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Berg. Ann Quin
Читать онлайн.Название Berg
Год выпуска 0
isbn 9783843806299
Автор произведения Ann Quin
Жанр Языкознание
Серия marix Literatur
Издательство Bookwire
Solch eine Gelegenheit verschenkt. Selbst jetzt könnte er noch Streit anfangen, den Alten gegen sich aufbringen, innerhalb von Sekunden würde er zu Boden gehen. Und die Überreste? Naja, er würde überbleiben, wäre das nicht genug? Aber wie bei einer Liebesaffäre, schien das zu einfach, daher musste die Vorrunde verlängert werden; ein bisschen mit Möglichkeiten flirten. Da schwankte er im Eingang, geh jetzt, nimm ihn am Arm, zieh ihn runter, schneide das Muttermal heraus, spalte das Haar, zertrümmere das Gehirn, ersticke ihn. Ich bin’s, dein Sohn, hörst du, ja erinnere dich an eine Frau, die du einst gesehen und begehrt hast, in andere Umstände gebracht hast, wie man so schön sagt, einer Ehe zugestimmt und später …
Er hat einen Anlass gesucht, dein Vater, Aly, irgendeinen Anlass, den Spanienkrieg? Ja, der kann es gut gewesen sein. Jedenfalls ist er eines Abends weg, meinte nur, er geht kurz in die Kneipe, und kam nie wieder. Erst einige Wochen später habe ich festgestellt, dass Schmuck fehlte, mein Pelzmantel und das Sparschwein, das ich eigens für dich gefüttert hatte.
Berg näherte sich dem Haus. Sein Vater hing über dem Geländer, starrte in seine Kotzepfütze. Ganz sicher keine Verbindung, es kann niemals irgendeine Art von Verständigung zwischen uns geben. Doch das Ideal wurde bereits zu lange gehegt, jenes paradoxe Dilemma, das man zu einem gigantischen Wolkenbruch umformen will, an der Sonne vorbeireiten, angetrieben von der eigenen Macht, uneingeschränkter Macht.
Bleib distanziert, der bedachte Nachbar, und tu, was von dir erwartet wird. Er zog den alten Mann die Treppe hinauf, oben ließ er ihn los. Sein stöhnender Vater sackte zurück ans Geländer. Jetzt nur ein kleiner Stoß, und du fliegst, mein Lieber. Wer würde was merken, so betrunken wie er war? Der arme Nathaniel Berg, wir haben ihn gut gekannt, haben ja immer schon gesagt, das Saufen wird ihm zum Verhängnis. Judith rief ihn, ihre Stimme ließ ihn zurücktreten. Der Alte winselte, ein Hund, dessen Frauchen ungehalten ist. Geh jetzt, wirf dich ihr zu Füßen, schleck sie ab, schleck sie hier, schleck sie da, dazwischen, über dem Haar, süß duftende Schnauze, Rauschen der Springflut. Die Tür schloss sich. Sein Vater zitterte. Berg hob ihn auf, hielt ihn unter den Armen, zog ihn in sein eigenes Zimmer, wo er ihn aufs Bett stieß. Wie steinalt er aussieht – wie alt, Ende Fünfzig, vielleicht über Sechzig, und Judith? Unter den gefärbten Haaren, dem dick gepuderten Gesicht, schwer zu sagen, so nah war er ihr nicht gekommen, zumindest noch nicht. Die Haut des Alten, wie Pflanzenfasern, die Augen rostige Stecknadelköpfe. Berg zog ihn aus, gelangte an die schmutzige Unterwäsche, hinten zerrissen – drei Einschusslöcher – und auf der gelben faltigen Haut die großen Tätowierungen.
Die hat er sich mal stechen lassen, weißt du, nur zum Spaß, jedenfalls hat er das gesagt. Aber wenn’s ein unverwechselbares Erkennungszeichen gibt, dann geht’s wohl kaum besser.
Berg zog langsam die Buchstaben mit seinem Zeigefinger nach EDITH MEINE LIEBE UND FREUDE, weiter unten: IM ANDENKEN AN MEINE GELIEBTE MUTTER. Seine Augen wanderten zu der über ihnen schaukelnden Glühbirne, nah, näher. Rupf sie aus, füll sie mit Blumen, zupf die Blütenblätter, eins nach dem anderen, leg dich unter das duftende Weich. Wieder wurde er des verbrannten Gestanks gewahr, der ins Zimmer drang, es roch nach Fleisch. Er deckte den Alten mit einer Decke zu, schloss das Fenster, obwohl ihm bewusst war, dass der Gestank jetzt den Rest der Nacht über bleiben würde, mit etwas Glück wäre er am Morgen verschwunden. Vielleicht befindet sich in dem Gebäude gegenüber ein Krematorium?
