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nicht wirklich. Hier läuft einer durch die Gegend, der seit zwei Jahren tot ist.“

      „Aha. Und was habe ich damit zu tun?“

      „Na, Übernatürliches ist doch dein Gebiet.“

      „Übernatürliches? Ben, du redest nicht etwa davon, dass da einer durch die Gegend läuft, der wirklich tot ist?“

      „Doch, genau davon rede ich. Ich bin auf dem Friedhof in Newvil, weil der Friedhofswärter uns angerufen hat. Er sah eine verdächtige, nackte Gestalt herumlungern, als er sie zur Rede stellen wollte, hat sie ihn weggestoßen, dann ist sie weggerannt. Der Wärter hat seine Spur zurückverfolgt und kam zu der Gruft der Burtons. Sie ist offen, einer der Särge ebenfalls. Und leer ist der auch noch.“

      „Und woraus schließt du auf Übernatürliches?“

      „Der Wärter behauptet, er hätte den Nackten erkannt. Er hat ihn bei der Aufbahrung vor zwei Jahren im Sarg liegen sehen. Einer der Toten des Massenunfalls vom 3.9.2005. Ich weiß nicht, ob du dich an den Nebel erinnerst, der an dem Tag die ganze Stadt bedeckt hat.“

      „Schwach“, erwidere ich nachdenklich. „Glaubst du ihm?“

      „Jedenfalls ist die Leiche weg. Und er will einem nackten Mann begegnet sein, der aussah wie der Tote. Hinzu kommt, dass es keine Einbruchsspuren in der Gruft gibt. Im Gegenteil, es sieht so aus, als wäre sie von innen aufgebrochen worden.“

      „Ups. Hör zu, Ben, ich habe noch nie von herumirrenden Leichen gehört, das wäre selbst für mich neu.“

      „Hältst du es für ausgeschlossen?“

      „Machst du Witze? Ich halte gar nichts mehr für ausgeschlossen.“

      „Ich auch nicht. Also, kommst du?“

      „Ja“, antworte ich unbegeistert. Wieso muss James immer recht behalten?

      Ich ziehe meine Jacke an und fahre mit dem Aufzug in die Tiefgarage. Es stehen nur noch wenige Autos da, unter anderem meins. Auf dem kurzen Weg vom Aufzug zum Auto spüre ich die Kälte, die von draußen kommt.

      Während der Fahrt zum Friedhof rufe ich James an.

      „Hunger“, sagt er. „Wie ich höre, bist du schon auf dem Weg. Und weil du anrufst, bist du nicht auf dem Weg zu uns.“

      „Ich muss eine Leiche einfangen.“

      „Eine was?“

      „Eine Leiche.“

      „Einfangen?“ Okay, James ist erschüttert. Zumindest für seine Verhältnisse.

      „Da läuft ein Toter herum und ich soll ihn einfangen.“

      „Du redest von einem, der richtig tot ist?“

      „Zumindest war er es angeblich. Etwas über zwei Jahre lang. Und jetzt läuft er durch die Gegend.“

      „Klingt gruselig. Und wo fährst du jetzt hin?“

      „Zum Newviller Friedhof.“

      „Oh, wie stimmungsvoll. Oktober, abends im Dunkeln. Das passt ja gut. Bist du sicher, dass dich da nicht jemand verarschen will?“

      „Das traue ich Ben nicht zu.“

      „Also hat er dich angerufen. Schade, das macht die Sache ernst. Weck mich, wenn du nach Hause kommst, ich bin neugierig.“

      „Äh, sag mal …!“ Ich atme tief durch. „Ja, ist gut.“

      „Dann viel Spaß bei der Zombiejagd.“

      Ich starre entgeistert das Display von der Freisprechanlage an und fahre fast gegen ein parkendes Auto. Verdammt, Zombiejagd?

      Am Friedhof ist nicht viel los. Ich kann verstehen, dass Ben in dieser Sache Aufsehen vermeiden möchte. Er steht neben seinem Wagen in Gesellschaft von zwei uniformierten Polizisten und eines weiteren Mannes. Das wird der Wärter sein.

      Ich parke meinen Wagen neben ihnen und steige langsam aus. Hier ist es noch kälter als in West Town. Liegt ja auch höher, der Friedhof sogar am Waldrand. Ich ziehe die Jacke eng um mich und schlage den Kragen so hoch, wie es nur geht.

