. Sie setzte sich, ringelte hübsch ihren Schwanz vor den Beinen und starrte den Jungen an. Sie war groß und schwarz und hatte einen weißen Fleck auf der Brust, ihr glattes Fell glänzte im Sonnenschein. Die Krallen hatte sie eingezogen, und ihre Augen waren vollkommen grau, bis auf einen kleinen, schmalen Spalt in der Mitte. Die Katze sah aus, als wollte sie keinem ein Härchen krümmen.

      »Wo der Kobold wohnt, weiß ich wohl«, sagte sie mit sanfter Stimme, »aber das heißt nicht, dass ich es dir erzählen will.«

      »Liebe Mieze, du musst mir helfen«, sagte der Junge. »Siehst du denn nicht, wie er mich verzaubert hat?«

      Die Katze öffnete ein wenig die Augen und ließ darin die grüne Bosheit glitzern, sie schnurrte vor Wohlbehagen. »Soll ich dir vielleicht dafür helfen, dass du mich so oft am Schwanz gezogen hast?«, sagte sie.

      Da wurde der Junge wütend und vergaß völlig, wie klein und machtlos er jetzt war. »Ich kann dich gleich noch mal am Schwanz ziehen«, sagte er und stürzte auf die Katze los.

      Die war im nächsten Augenblick so verändert, dass der Junge sie kaum für dasselbe Tier halten konnte. Jedes Haar ihres Fells war gesträubt. Der Rücken hatte sich gekrümmt, die Beine waren länger geworden, die Krallen kratzten in der Erde, der Schwanz war nun kurz und dick, die Ohren legten sich zurück. Sie fauchte, und ihre weitaufgerissenen Augen leuchteten von rotem Feuer.

      Der Junge wollte sich von einer Katze nicht erschrecken lassen und ging einen weiteren Schritt auf sie zu. Da aber machte die Katze einen Satz, stürzte sich auf ihn, warf ihn zu Boden, setzte ihm die Vorderpfoten auf die Brust und riss den Rachen auf, direkt über seiner Kehle.

      Als der Junge spürte, wie die Krallen durch Weste und Hemd in seine Haut eindrangen und wie die scharfen Eckzähne seine Kehle kitzelten, schrie er aus Leibeskräften um Hilfe.

      Doch niemand kam, und er war fest davon überzeugt, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Da merkte er, dass die Katze die Krallen einzog und seine Kehle freigab.

      »So«, sagte sie, »jetzt mag es genug sein. Der Herrin zuliebe will ich dich für diesmal laufen lassen. Ich wollte dir nur zeigen, wer von uns beiden jetzt die Macht hat.«

      Damit ging die Katze ihrer Wege und sah genauso fromm und sanftmütig aus, wie sie gekommen war. Der Junge brachte vor Scham kein Wort heraus und lief schnell zum Kuhstall.

      Dort standen nicht mehr als drei Kühe. Doch als der Junge eintrat, gab es ein Muhen und Brüllen, dass man hätte glauben können, es wären mindestens dreißig.

      »Muh, muh, muh«, brüllte Mairose, »wie gut, dass es Gerechtigkeit auf der Welt gibt.«

      »Muh, muh, muh«, brüllten sie alle drei. Sie schrien derart durcheinander, dass der Junge ihre Worte nicht verstand.

      Die Kühe waren so aufgebracht, dass sich der Junge nicht vernehmlich machen und nach dem Kobold fragen konnte. Sie führten sich auf, als hätte er wieder einmal einen fremden Hund in ihren Stall gelassen. Sie schlugen mit den Hinterbeinen, rüttelten an ihren Halsketten und stießen mit den Hörnern.

      »Komm nur her«, sagte Mairose, »dann sollst du einen Stoß kriegen, an den du lange denken wirst!«

      »Komm her«, sagte Gold-Lilie, »dann sollst du mal auf meinen Hörnern tanzen!«

      »Komm her, dann sollst du spüren, wie es schmeckte, als du mich letzten Sommer mit deinen Holzschuhen beworfen hast!«, brüllte Stern.

      »Komm her, dann will ich dir die Wespe heimzahlen, die du mir ins Ohr gesteckt hast!«, schrie Gold-Lilie.

      Mairose, die Älteste und Klügste von ihnen, war am zornigsten. »Komm her«, rief sie, »damit ich Vergeltung an dir üben kann, weil du deiner Mutter so oft den Melkschemel weggezogen hast, und Vergeltung für all die Tränen, die sie deinetwegen hier vergießen musste!«

      Der Junge wollte den Kühen sagen, wie sehr es ihm leidtue, dass er sie so hässlich behandelt hatte. Aber sie hörten ihm gar nicht zu. Sie brüllten derart, dass er es für am besten hielt, still aus dem Kuhstall zu verschwinden.