Er hockte sich an den Gasring und schaute der Milch beim Köcheln zu – eine Fliege, kurz davor, reinzufallen. Es war ein schrecklicher Fehler gewesen, den Alten in sein Zimmer zu bringen, es hätte auch noch einen weiteren Tag warten können. Über die Milch gebeugt fiel ihm auf, dass etwas Braunes darin schwamm. Er fischte die Motte heraus, schmierte sie an den Rand der Untertasse. Er lehnte sich wieder an das klumpige Kissen, die kaputten Federn, die abgeplatzten Lederlehnen. Ein oder zweimal schaute er seinen Vater an, von dem er kurz dachte, dass er wach sei, ihn sogar beobachtete, aber bei näherem Hinschauen war es nur ein ausgestreckter Körper auf dem Bett, ein Fuß lugte unter der Decke hervor, zuckte hin und wieder, nickte in geheimer Absprache mit der Trennwand. Er hörte Judith werkeln, mit Tellern klappern und eigenartige Sauggeräusche von sich geben – vielleicht leckt sie sich selbst? Sie war eigentlich keine schlecht aussehende Frau, wenn auch nicht sein Typ. Er rührte in der Milch und zog die Haut ab, gab sie auf die Motte in der Untertasse. Sie war eigentlich gar nicht so übel; große Brüste machten wett, woran es ansonsten vielleicht mangelte. Er griff nach dem Spiegel. Wenn sie einen Mann nahm, der auf die Sechzig zuging, wen würde sie dann zurückweisen? Er rieb sich über das unrasierte Kinn, strich sich die Haare glatt, und suchte nach der Ansteckfliege. Fast weltmännisch, sie verlieh ihm auf jeden Fall das gewisse Extra, ein beinahe elegantes Aussehen.
Du hast definitiv etwas, Aly, bist der geborene Aristokrat, dein Vater war genauso, jedenfalls hat er sich das eingebildet.
Ihm fiel der abgetragene fleckige Mantel seines Vaters auf, die löchrigen Socken, und lächelnd ging er hinaus, schloss die Tür ab, legte den Schlüssel auf die Leiste darüber. Vorsicht zahlte sich aus, würde nichts bringen, wenn sein Vater plötzlich aufwachte und ausflog. Vielleicht erwarte ich zu viel? Leise klopfte er an ihre Tür, die Judith schließlich atemlos, errötend und mit gerunzelter Stirn öffnete. Berg versuchte das Lächeln fest zu installieren, mit dem er bereits beim Anstecken der Fliege gespielt hatte, doch es sackte in seine Mundwinkel herunter, als Judith die Tür halb schloss. Ob sie ihm womöglich die Uhrzeit sagen könnte? Sie schniefte, musterte ihn von oben bis unten, dann verschwand sie, kam aber gleich wieder angerauscht. Was trug sie, um ein solches Rascheln zu verursachen – wie Blätter im Wind? Tut mir leid, ich weiß es nicht, aber es ist längst über die Sperrstunde. Erneut nahm er ihren abwärts gerichteten Blick auf seine bügelfaltenfreie Hose zur Kenntnis, die speckigen Knie, die Flecken zwischen den Knöpfen. Sie haben nicht zufällig Mr. Berg gesehen, vielleicht unten auf der Straße? Also, jetzt, wo sie’s sagte, glaubte er doch, ja, das musste Mr. Berg gewesen sein, den er gesehen hatte, wie er sich mit jemandem in der Kneipe unterhielt. Ihre Finger, die mit einem Knopf zwischen ihren Brüsten gespielt hatten, flatterten auf, tauchten in ein dünnes goldenes Netz, das ihren gelben Haarschopf umhüllte. Die Kluft zwischen ihrem Zimmer und dem Treppenabsatz verbreiterte sich. Er schaute auf seine Füße, die Schnürsenkel eines Schuhs hatten sich gelöst. Er beugte sich