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im Gegensatz zur Newton’schen zu begründen, war nun die erste seiner Dresdner Aufgaben. Wir haben es hier nicht mit dem Inhalt seiner Farbenlehre, sondern nur mit ihrer biographischen Bedeutung zu tun. Er wollte nachweisen, dass die Farbe von durchaus subjektiver Beschaffenheit sei, in der Teilbarkeit nicht des Lichtes, wie Newton gelehrt hatte, sondern der Tätigkeit unserer Netzhaut bestehe und physiologisch begründet werden müsse, dass die verschiedenen Arten oder Grade des Helldunkels polare Farbengegensätze bilden, aus denen das Weiße sich wiederherstellen lasse, was Goethe im Gegensatze zu Newton unrichtigerweise bestritten und verneint habe.

      So entstand im ersten Jahre seines Dresdner Aufenthaltes die Schrift »Über das Sehn und die Farben«, die er Goethe als Manuskript im Juli 1815 und als Druckschrift den 4. Mai 1816 zugesendet hat;141 dazwischen fällt jener Briefwechsel, von dem bisher nur die Antworten Goethes bekannt waren, neuerdings aber auch die Zuschriften Schopenhauers veröffentlicht sind, die ohne Zweifel zu den besten und interessantesten Briefen gehören, die er überhaupt geschrieben hat.142 Sie sind nicht bloß wegen ihres Themas, sondern noch mehr aus psychologischen Gründen merkwürdig, da sie uns den Briefsteller in einer Lage zeigen, in welcher seine Geduld, ohne die mindeste üble Absicht von Goethes Seite, auf die grausamste Probe gestellt, sein Misstrauen auf das peinlichste gereizt, seine Hoffnungen auf das bitterste getäuscht wurden, und er sich doch bei aller Offenheit und allem Freimut die höchste Mäßigung auferlegen musste und keinen Augenblick vergessen durfte, dass es Goethe war, an den er schrieb. Er hat es nicht vergessen und diese recht schwere Prüfung in seiner Weise musterhaft bestanden.

      Der Brief, der die Zusendung des Manuskripts begleitet hat, fehlt. Offenbar hatte Schopenhauer gewünscht, Goethe von der Richtigkeit seiner Theorie zu überzeugen und seine Schrift durch ihn oder gemeinsam mit ihm herauszugeben: er wollte als sein Schüler, als einer »der ersten seiner Proselyten« und der zweite Begründer seiner Farbenlehre erscheinen. Er hatte sich vorgestellt, dass Goethe noch ebenso lebhaft von der Sache erfüllt sei wie damals, als er sie ihm vortrug; war doch kaum ein Jahr seitdem verflossen. Aber der Dichter weilte schon in einer ganz anderen Region. Als Schopenhauer acht Wochen vergeblich auf Antwort gewartet hatte und sich endlich nach dem Schicksal seiner Schrift erkundigte (3. September 1815), wohnte Goethe auf der Gerbermühle bei Frankfurt und lebte nicht in der Farbenlehre, sondern bei Suleika und im west-östlichen Diwan.

      Man fühlt in den Ausdrücken Schopenhauers, wie Ungeduld und Misstrauen schmerzhaft erregt und mühsam unterdrückt sind. Mit einer in Bescheidenheit verhüllten Ironie schreibt er: »Ew. Excellenz haben mich bisher keiner Antwort gewürdigt, welches ich mir hauptsächlich daraus erkläre, dass die mannigfaltigen Umgebungen Ihres öfter veränderten Aufenthaltes, dabei der Umgang mit regierenden, diplomatischen und militärischen Personen Sie zu sehr beschäftigt und Ihre Aufmerksamkeit einnimmt, als dass meine Schrift anders als sehr unbedeutend dagegen erscheinen oder zu einem Briefe über dieselbe Zeit übrigbleiben könnte«. »Ich weiß von Ihnen selbst, dass Ihnen das literarische Treiben stets Nebensache, das wirkliche Leben Hauptsache gewesen ist. Bei mir aber ist es umgekehrt: was ich denke, was ich schreibe, das hat für mich Wert und ist mir wichtig; was ich persönlich erfahre und was sich mit mir zuträgt, ist mir Nebensache, ja ist mein Spott.« »Mir ist diese Ungewissheit über etwas, das zu dem gehört, was mir allein wichtig ist, unangenehm und quälend, ja in manchen Augenblicken kann meine Hypochondrie hier Stoff zu den widrigsten und unerhörtesten Grillen finden. Um allem diesem und der Plage einer täglich getäuschten Erwartung ein Ende zu machen, – bitte ich Ew. Excellenz, mir meine Schrift nunmehr zurückzuschicken mit oder ohne Bescheid, wie Sie für gut finden: in jedem Fall glaube ich jedoch noch diese Bitte mit Zuversicht hinzufügen zu dürfen, dass Sie mir zugleich in zwei lakonischen Worten anzeigen, ob außer Ihnen irgend jemand sie gelesen hat oder gar eine Abschrift davon genommen ist.«