      Als er hinaus ins Freie kam, war er sehr niedergeschlagen. Er wusste nun, dass ihm niemand auf dem Hof helfen würde.

      Er kletterte auf die breite Steineinfriedung, die das Gehöft umschloss. Dort setzte er sich nieder und dachte über die Folgen nach, wenn er nicht wieder Mensch werden könnte. Vater und Mutter würden sich bei ihrer Heimkehr vom Kirchgang aber wundern! Ja, im ganzen Land würde man sich wundern, und die Leute aus Ost-Vämmenhög und aus Torp und aus Skurup würden kommen, um ihn zu besichtigen.

      Er fühlte sich ganz furchtbar unglücklich. So unglücklich wie er war niemand auf der ganzen Welt. Er war kein Mensch mehr, sondern ein Scheusal.

      Allmählich wurde ihm bewusst, was es bedeutete, kein Mensch mehr zu sein. Von allem war er jetzt ausgeschlossen: Er konnte nicht mehr mit anderen Jungen spielen, er konnte nicht die Kate der Eltern übernehmen, und ein Mädchen heiraten konnte er schon gar nicht.

      Da saß er nun und betrachtete sein Heim. Es war ein kleines, weißgetünchtes Fachwerkhaus, unter dem hohen, steilen Strohdach wie in den Boden gedrückt. Auch die Wirtschaftsgebäude waren klein, und die Äcker waren so schmal, dass sich ein Pferd kaum darauf herumdrehen konnte. Doch so winzig und ärmlich das Anwesen auch war, für ihn war es jetzt noch viel zu gut. Eine bessere Wohnung als ein Loch unter dem Stallboden konnte er nicht verlangen.

      Noch nie hatte er den Himmel so blau gesehen wie an diesem Tag. Und Zugvögel kamen geflogen. Sie waren über die Ostsee gereist, hatten Smygehuk angesteuert und zogen nun weiter nach Norden. Sicher waren es viele verschiedene Vogelarten, er konnte jedoch nur die Wildgänse erkennen, deren Flugordnung einem Schneepflug glich.

      Mehrere solcher Scharen waren schon vorbeigezogen. Obwohl sie in großer Höhe flogen, hörte er trotzdem, wie sie schrien: »Jetzt geht’s in die Berge! Jetzt geht’s in die Berge!«

      Als die Wildgänse die Hausgänse erblickten, die auf dem Hof herumliefen, näherten sie sich dem Boden und riefen: »Kommt mit! Kommt mit! Jetzt geht’s in die Berge!«

      Die Hausgänse hoben unwillkürlich die Köpfe und lauschten. Doch sie antworteten sehr vernünftig: »Wir haben es gut hier. Wir haben es gut hier.«

      Wie gesagt, es war ein wunderschöner Tag, und die Luft war so frisch und leicht, dass es eine wahre Freude sein musste, darin zu fliegen. Und bei jeder neuen Wildgänseschar, die vorüberflog, wurden die zahmen Gänse unruhiger. Sie flatterten ein paarmal mit den Flügeln, als hätten sie Lust, den anderen zu folgen. Doch eine alte Gänsemutter ermahnte sie stets: »Jetzt seid nicht verrückt! Die da oben müssen hungern und frieren.«

      Auf dem Hof war ein junger Gänserich, den bei den Rufen der Wildgänse eine richtige Reiselust ergriffen hatte. »Wenn noch eine Schar kommt, dann fliege ich mit«, sagte er.

      Als nun die nächsten Wildgänse auftauchten und wie die anderen schrien, antwortete er: »Wartet! Wartet! Ich komme.«

      Er breitete die Flügel aus und erhob sich in die Luft, aber er war das Fliegen so wenig gewöhnt, dass er gleich wieder zu Boden fiel.

      Die Wildgänse mussten seine Worte trotzdem gehört haben. Sie kehrten um und flogen langsam zurück, um zu sehen, ob er tatsächlich käme.

      »Wartet! Wartet!«, rief er und machte einen zweiten Versuch.

      Der Junge, der auf der Steineinfriedung lag, hörte alles mit an. »Wenn der große Gänserich wirklich davonfliegt, das wäre jammerschade«, dachte er. »Vater und Mutter werden sich grämen, wenn der Gänserich bei ihrer Heimkehr verschwunden ist.«

      Wieder vergaß er, dass er jetzt klein und machtlos war. Er sprang mitten in die Schar der Gänse und umklammerte den Hals des Gänserichs mit seinen Armen. »Das lass mal schön bleiben, du fliegst nicht weg, du!«, rief er.

      Doch genau in diesem Moment hatte der Gänserich herausgefunden, wie er es anstellen musste, um vom Boden

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