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hartnäckig mit ihm disputiert, diesen über die Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, wobei er am Rand seines Heftes gelegentlich wider die Einheit und Zusammengehörigkeit von Philosophie und Religion protestiert hat. Von den Schriften Fichtes hat er mit innerer Zustimmung nur eine gelesen, die in Ansehung der Gegenwart pessimistisch gestimmt war: »Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters«. Er war selbst schon mit dem Ausbau der eigenen Ideen beschäftigt.

      Die akademischen Lehrjahre waren zu Ende. Am liebsten würde er jetzt in Berlin promoviert haben, wenn nicht der Ausbruch der deutschen Freiheitskriege im Frühjahr 1813 ihn von dort vertrieben hätte. Auch in Dresden, wo er gern in Ruhe seine Dissertation geschrieben hätte, war nicht seines Bleibens, denn schon sammelten sich die Kriegswolken, die sich hier in nächster Zukunft entladen sollten. Und da er zu Weimar im Hause der Mutter Verhältnisse vorfand, die ihn abstießen, so ging er in das vom Kriegslärm verschonte Rudolstadt, wo er bis in den Herbst blieb und im Gasthof zum Ritter seine Abhandlung »Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde« verfasste. Damit erwarb er sich von der philosophischen Fakultät zu Jena den Doktorgrad (2. Oktober 1813). Die Schrift enthält bereits den Unterbau seines Systems.132

      Nach seiner eigenen Angabe hatte er zum Zweck der Abhandlung eine Reihe kritischer Schriften über die kantische Kritik gelesen, wie Herders Metakritik, Maimons Transzendentalphilosophie, Schulzes Änesidemus, Becks Standpunktslehre, Fries´ neue Kritik der Vernunft. Von Reinhold, Fichte, Schelling, Hegel und Herbart war nicht die Rede. Herders Metakritik wird auf das schärfste getadelt: sie wimmle von zahllosen Fehlern und liefere den Beweis, dass ihr Verfasser den großen Philosophen nicht verstanden habe.133 Noch den 4. November 1813 hatte er dem Buchhändler Frommann in Jena Hegels Logik mit der Bemerkung zurückgeschickt, dass er dieses Buch so wenig lese wie der Absender.134

      Während die deutsche Jugend für ihr Vaterland kämpfte, hatte sich Arthur Schopenhauer, als ob er gar nicht dazu gehörte, in ein philosophisches Stillleben nach Rudolstadt zurückgezogen und die Schrift über den Satz vom zureichenden Grunde geschrieben; er hatte der Fakultät in seinem »Curriculum vitae« erklärt, dass er, dank seinem Vater, kosmopolitisch erzogen sei, dass sein Vaterland größer als Deutschland und er berufen wäre, der Menschheit nicht mit der Faust, sondern mit dem Kopfe zu dienen. Dies waren nun freilich keine Gründe »zureichender« Art. In eine Fensterscheibe des von ihm bewohnten Zimmers hatte er eingekritzelt: »Arth. Schopenhauer majorem anni 1813 partem in hoc conclave degit«. Dazu die idyllischen Worte des Horaz »laudaturque domus, longos quae prospicit agros«.

      Im Laufe des November kehrte er nach Weimar zurück und lebte unter sehr unerquicklichen Verhältnissen in Pension bei der Mutter. Bisher hatte Goethe ihn unbeachtet gelassen und jenen Empfehlungsbrief an Fr. A. Wolf mehr um der Mutter willen als aus Interesse für den Sohn geschrieben. Nun hatte in der Promotionsschrift des jungen Mannes ein Abschnitt, der vom Grunde des Seins handelte und die durchgängige Anschaulichkeit der geometrischen Beweise verlangte, seine Aufmerksamkeit erregt und seinen Beifall gefunden. Die gleiche Forderung wollte er in den optischen Beweisen seiner Farbenlehre erfüllt haben und hielt den jungen Schopenhauer für fähig und würdig, in dieselbe eingeführt zu werden. In einer Abendgesellschaft der Mutter unterhielt er sich mit ihm und lud ihn für den folgenden Abend zu sich ein. Es war am 6. November, dass Goethe, wie Schopenhauer zu sagen pflegte, ihm zuerst seine Gnade zugewendet hat. Nach den Aufzeichnungen in seinem Tagebuch hatte Goethe schon am 4. November sich mit Schopenhauers Schrift beschäftigt und ihn selbst am 7., 10. und 14. dieses Monats bei sich gesehen. Er schreibt den 24. November an Knebel: »Der junge Schopenhauer hat sich mir als ein merkwürdiger und interessanter Mann dargestellt, Du wirst weniger Berührungspunkte mit ihm finden, musst ihn aber noch kennen lernen. Er ist mit einem gewissen scharfsinnigen Eigensinn beschäftigt, ein Paroli und Sixleva in das Kartenspiel unserer neueren Philosophie zu bringen. Man muss abwarten, ob ihn die Herren vom Metier in ihrer Gilde passieren lassen; ich finde ihn geistreich und das übrige lasse ich dahingestellt.« An demselben Tag schreibt Schopenhauer an F. A. Wolf: »Ihr Freund, unser großer Goethe, befindet sich wohl, ist heiter, gesellig, günstig, freundlich: gepriesen sei sein Name in alle Ewigkeit«.

