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Der Kopf schwirrt uns von den Zimbelschlägen des Lichts und seinen grellen Farben! Draußen blendet das Meer und die glühende staubige Straße. Ich sitze am Tisch und versuche mit meinen zwinkernden Augen das farbige Flimmern des weiß glühenden Himmels auszuhalten. Mit schweißnassen Gesichtern, aber frischen Gliedern genießen wir in unsern leichten Leinenkleidern nach hochzeitlicher Weltumarmung das Glück der Ermattung.

      Das Essen in diesem Café ist schlecht; dafür herrscht Überfluss an Früchten, vor allem an Pfirsichen, deren Saft uns beim Hineinbeißen übers Kinn läuft. Die Zähne in der Frucht, höre ich mein Blut dumpf in den Ohren klopfen, und meine Augen trinken die Fülle des Lichts. Das Meer schläft in der ungeheuren Mittagsstille. Jedes schöne Wesen hat den natürlichen Stolz seiner Schönheit; und die Welt atmet heute diesen Stolz aus allen Poren. Und angesichts ihrer Pracht – warum sollte ich meine Lebensfreude verleugnen, selbst wenn ich nicht alles unter sie befassen kann? Es ist keine Schande, glücklich zu sein. Heutzutage aber ist der Dummkopf König, und ich nenne jeden einen Dummkopf, der sich vorm Genießen fürchtet. Man hat uns so viel vom Stolz gesprochen: der Sünde Satans. Gebt acht, hieß es, ihr richtet euch und eure lebendige Kraft zugrunde. Ich habe seitdem in der Tat begriffen, dass ein gewisser Stolz …Zu andern Zeiten aber kann ich’s nicht lassen und sage aus vollem Herzen Ja zu jenem Lebensstolz, den diese ganze Welt mir einreden will. Wer in Tipasa sagt »ich sehe«, sagt auch »ich glaube«; und warum sollte ich verleugnen, was meine Hände berühren und meine Lippen liebkosen können! Ich fühle nicht das Bedürfnis, ein Kunstwerk daraus zu machen, sondern will nur erzählen, was nicht dasselbe ist. Tipasa kommt mir vor wie eine von jenen Romanfiguren, die man beschreibt, um mittelbar eine bestimmte Haltung zur Welt zu kennzeichnen: Wie jene legt es sein männliches Zeugnis ab. Heute ist es meine Romanfigur, und meine trunkene Lust, es zu umwerben und zu beschreiben, wird so bald kein Ende finden. Leben wie Zeugnis ablegen: Jedes hat seine Zeit. Schöpferisch arbeiten hat auch seine Zeit, was sich nicht ebenso von selbst versteht. Mir genügt es, wenn ich mit meinem ganzen Leibe leben und mit meiner ganzen Seele Zeugnis ablegen darf. Tipasa erleben, Zeugnis ablegen – das Kunstwerk kommt später, wie unsere Freiheit es will.

      Nie bin ich länger als einen Tag in Tipasa geblieben. Stets kommt der Augenblick, wo man eine Landschaft zu viel gesehen hat, wie es andrerseits lange braucht, bis man sie genug gesehen hat. Gebirge, Himmel und Meer sind wie Gesichter, deren Öde oder Pracht man nicht durch Sehen entdeckt, sondern durch Schauen. Indessen muss jedes Gesicht sich irgendwie erneuen, sonst sagt es uns nichts mehr. Wir beklagen uns, dass wir zu rasch ermüden, statt dankbar zu staunen, dass wir die Welt nur zu vergessen brauchen, um sie wie neu zu empfinden.

      Gegen Abend ging ich zurück in den Park, und zwar in seinen gepflegteren, gartenähnlichen Teil neben der Autostraße. Die verwirrende Duft- und Farbenfülle war dahin; in der kühlen Abendluft beruhigte sich der Geist, und der entspannte Geist genoss jenes innere Schweigen, das eine Frucht gestillter Liebe ist. Ich setzte mich auf eine Bank und sah zu, wie der Tag und die Erde sich friedlich erfüllten. Ich war satt. Über mir ließ ein Granatbaum seine Knospen hängen: lauter kleine, fest geschlossene Fäuste, in denen die Hoffnung des Frühlings schlief. Hinter mir blühte Rosmarin; sein Alkoholgeruch verriet ihn. Ferne Hügel traten in den Rahmenumriss der Bäume und noch ferner ein schnurschmaler Streifen Meer, den wie ein stilles Segel der helle Himmel überstieg. Eine geheime Freude füllte mein Herz: das Glück eines ruhigen Gewissens – jenes Glück des Schauspielers, der seine Rolle gut gespielt und so vollkommen in Klang und Gesetz verleiblicht hat, dass sich das fremde, fertig vorausgegebene Schicksal ganz und genau in seinem eigenen Herzen vollzieht und erfüllt.

      Und eben dies empfand ich: Ich hatte meine Rolle gut gespielt. Ich hatte meine Menschenpflicht getan und hatte einen ganzen langen Tag in Freude verbracht; und war mir so auch nichts Ungewöhnliches gelungen, ich hatte doch ergriffenen Herzens jenem Lebenssinn gehorcht, der uns bisweilen befiehlt, glücklich zu sein. Wir finden alsdann die Einsamkeit wieder – und sind es zufrieden.

