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Berg. Ann Quin
Читать онлайн.Название Berg
Год выпуска 0
isbn 9783843806299
Автор произведения Ann Quin
Жанр Языкознание
Серия marix Literatur
Издательство Bookwire
Die Trennwand schwankte: Ein Boot ohne Segel, verankert an einem Felsen, und doch drehte es sich außerhalb seines eigenen Umfangs. Ich ein Albatros, werde niemals in eine Richtung fliegen, die bereits millionenfach zuvor gewählten worden ist. Berg schaute auf den Riss an der Zimmerdecke. Folge dem Traum, der Anfang in einer einzigen Sekunde heraufbeschworen, ein isolierter Gedanke herausgefischt aus dem Mainstream der Gelegenheiten. Obwohl jetzt im kühlen Licht des Tages, das sich selbst so vehement breit machte, die Herangehensweise, die Tat, die Folgewirkungen mit jedem nur denkbaren Risiko verbunden schienen. Welche bessere Gelegenheit als gestern Nacht konnte es geben, doch er hatte sie weggeworfen – ein gebrauchtes Kleidungsstück. Aber ich muss sicher sein, absolut sicher, dass ich alles im Griff habe, dass nichts dazwischenkommt. Wie sein Kopf heute morgen schmerzte, als stocherten viele Finger ins Gewebe, das Blut und die Knochen. Ich muss mich an die genauen Gefühle erinnern, die den gegenwärtigen Umständen Vorschub geleistet haben, als gar nichts von außen dazwischenkam, nicht einmal Gedanken an vergangene Zeiten, gegenwärtige oder zukünftige, und die Zweifel meiner eigenen Realität schwanden. Gibt es keinen Augenblick zwischen zwei Stimmungen, den Raum dazwischen, losgelöst vom Leben, ebenso wie vom Tod, wenn man in die Sonne schaut, ohne zu blinzeln, wenn die Ewigkeit hier im Inneren liegt; keine Trennung jedweder Art, nur eine Reihe zyklischer Motivationen? Aber diese Hände mit Venen wie geäderte Blätter, es gibt keine Trennung, nur eine geschmacklose Ähnlichkeit. Aber warum dann nach Beweisen suchen? Sicher, ich bin kein Philosoph, um den Wert der Realität im Gegensatz zur Vorstellung zu analysieren, und was ist damit gewonnen, wenn man sich in solch linguistische Labyrinthe begibt? Auf jeden Fall besteht die vorrangige Tat darin, den Geist abzuschaffen, die Realität in etwas Lebendiges, Gefühltes, Gesehenes, sogar Gerochenes zu überführen. Ein Mann der Tat geht über alles. Erneut zuckte die Trennwand. Berg zog sich rasch an. Kaum draußen, kühlte ihn die erfrischende Meeresbrise ab. Er sah das Wasser an die Wellenbrecher schlagen, die Kiesel malmten an den stählernen Pfählen des Piers. Es war zu früh, noch waren nicht viele auf den Beinen – genug Raum zum Atmen, klarer denken, ruhig.
Er würde Judith anrufen, sie überreden herauszukommen, eine schicksalhafte heimliche Affäre als Vorwand vorschieben. Ja, mehr war nicht nötig, da war er sich sicher, mit ihrer Vermessenheit spielen, ihrem emotionalen Ehrgeiz. Für ihn wäre sie die perfekte Rache. Was um Himmels Willen fand sie überhaupt an dem Alten, es könnte sich fast lohnen, herauszufinden, was genau sie für eine Beziehung hatten, wie die Situation zwischen ihnen wirklich aussah, bevor er weitermachte.
In der Telefonzelle fingerte er an dem Apparat, spähte dabei in den Spiegel. Fast hätte er wegen der großen Ähnlichkeit mit dem Alten den Hörer fallen lassen; die Form der Augen, des Mundes, zweifellos die gleichen. Nur dreißig Jahre jünger, er steckte Pennys in den Schlitz, lauschte einer schnurrenden Katze über ein Dutzend Straßenecken hinweg. Schon bald erkannte er die krächzende Stimme der Vermieterin am anderen Ende, vermutlich befestigte sie die unvermeidliche Sicherheitsnadel oben an ihrem blau-weißen Kimono. Goldstein? Nein, die ist ausgegangen, ganz bestimmt nicht da, ich hab sie beide gerade eben rausgehen sehen. Er zog eine Grimasse im Spiegel, als es wieder schnurrte.
Wieder an der Promenade, ging er an einem angelnden Jungen vorbei. Was gefangen? Mürrische Antwort. Verständlich: Vor zwanzig Jahren war Schuleschwänzen die einzige Befreiung von verplanten Tagen, die Hiebe mit dem Stock hinterher, die man über sich ergehen lassen musste, ein geringer Preis; die Ausflüge in Wälder, zum Forellenfischen, Kaulquappenfangen und später in der Jahreszeit zum Brombeerenpflücken, schüchtern von Edith abgeschrubbt, die einen ständigen Brombeerbusch hatte – einen versteckten. Durch eine Ritze in der Tür spähen, waren andere Frauen genauso? Babys kommen aus den Brüsten raus. Nein, das tun sie nicht, das weiß ich, die werden am Nabel aufgeschnitten, das weiß ich, weil meine Schwester da eine Narbe hat. Sei nicht blöd, die kommen, wenn sie pinkeln. Bestätigt, überzeugt, bis zu einem nützlichen, illustrierten Buch, eingerissen von Deckel zu Deckel, gefolgt von den Prahlereien der Mädchen im Ort, dem Ausprobieren jeder erdenklichen Stellung, bis ihm schlecht und bewusst wurde, dass er den Drang verspürte, etwas zu zerstören.