      Goethe vertröstete ihn auf seine Rückkehr nach Weimar, von wo er eingehend antworten werde; die Antwort kam, aber keine eingehende; er hat die Schrift noch fünf Monate behalten und erst den 28. Januar 1816 zurückgeschickt, ohne sie je einem andern gezeigt, aber auch ohne je sich selbst in einem eingehenden, von Schopenhauer inbrünstig ersehnten Urteil darüber ausgesprochen zu haben. Er fühlte sich teils schon dem Gegenstande selbst, dieser »geliebten und betretenen Region« der Farbenlehre entfremdet und von dem Widerspruch, den er erfahren hatte, ermüdet, teils auch durch die Abweichungen Schopenhauers, wie in Ansehung der Farbenpolarität, der Herstellung des Weißen, der Entstehung des Violetten unangenehm berührt. Es schien ihm, dass der Schüler bereits den Meister spielen wollte, und er hat sich in einigen Epigrammen von bitterem Geschmack darüber ausgelassen.143 Es half nichts, dass Schopenhauer jene Differenzen für nebensächlich erklärte und von seiner Farbenlehre sagte, sie verhalte sich zur Goethe’schen wie die Frucht zum Baum, wie der Scheitelpunkt zur Pyramide, dass er der treuste und gründlichste Verteidiger der Goethe’schen Farbenlehre gewesen und stets geblieben ist.

      Den Vorschlag Goethes, die Schrift seinem Freunde Thomas Seebeck, dem Entdecker der entoptischen Farben, mitzuteilen144 und ihn zu einem Urteil aufzufordern, lehnte Schopenhauer sehr entschieden ab, voller Angst und Misstrauen, dass es ihm mit Seebeck ergehen könne, wie es Goethe in Ansehung seiner Entdeckung der Bildung und Zusammensetzung des Schädels mit Oken gegangen sei. Er wolle über sein Werk »nicht eine Meinung hören, sondern eine Autorität, nicht das Urteil eines Einzelnen, sondern des Einzigen«. Er wusste von Seebeck und dessen Entdeckung der entoptischen Farben so wenig, dass er fragen konnte, ob das Wort nicht »epoptisch« heißen sollte! Dass Goethe die Absicht gehegt, seine Schrift durch Seebeck beurteilen zu lassen, hatte ihn so gereizt, dass er brieflich sein Schicksal mit dem der Pfarrerstochter von Taubenhain verglich, welche der gnädige Herr mit seinem Jäger habe verheiraten wollen!

      Der ausführlichste und geistreichste der Briefe Schopenhauers ist vom 11. November 1815; er verdient auch deshalb unser Interesse, weil aus seinen Ideen bis in die Bilder und die Ausdrucksweise hinein die gleichzeitige Entstehung des Hauptwerks unverkennbar hervorleuchtet. Goethe hat in dem vorangegangenen Brief (23. Oktober) gesagt: »Ich versetze mich in Ihren Standpunkt, und da muss ich denn loben und bewundern, wie ein selbstdenkendes Individuum sich so treu und redlich mit jenen Fragen befasst und das, was gegenständlich daran ist, rein im Auge behält, indem es sie aus seinem Innern, ja aus dem Innern der Menschheit zu beantworten sucht.« Diese treffende und wohltuende Anerkennung beantwortet Schopenhauer mit einer Schilderung seiner intellektuellen Persönlichkeit: »Alles, was von Ihnen kommt, ist mir ein Heiligtum. Überdies enthält Ihr Brief das Lob meiner Arbeit, und Ihr Beifall überwiegt in meiner Schätzung jeden anderen. Besonders erfreulich aber ist es mir, dass Sie in diesem Lobe selbst mit der Ihnen eigenen Divination gerade wieder den rechten Punkt getroffen haben, indem Sie nämlich die Treue und Redlichkeit rühmen, mit der ich gearbeitet habe. Nicht nur was ich in diesem beschränkten Felde getan habe, sondern alles, was ich in Zukunft zu leisten zuversichtlich hoffe, wird einzig und allein dieser Treue und Redlichkeit zu danken sein. Denn diese Eigenschaften, die ursprünglich nur das Praktische betreffen, sind bei mir in das Theoretische und Intellektuale übergegangen; ich kann nicht rasten, kann mich nicht zufrieden geben, solange irgendein Teil eines von mir betrachteten Gegenstandes nicht reine, deutliche Kontur zeigt. Jedes Werk hat seinen Ursprung in einem einzigen glücklichen Einfall, und dieser gibt die Wollust der Konzeption: die Geburt aber, die Ausführung ist wenigstens bei mir nicht ohne Pein, denn alsdann stehe ich vor meinem eigenen Geist, wie ein unerbittlicher Richter vor einem Gefangenen, der auf der Folter liegt, und lasse ihn antworten, bis nichts mehr zu fragen übrig ist.« »Der Mut, keine Frage auf dem Herzen zu behalten, ist es, der den Philosophen macht. Dieser muss dem Ödipus des Sophokles gleichen, der Aufklärung über sein eignes schreckliches Schicksal suchend, rastlos weiter forscht, selbst wenn er schon ahnt, dass sich aus den Antworten das Entsetzlichste für ihn ergeben wird. Aber da tragen die meisten die Jokaste in sich, welche den Ödipus um aller Götter willen bittet, nicht weiter zu forschen: und sie gaben ihr nach, und darum steht es auch mit der Philosophie noch immer, wie es steht.«145

      Nachdem er auf Goethes Zustimmung oder wenigstens gutachtliche Meinung sieben Monate hindurch vergeblich gehofft hatte, endete die Sache für Schopenhauer mit einer sehr bitteren Enttäuschung, die er Goethe gegenüber zwar nicht verhehlt, aber bemeistert hat. Vielleicht ist der Dank und die Ehrfurcht, die Goethe gebühren, nie schöner und stolzer ausgesprochen worden als in den folgenden Worten: »Ew. Excellenz haben es in Ihrer Biographie

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