      Die Bäume waren nun voller Vögel. Die Erde atmete leiser, und das Dunkel wuchs. Gleich wird es, mit dem ersten Stern, Nacht werden, und die strahlenden Götter des Tages werden ihren täglichen Tod erleben. Andere Götter werden kommen. Ihre verwüsteten Mienen werden düsterer sein, obschon auch sie aus dem Herzinnern der Erde stammen.

      Das unermüdliche Aufschäumen der Wellen am Strande kam jetzt von weit her zu mir durch die von goldenem Blütenstaub erfüllte Luft. Meer, Land, Stille und die Gerüche dieser Erde – ich trank ihren Duft und ihren Atem und biss in die goldene Frucht der Welt und fühlte erschauernd ihren starken süßen Saft mir über die Lippen laufen. Nein, ich zählte nicht, noch die Welt; nur die schweigsame Eintracht unserer Liebe galt, und ich war nicht so eitel, diese Liebe für mich allein zu beanspruchen, sondern war mir mit Stolz bewusst, sie mit einer ganzen Rasse zu teilen, deren Größe in ihrer schlichten Einfalt wurzelt und die an den Ufern des Meeres das strahlende Lachen des Himmels aufrecht mit brüderlich-dankbarem Lächeln erwidert.

      Der Wind in Djemila

      Es gibt Orte, wo der Geist stirbt um einer Wahrheit willen, die ihn verneint. Als ich nach Djemila kam, wehte es, und die Sonne schien; aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt will ich nur sagen, dass eine drückende Stille über allem lag – reglos wie das Gleichgewicht einer Waage. Einige Vogelschreie, der gedämpfte Ton der dreigelochten Flöte, das Getrippel von Ziegen – all diese Geräusche brachten mir die Stille und Trostlosigkeit des Ortes erst zu Bewusstsein. Hin und wieder flog flügelklatschend und schreiend ein Vogel aus den Trümmern. Jeder Weg, jeder Pfad zwischen den Häuserresten, die großen gepflasterten Straßen zwischen den leuchtenden Säulen, das riesige, auf einer Anhöhe zwischen Triumphbogen und Tempel gelegene Forum – alle enden in jenen Schluchten, die von allen Seiten Djemila umgeben, das wie ein ausgebreitetes Kartenspiel unter dem endlosen Himmel liegt. Und dort ist man nun, einsam und umringt von Stille und Steinen; und der Tag geht hin, und die Berge wachsen und werden violett. Aber der Wind bläst über die Hochebene von Djemila. Mitten in diesem großartigen Durcheinander von Sonne und Wind und lichtgrellen Ruinen nimmt die schweigende Verlassenheit der toten Stadt den Menschen mehr und mehr in sich hinein und verschlingt ihn.

      Man braucht viel Zeit, um nach Djemila zu gelangen. Es ist keine Stadt, wo man haltmacht, um später weiterzufahren. Djemila führt nirgendwo hin und erschließt keinerlei Landschaft. Es ist ein Ort, den man wieder verlässt. Die tote Stadt liegt am Ende einer langen, vielfach gewundenen Straße, die immer wieder ihr Erscheinen verheißt und deshalb so ermüdend lang wirkt. Endlich, tief eingelassen zwischen hohen Bergen auf dem blassen Hochplateau, taucht das gelbliche Skelett eines Knochenwaldes auf: Djemila, Gleichnis und sichtbare Lehre, dass überall nur Geduld und Liebe uns bis ans klopfende Herz der Welt gelangen lassen. Dort, zwischen ein paar Bäumen, liegt die gestorbene Stadt und verteidigt sich mit all ihren Bergen und all ihren Trümmern gegen billige Bewunderung, malerisches Missverstehen und törichte Träume.

      Den ganzen Tag waren wir in diesem dorrenden Glanz umhergeirrt. Langsam schien der Wind, den man am frühen Nachmittag kaum fühlte, mit jeder Stunde zu wachsen und das ganze Land zu füllen. Er kam von weit her aus einer Lücke zwischen den östlichen Bergen, eilte vom Horizont herbei und warf sich in jähen Sprüngen zwischen die sonnenglühenden Trümmer. Unermüdlich blies und jagte er durch die Ruinen, drehte sich in einer Kies- und Staubwolke im Kreise, hagelte auf die durcheinandergeworfenen Steinquadern nieder, schlang sich brünstig um jede Säule und stürmte mit gellem Geheul über das Forum, das wehrlos unterm Himmel lag. Ich flatterte wie ein Segel im Wind. Mein Magen zog sich zusammen; meine Augen brannten, meine Lippen sprangen auf, und meine Haut trocknete aus, bis ich sie kaum noch als meine empfand. Durch sie hatte ich sonst die Schrift der Welt, die Zeichen ihrer Huld oder ihres Zornes, entziffert, wenn ihr sommerlicher Atem sie erwärmte oder der Reif seine Frostkrallen in sie schlug. Jetzt aber, stundenlang vom Wind gepeitscht und geschüttelt, betäubt und ermattet, ging mir das Gefühl für die Oberfläche, die meinen Leib zusammenhielt, verloren. Der Wind hatte mich geschliffen wie Flut und Ebbe den Kiesel und hatte mich bis zur nackten Seele verbraucht. Ich war nur noch ein Teil von jener Kraft, die mit mir tat, was sie wollte, und mich immer entschiedener in Besitz nahm, bis ich ihr schließlich ganz gehörte, sodass mein Blut im gleichen Rhythmus pulste und dröhnte wie das mächtige allgegenwärtige Herz der Natur. Der

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