Bring niemals ein Mädchen in andere Umstände, Aly, bitte, wenn dein Vater noch bei uns wäre, würde er dir schon bald erklären, dass es das nicht wert ist, Aly, ich weiß es.
Was wusste sie, wenn sie so blass wirkte, ihr Blick trüb wurde, du ihr einen Augenblick beinahe zum Feind?
Schatten über die Risse im Gehweg geworfen, ein verzerrtes Doppelgesicht in den Fenstern. Bleibst stehen vor Anschlagtafeln, gekritzelten Nachrichten, fast schon befremdlich feinsinnig, oder nur zu unverfroren für andere? Wurde Gummikleidung ausschließlich persönlich von Gloria angepasst? Konnte Flötenunterricht wirklich eine Guinea pro Stunde wert sein – französische Schule? Wenn er doch nur ein paar Pennys mehr hätte, eine samtene Stimme könnte möglicherweise die Antwort auf große und kleine Probleme sein. Er betrachtete das Naheliegende: Zimmer ideal für Junggesellen, ein Dutzend Zimmer am Gang, voller Seetang – Strumpfhalter aus einem anderen Zeitalter – bereit für zufällig hereinschauende, glatzköpfige Wochenendgäste, die zweimal täglich bedient werden; glatte, eng verschnürte Sirenen schlängeln sich durch Kanäle der Vorahnung. Aber das war hoffnungslos, viel schlimmer war es, der Grenzfall zu sein, über Kleinigkeiten zu brüten, die sich aus den Gegenmitteln gegen die künstliche Beatmung der Vorstellungskraft zusammensetzten; das Überleben jener, die es vorzogen, auf halber Strecke stehen zu bleiben, die nie akzeptierten, oder ablehnten, sich einzig des Bedürfnisses bewusst waren, die Langeweile zu besiegen. Ich nehme, ich sehe, ich unterwerfe mein eigenes mittelmäßiges Ich etwas Großem. Berg entfernte sich von der Reflexion, die das Geschwulst, das sich innerlich gebildet hatte, in ein künstliches Licht stellte.
Schon bald der morgendliche Berufsverkehr, der ihn wie das Meer selbst die Straße hinunter zur Bushaltestelle spülte und ihn, hätte er die Arme nicht ausgebreitet, gut und gerne bis in den Bus getragen hätte. Er fuhr langsam zurück, wich dem herabhängenden Laub aus, beobachtete nur die laternenförmigen Blüten, die über ihm schaukelten.
Um die Ecke: ein Insekt platt an der Wand: sein Vater. Berg tauchte in einen Türeingang, gerade als Judith die Straße entlanggestöckelt kam, ihr Haar flog über einem großen runden Pelzkragen. Hatte sie ihn gesehen? Zuerst dachte er das. Er schlich hinaus, hob die Hand, aber sie nahm seinen Vater am Arm und marschierte davon.
Ein Kater streifte Bergs Beine; runde Augen, die sich verengten, er fing an zu jaulen, braune Tropfen tauchten auf dem Bürgersteig auf, das Tier kauerte sich halb zusammen, der Schwanz bebte. Berg hob den Fuß. Der Kater, der nichts davon mitbekam, kackte jaulend weiter. Berg streckte die Hand aus, die Kreatur fauchte, bleckte die gelben Reißzähne und trat noch in der Hocke den Rückzug an. Plötzlich sprang sie aber hoch, hing wie ein Faultier an Bergs Arm. Er bekam ihn am Schwanz zu fassen und schwang den Kater hin und her, bekam kaum den dumpfen Schlag mit, den es tat, als das Tier gegen die Wand knallte. Erst später hörte er das Schreien, das Jaulen. Ein schlaffer Körper zuckte zu seinen Füßen. Berg sah sich um, fragte sich, ob jemand die Begebenheit beobachtet hatte, die Straße schien ihm glücklicherweise menschenleer. Er hob den toten Körper auf, warf ihn in die Gosse. Während er sich die Hände abwischte, fiel ihm auf, wie rissig sie waren, Blutflecken auf seinen Ärmeln ebenso wie auf seinen Manschetten, Katzenhaare hingen daran. Er ging rasch fort.
Der Wind hatte angehoben, wehte Gischt an Land. Berg zog seinen Hut herunter, stellte den Kragen auf, als er zur Promenade kam. Seine Hände waren taub, eine große Sehnsucht, sie zwischen Judiths Brüste zu pressen – was, und sich dann mit dem dort eingeprägten Bildnis des alten Herrn konfrontiert zu sehen, vielleicht hatte er ja auch einen Fetisch fürs Tätowieren seiner Frauen, woher sollte er wissen, dass Edith nicht irgendwo an ihrem Körper das Brandzeichen des alten Herrn trug?
Am Ufer sah er ein paar Kinder Löcher buddeln. An einem Wellenbrecher rauchte er in die Gischt und den Nebel hinein, der allmählich die gesamte Promenade in Undurchdringlichkeit tauchte, nicht einmal den Pier konnte man mehr sehen. Die Kinderstimmen wurden vom Meer gedämpft und ein paar wenige Möwen – schlaffe Flaggen – schwebten über dem Wellenbrecher. Er musste schon bald zurück, ihr Zimmer betreten, den alten Herrn allein erwischen, ein Schlag, mehr würde nicht