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Vater«, bemerkte Dutocq, »hat ein Fräulein de Chargebocuf geheiratet und sich die Anschauungen des Adels zu eigen gemacht; er will um jeden Preis zu Geld kommen, seine Frau führt einen fürstlichen Haushalt.«

      »Ach,« sagte Thuillier, bei dem der Neid der Bourgeois gegen ihresgleichen erwachte, »man braucht diesen Leuten bloß ihr Amt zu nehmen, und sie werden wieder, was sie waren ...«

      Fräulein Thuillier strickte so heftig, als ob sie von einer Dampfmaschine getrieben würde.

      »Die Reihe ist an Ihnen, Herr Dutocq«, sagte Frau Minard und stand auf. »Ich habe kalte Füße bekommen«, fügte sie hinzu und stellte sich ans Feuer, wo das Gold ihres Turbans beim Lichte der rosa Kerzen, die vergeblich den riesigen Salon zu erhellen versuchten, wie ein Feuerwerk strahlte. Frau Colleville beobachtete den Provenzalen und verglich ihn mit dem jungen Phellion, der mit Celeste plauderte, ohne sich um das zu kümmern, was um sie herum vorging. Es ist nun sicher an der Zeit, diese eigenartige Persönlichkeit, die eine so wichtige Rolle bei den Thuilliers spielen sollte, zu schildern und die wohl der Darstellung durch die Hand eines großen Künstlers würdig wäre.

      Es gibt in der Provence und vor allem in der Gegend des Hafens von Avignon eine Sorte blonder oder hellbrünetter Männer mit weißem Teint und beinahe zärtlichem Ausdruck, deren Augen eher matt, ruhig und schmachtend sind, als lebhaft, glühend und dunkel, wie es gewöhnlich bei Südländern der Fall ist. Es mag nebenbei bemerkt werden, dass auch bei den Korsen, Leuten, die zu Aufwallungen und zu den gefährlichsten Zornausbrüchen neigen, sich häufig solche blonden, anscheinend ruhigen Erscheinungen finden. Diese bleichen, ziemlich dicken Männer mit unruhigen grünen oder blauen Augen sind die schlimmste Sorte in der Provence, und Charles-Marie-Theodosius de la Peyrade war ein gutes Beispiel dieser Gattung, deren Wesen ein sorgfältiges Studium seitens der Medizin und der Physiologie verdiente. Es kocht in ihnen eine Art Galle, ein bitterer Hohn, der ihnen zu Kopf steigt und sie zu brutalen Handlungen, die scheinbar kühl ausgeführt werden, hinreißt. Das Ergebnis eines geistigen Rausches, scheint diese Art stummer Wut unvereinbar mit ihrer gewissermaßen lymphatischen äußeren Hülle und dem ruhigen Ausdruck ihres freundlichen Blickes.

      In der Umgegend von Avignon geboren, war der junge Provenzale mit dem erwähnten Namen von mittlerer Statur, wohlproportioniert, beinahe dick, von farblosem Teint, der weder blass, noch matt, noch leuchtend, sondern gallertartig war, denn diese Bezeichnung kann allein einen Begriff von dieser weichen matten Oberfläche geben, unter der sich weniger starke als im gegebenen Moment außerordentlich widerstandsfähige Nerven verbargen. Die Augen von kaltem Blassblau hatten gewöhnlich einen Ausdruck trügerischer Melancholie, der einen großen Reiz auf die Frauen ausüben musste. Die gut geformte Stirn war nicht ohne Adel und passte zu dem feinen, dünnen, hellbraunen Haar, das sich an den Enden leicht und natürlich lockte. Die Nase war, genau wie bei einem Jagdhunde, glatt, an der Spitze eingekerbt, neugierig und klug umhersuchend und immer spürend; sie gab dem Gesicht nicht einen gutmütigen, sondern einen ironischen, spöttischen Ausdruck; aber diese beiden Seiten des Charakters traten nicht deutlich hervor, und der junge Mann musste erst aufhören, sich zu beobachten, und heftig werden, damit sein Sarkasmus und sein Geist, der dann einen teuflischen Spott entwickelte, hervorbrechen konnten. Sein ganz angenehm geschwungener Mund mit granatroten Lippen schien ein wundervolles Instrument für seine in der Mittellage, die Theodosius gewöhnlich festhielt, beinahe süße Stimme, die aber in der Höhenlage wie der Ton eines Gongs in den Ohren vibrierte. Diese Fistelstimme ertönte, wenn er nervös und gereizt war. Sein Gesicht, von gewollter Ausdruckslosigkeit, hatte ovale Form. Sein ganzes Wesen war in Übereinstimmung mit der priesterlichen Ruhe seines Antlitzes sehr zurückhaltend und angemessen, aber schmiegsam und entgegenkommend, ohne fuchsschwänzelnd zu sein, und es besaß eine gewisse Anziehungskraft, die man sich übrigens nicht erklären konnte, sobald er verschwunden war. Wenn das Reizvolle von Herzen kommt, so hinterlässt es einen tiefen Eindruck; ist es aber nur ein Kunstprodukt, dann feiert es, ebenso wie die Beredsamkeit, nur flüchtige Triumphe; es will um jeden Preis Effekt machen. Aber wieviele Philosophen findet man im Leben, die imstande sind, einen solchen Vergleich anzustellen? Fast immer ist, um einen gewöhnlichen Ausdruck zu gebrauchen, die Geschichte vorbei, wenn die Leute dahinterkommen.

