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Die Kleinbürger. Оноре де Бальзак
Читать онлайн.Название Die Kleinbürger
Год выпуска 0
isbn 9783955013363
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Mehrmals bereits hatte Theodosius dem jovialen Sekretär der Stadtverwaltung sich nähern wollen, war aber immer einer kühlen, bei einem so entgegenkommenden Manne wenig natürlicher Abweisung begegnet. In dem Augenblick, wo die Bouillottepartie beendet war, zog Colleville Thuillier in eine Fensternische und sagte zu ihm:
»Du lässt diesen Advokaten hier bei dir zu festen Fuß fassen, er hat heute abend das große Wort geführt.«
»Ich danke dir, lieber Freund, ein Mann, der gewarnt ist, ist so klug wie zweie«, antwortete Thuillier, während er sich heimlich über Colleville lustig machte.
Theodosius, der in diesem Augenblick gerade mit Frau Colleville plauderte, hatte seinen Blick auf die beiden Freunde gerichtet, und mit dem Ahnungsvermögen, das die Frauen zu gebrauchen verstehen, wenn sie wissen wollen, ob und in welcher Weise von ihnen die Rede ist, merkte er, dass Colleville ihm bei dem schwachen unbedeutenden Thuillier zu schaden versuchte.
»Gnädige Frau,« sagte er leise zu der fromm gewordenen Dame, »glauben Sie mir, wenn hier jemand imstande ist, Sie richtig zu würdigen, so bin ich es. Wenn man Sie ansieht, so möchte man sagen: eine Perle, die in den Schmutz gefallen ist; Sie sind noch nicht zweiundvierzig Jahr alt, denn eine Frau ist so alt, wie sie aussieht, und viele Frauen von dreißig Jahren, die nicht an Sie heranreichen, würden glücklich sein, wenn sie eine solche Figur hätten und ein so entzückendes Gesicht, das von der Liebe erzählt, die niemals die Sehnsucht Ihres Herzens zu befriedigen vermocht hat. Sie haben sich Gott zugewendet, ich weiß es, und ich empfinde zu viel Mitgefühl, als dass ich etwas anderes für Sie zu sein begehrte als Ihr Freund; aber Sie haben das nur getan, weil Sie niemals einen Ihrer Würdigen gefunden haben. Gewiss, geliebt sind Sie worden, aber Sie haben nie empfunden, dass man Sie anbetete, ich habe das geahnt ... Und Ihr Mann hier hat niemals verstanden, Ihnen eine Ihres Wertes würdige Stellung zu verschaffen; er hasst mich, als ob er fürchtete, dass ich Sie liebe, und will mich daran hindern, Ihnen zu sagen, dass ich eine Möglichkeit gefunden zu haben glaube, Sie in eine Sphäre zu bringen, die Ihrer Bestimmung entspricht ...
Nein, gnädige Frau«, sagte er laut und erhob sich, »nicht der Abbé Gondrin wird dieses Jahr in der Fastenzeit in unsrer bescheidenen Kirche Saint-Jaques du Haut-Pas predigen, sondern Herr d'Estival, ein Landsmann von mir, der sich dem Predigerberuf aus Mitgefühl für die Armen geweiht hat, und Sie werden da einen der weihevollsten Redner, die ich kenne, zu hören bekommen, einen Priester, der zwar kein sehr angenehmes Äußere hat, aber was für eine Seele! ...«
»Mein Wunsch wird also erfüllt werden,« sagte die arme Frau Thuillier; »ich habe die berühmten Prediger nie verstehen können!«
Ein Lächeln erschien auf Fräulein Thuilliers Lippen und auf denen mehrerer anderen.
»Sie befassen sich zu sehr mit theologischen Erklärungen, das ist schon lange meine Ansicht«, sagte Theodosius; »aber ich spreche niemals über Religion, und ohne Frau Colleville ...«
»Gibt es denn in der Theologie Erklärungen?« fragte der Mathematikprofessor naiv und geradezu.
»Ich will nicht annehmen,« erwiderte Theodosius und sah Felix Phellion an, »dass Sie diese Frage im Ernst gestellt haben.«
»Felix,« sagte der alte Phellion und kam schwerfällig seinem Sohn zu Hilfe, als er auf Frau Thuilliers blassem Gesicht einen schmerzlichen Ausdruck wahrnahm, »Felix unterscheidet bei der Religion zwei Kategorien: er betrachtet sie einmal vom menschlichen und einmal vom göttlichen Standpunkt, von dem der Tradition und dem der Begründung aus.«
»Was für eine ketzerische Ansicht, Herr Phellion!« entgegnete Theodosius; »die Religion ist eine Einheit; sie verlangt vor allem den Glauben.«
Durch diese Phrase festgenagelt, sah der alte Phellion seine Frau an:
»Es ist Zeit, meine Liebe ...«
Und er zeigte auf die Uhr.