      „Hi“, sage ich zu der Versammlung. „Ich nehme an, eure Leiche ist noch nicht wieder aufgetaucht?“

      „Nein, die läuft noch herum“, antwortet einer der Polizisten grinsend. „Ich halte das Ganze für irgendeinen dummen Streich, der allerdings langsam lästig wird.“

      „Das ist kein Streich!“, erwidert der, den ich für den Friedhofswärter halte. „Ich bin Martin Cartwright, der Friedhofswärter.“

      „Fiona. Also, nochmal für Doofe. Sie haben einen nackten Mann auf dem Friedhof gesehen?“

      „Ich habe ihn nicht bloß gesehen, sondern angefasst, um ihn festzuhalten. Er stand ganz nahe vor mir und ich konnte deutlich sein Gesicht sehen. Es war Victor Burton, den ich gesehen habe. Oder sein Zwillingsbruder. Aber ich glaube, er hat keinen.“

      „Man kann heutzutage sehr echt wirkende Masken herstellen“, sagt der Polizist, der vorhin schon gesprochen hat. „Und in einer solchen Situation können einen die Augen auch schon mal täuschen. Also, ich glaube wirklich nicht an Geister.“

      „Und wozu dann das Ganze? Für einen Streich etwas zu viel Aufwand, oder?“

      Da hat Martin recht.

      „Ich könnte mir verschiedene Gründe vorstellen“, bemerke ich. „Kann ich mir die Gruft ansehen?“

      Martin nickt und geht los. Wir folgen ihm. Ben gesellt sich zu mir und fragte leise: „Was denkst du wirklich?“

      „Ich habe gelernt, dass alles möglich ist. Wirklich alles. Aber ich kann mir grad nicht vorstellen, warum jemand nach zwei Jahren auferstehen und nackt durch den Friedhof rennen sollte.“

      „Jedenfalls ist die Gruft aufgebrochen und einer der Särge leer, nämlich der, in dem Victor Burton gelegen hat.“

      „Das ist zumindest interessant, dennoch kann es sein, dass jemand nur möchte, dass wir denken, Victor wäre auferstanden. Ich denke, im Moment ist eine nicht ganz so übernatürliche Erklärung nicht auszuschließen. Aber es kann genauso gut sein, dass wirklich einer, der schon verwest sein müsste, wieder durch die Gegend läuft. Im letzteren Fall wird es spannend.“

      Wir erreichen die Gruft. Im Schein der Taschenlampen betrachte ich die Tür. Sie sieht wirklich aus, als wäre sie von innen aufgetreten worden. Das beweist zwar nichts, aber wenn jemand die Geschichte hier insziniert hat, dann hat er große Sorgfalt darauf verwendet, dabei authentisch zu wirken.

      „Wollen Sie sich auch drinnen umsehen?“, fragt Martin.

      „Klar.“

      „Es ist aber dunkel.“

      Ich blicke ihn an, dann lasse ich mir eine Taschenlampe geben und betrete die Gruft. Die anderen bleiben draußen, was mir auch lieber ist.

      Es riecht moderig und nach verwesten Leichen. Das ist aber nicht weiter verwunderlich. Ich spüre auch deutlich, dass sich noch nicht alle vollständig von ihrem physischen Dasein gelöst haben. Doch das ist nicht mein Problem, daher tue ich so, als würde ich das gar nicht merken.

      Ich sehe sofort, welcher Sarg Victor Burton gehört, denn der Deckel liegt daneben auf dem Boden. Er sieht aus, als wäre er von jemandem, der in dem Sarg gelegen hat, heruntergestoßen worden.

      Das wird mir jetzt langsam ein wenig zu authentisch und ich beginne, ernsthaft in Erwägung zu ziehen, dass es wirklich Victor Burton ist, der draußen nackt herumläuft. Was ich nicht verstehe, ist, wieso er nicht verwest ist.

      Sicherheitshalber werfe ich einen Blick in den offenen Sarg, aber der ist leer.

      Ich gehe wieder nach draußen und zünde mir eine Zigarette an.

      „Was hast du herausgefunden?“, erkundigt sich Ben.

      „Der

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