      Die eigentlichen Annäherungen und das Studium der Farbenlehre, worin er Goethes Schüler und Anhänger wird, fallen in die ersten Monate des Jahres 1814, nachdem ihn Goethe am 8. Januar früh in einem Handbillett zu einer Sitzung »um elf Uhr, lieber jedoch um halb elf Uhr« zu sich eingeladen hatte. Er ist in dieser Zeit dem großen Mann so nahe gekommen, dass er sich über seine idealistische und pessimistische Grundansicht offen gegen ihn aussprach. Als er ihm einst erklärte, dass die Sinnenwelt unsere Vorstellung sei, und die Sonne nicht wäre, wenn wir sie nicht sähen, blickte ihn Goethe groß an und sagte: »Vielmehr wären Sie nicht, wenn die Sonne Sie nicht sähe!«

      Auch mit seiner pessimistischen Lebensanschauung muss er nicht zurückgehalten haben, wie aus dem Sinnspruch erhellt, den ihm auf seine Bitte, als er Abschied nahm, Goethe ins Stammbuch geschrieben hat:

      »Willst du dich deines Wertes freuen,

      So musst der Welt du Wert verleihen.

      Im Gefolg und zum Andenken mancher vertraulichen Gespräche. Weimar, den 8. Mai 1814.« Es war gerade vier Monate, seitdem ihn Goethe zu Versuchen über die Farbenlehre eingeladen hatte.

      Das Stammbuch Schopenhauers bestand aus diesem einzigen Blatt. Kürzer und treffender, als in diesen Goethe’schen Worten geschehen ist, lässt sich der Widerspruch nicht charakterisieren, an welchem der persönliche Pessimismus Schopenhauers zeitlebens gelitten hat: die Menschheit verachten und den Ruhm begehren, der doch in nichts anderem besteht als in der hohen Anerkennung der Menschen!

      Dass während seines letzten Aufenthaltes in Weimar (vom November 1813 bis Mitte Mai 1814) ihn der Orientalist Friedrich Majer, der auch zu der Gesellschaft der Mutter gehörte, in das indische Altertum eingeführt, d. h. wohl zum Studium desselben angeregt hat, ist von Schopenhauer selbst in seinen Aufzeichnungen für Joh. Eduard Erdmann bemerkt, aber nicht näher erörtert und in seinem Berliner »Curriculum vitae« gar nicht erwähnt worden, weshalb wir darüber ohne eingehende Kunde sind. Bei der großen Wichtigkeit, welche der Gegenstand alsbald für die Ausbildung seiner Ideen gewinnen sollte, ist die Unkunde in diesem Punkte als eine biographische Lücke zu bezeichnen.135

      Die nächste Ursache, dass er Weimar für immer verließ, lag in seinen Verhältnissen zur Mutter. Solange er in Hamburg lebte, hatte sie zärtliche und besorgte Briefe an ihn geschrieben, reich an Mitteilungen und interessanten Nachrichten aus ihrem neuen Leben; er hatte es ihrer mütterlichen Liebe und Fürsorge zu danken, dass er das Joch des ihm verhassten Berufes abschütteln und seinem Genius nachleben durfte. In der Nähe aber hatten die schon vorhandenen wechselseitigen Abneigungen sich wieder geltend gemacht, vermehrt und am Ende zu einer Schärfe und Bitterkeit gesteigert, dass nichts übrig blieb als die Trennung. Die Wurzel dieser so unnatürlichen Abneigung war von beiden Seiten die angeerbte Gemütsart.

      Dazu kamen ökonomische Differenzen, die zur Grundverstimmung des ganzen Verhältnisses sehr viel beigetragen haben. Schon von Hamburg aus hatte der Sohn zur Sparsamkeit geraten, da trotz der erlittenen großen Verluste die Mutter in Weimar als reiche Witwe lebte, Equipage und verheiratete Dienerschaft hielt und der Geselligkeit zuliebe übermäßige Ausgaben machte. Auch fürchtete er, dass eine zweite Heirat den Verbrauch des Vermögens beschleunigen könnte, denn die reiche und lebenslustige Witwe, obwohl schon etwas korpulent und schiefen Wuchses, hatte Bewerber genug, unter denen sich auch der jüngste Bruder der Frau von Stein befand. Zwar über diesen Punkt vermochte sie den Sohn zu beruhigen, nicht ebenso über die Art und Weise, wie sie mit dem Geld umging, welches sein Vater erworben und der Familie hinterlassen hatte.

      Das Vermögen war keineswegs so groß, wie es nach ihrer Lebensweise den Anschein hatte. Als Arthur mündig

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