»Oh, Herr Felix,« sagte Celeste leise zu dem offenherzigen Mathematiker, »können Sie nicht, wie Pascal und Bossuet, gleichzeitig ein Gelehrter und fromm sein? ...«
Mit den Phellions brachen auch Collevilles auf, und es blieben bald nur noch Dutocq, Theodosius und die Thuilliers zurück.
Die Schmeicheleien, die Theodosius Flavia zugeflüstert hatte, waren zwar lauter Gemeinplätze; aber es muss im Interesse dieser Erzählung bemerkt werden, dass der Advokat sich so sehr als möglich auf dem geistigen Niveau dieser vulgären Leute hielt; er schwamm in ihrem Wasser und redete ihre Sprache. Sein Maler war Pierre Grassou und nicht Joseph Bridau; sein Buch »Paul und Virginie«. Der größte lebende Dichter war für ihn Casimir Delavigne; in seinen Augen war der Zweck der Kunst vor allem die Nützlichkeit. Parmentier, »der Schöpfer des Kartoffelbaus« galt ihm mehr als dreißig Rafaels; der Mann mit dem kleinen blauen Mantel war für ihn »eine barmherzige Schwester«. Diese Ausdrücke Thuilliers wiederholte er zuweilen.
»Der junge Felix Phellion«, sagte er, »ist der typische Universitätsgelehrte unserer Zeit, das Produkt einer Wissenschaft, die Gott beiseite geschoben hat. Mein Gott, wo kommen wir hin! Nur die Religion kann Frankreich retten, denn nur die Furcht vor der Hölle schützt uns vor dem Hausdiebstahl, der fortwährend vorkommt und der die sichersten Vermögen aufzehrt. Sie alle haben einen heimlichen Krieg im Schoß der Familie«. Nach dieser geschickten Tirade, die lebhaften Eindruck auf Brigitte machte, empfahl er sich in Begleitung von Dutocq, nachdem er den drei Thuilliers gute Nacht gewünscht hatte.
»Das ist ein sehr begabter junger Mensch!« sagte Thuillier in feierlichem Tone.
»Ja, wahrhaftig«, erwiderte Brigitte und löschte die Lampe aus.
»Und er besitzt Religion«, sagte Frau Thuillier, die sich zuerst entfernte.
»Lieber Herr,« sagte Phellion zu Colleville, als sie die Gegend der Bergbauschule erreichten, nachdem er sich überzeugt hatte, dass sie allein in der Straße waren, »ich habe die Gewohnheit, mich von andern belehren zu lassen, aber es ist mir unmöglich, zu übersehen, dass dieser junge Advokat bei unsern Freunden, den Thuilliers, sehr herrisch auftritt.«
»Meiner Meinung nach,« entgegnete Colleville, der mit Phellion hinter seiner Frau, Celeste und Frau Phellion ging, die sich alle drei dicht aneinander drängten, »ist er ein Jesuit, und ich liebe diese Leute nicht ... Auch der beste von ihnen taugt nichts. Ein Jesuit, das bedeutet für mich Betrug, und zwar Betrug, um zu betrügen; sie betrügen aus Freude am Betruge, und, wie man sagt, um nicht aus der Übung zu kommen. Das ist meine Ansicht, und ich schlucke sie nicht hinunter.«
»Ich verstehe Sie, Herr Colleville«, erwiderte Phellion und reichten ihm den Arm.
»Nein, Herr Phellion,« bemerkte Flavia mit leiser hoher Stimme, »Sie verstehen Colleville nicht, aber ich weiß recht gut, was er sagen will, und er täte besser, nicht weiter zu sprechen ... So etwas kann man nicht auf der Straße behandeln, um elf Uhr, und in Gegenwart eines jungen Mädchens‹«.
»Du hast Recht, liebe Frau«, sagte Colleville.
Als sie die Rue des Deux-Eglises erreicht hatten, in die Phellion einbiegen musste, wünschte man sich gute Nacht. Felix Phellion sagte noch zu Colleville:
»Herr Colleville, Ihr Sohn Franz könnte in die Polytechnische Schule aufgenommen werden, wenn er viel Nachhilfestunden nehmen würde; ich bin bereit, ihn so weit zu bringen, dass er in diesem Jahre das Examen bestehen kann.«
»Das würde