      Bei diesem jungen Menschen von siebenundzwanzig Jahren stand alles im Einklang mit seinem wahren Charakter; er folgte seiner natürlichen Bestimmung wenn er die Philanthropie pflegte. Theodosius liebte das Volk, und er beschränkte seine Menschenliebe hierauf. Ebenso wie die Blumenpächter sich mit Rosen, Dahlien, Nelken oder Geranien befassen, und keinerlei Interesse an den Blumenarten, die ihre Liebhaberei nicht erwählt hat, nehmen, so gehörte dieser junge la Roche-Foucauld-Liancourt allein den Arbeitern, den Proletariern, den Elenden der Faubourgs Saint-Jacques und Saint-Marceau. Der hervorragende Mann, das Genie in verzweifelter Not, die verschämten Armen des Mittelstandes waren für sein Mitleid nicht vorhanden. Bei allen Leuten mit einer fixen Idee gleicht das Herz einem jener Kästen mit Abteilungen für die einzelnen Sorten Zuckerzeug; das »suum cuique tribuere« ist ihr Wahlspruch, und sie wiegen jeder Pflicht ihre Dosis ab. Es gibt Philanthropen, die nur den Verirrungen Verurteilter ihr Mitleid zuwenden. Die Eitelkeit ist sicherlich die Grundlage der Philanthropie; bei dem Provenzalen aber war es die Berechnung, eine gespielte Rolle, eine liberale und demokratische Heuchelei, die mit einer Vollendung durchgeführt wurde, wie sie kein Schauspieler hätte zustande bringen können. Er griff die Reichen nicht an, er begnügte sich damit, sie nicht zu begreifen, aber er duldete sie; nach seiner Ansicht müsste jeder von seiner Arbeit leben; er war, wie er sagte, ein begeisterter Schüler Saint-Simons gewesen, aber diesen Fehler müsse man seiner frühen Jugend zugute halten: die moderne Gesellschaft könne keine andere Grundlage haben als das Erbrecht. Strenggläubiger Katholik, wie fast alle Leute des Comtats, ging er ganz früh zur Messe und verheimlichte seine Frömmigkeit. Wie fast alle Philanthropen war er schmutzig geizig und schenkte den Armen nur seine Zeit, seinen Rat, seine Beredsamkeit und das Geld, das er für sie von den Reichen erlangen konnte. Stiefel und ein Anzug von schwarzem Tuch, den er abtrug, bis die Nähte weiß schimmerten, bildeten seine Kleidung. Die Natur hatte viel für Theodosius getan dadurch, dass sie ihm nicht die männliche, vornehme Schönheit der Südländer verlieh, die bei anderen eingebildete Bedürfnisse erzeugt, die ein Mann nur sehr schwer befriedigen kann. Da es ihn nur wenig kostete, zu gefallen, so wurde er, ganz wie er wollte, für angenehm, für hübsch oder für sehr gewöhnlich angesehen. Seit er im Hause Thuillier zugelassen war, hatte er noch niemals bis zu diesem Abend gewagt, seine Stimme zu erheben und sich mit solcher Autorität zu äußern, wie er es eben gegen Olivier Vinet riskiert hatte; aber wahrscheinlich war es Theodosius de la Peyrade nicht unangenehm gewesen, aus der Dunkelheit, in der er sich bis dahin gehalten hatte, herauszutreten; außerdem war es nötig, sich dieses jungen Beamten zu entledigen, ebenso wie die Minards vorher den Anwalt Godeschal vernichtet hatten. Gleich allen überlegenen Geistern, und es fehlte ihm nicht an Überlegenheit, hatte der Staatsanwaltsgehilfe sich nicht bis zu dem Punkte vorgewagt, wo die Fäden dieser bourgeoisen Spinnennetze deutlich erkennbar werden, aber er war, wie eine Fliege mit dem Kopf voran, in die Falle gegangen, die ihm Theodosius fast unwahrnehmbar mit einer Schlauheit gestellt hatte, die auch gewandtere Leute als Olivier nicht gemerkt haben würden.

      Um die Schilderung dieses Armenadvokaten abzuschließen, wird es nicht überflüssig sein, über sein erstes Auftreten im Hause Thuillier zu berichten.

      Theodosius war gegen Ende des Jahres 1837 erschienen; er war damals seit fünf Jahren Rechtskandidat und hatte seinen Vorbereitungsdienst in Paris absolviert, um Advokat zu werden; unbekannte Umstände, über die er Schweigen bewahrte, hatten ihn verhindert, sich in die Liste der Pariser Advokaten eintragen zu lassen; er war noch Advokat im Vorbereitungsdienst. Sobald er aber die kleine Wohnung im dritten Stock bezogen hatte, mit dem für seinen vornehmen Beruf unbedingt erforderlichen Mobiliar – denn der Advokatenstand lässt keinen neuen Kollegen zu, der nicht ein anständiges Arbeitszimmer und eine Bibliothek besitzt, und zwar wird das nachgeprüft – wurde Theodosius de la Peyrade Advokat beim Pariser Obergericht.

      Über dieser neuen Gestaltung seiner Lage verging das ganze Jahr 1838; er führte ein sehr regelmäßiges Leben, studierte von früh morgens an bis zur Essensstunde und erschien bei wichtigen Sachen vor Gericht. Seine Beziehungen zu Dutocq hatten sich, nach Dutocqs Aussage, nur schwer angeknüpft, und zwar dadurch, dass er einigen Unglücklichen aus dem Faubourg Saint-Jacques, für die der Gerichtsvollzieher

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