Скачать книгу

Angst vernahm, wie jemand die Leiter herabklomm. Ein Gegenstand wurde durch den oberen Spalt herabgeschoben; eine Stimme rief leise auf Englisch:

      »Ein Bissen Speck! He, da unten! Alles klar?«

      »Allright«, gab Klein zurück, »warum stoppen wir?«

      »Maschine heiß gelaufen. Bleibt und schweigt!«

      Damit entfernte sich der Steward wieder, und indem er, an Deck angelangt, die Luke zuschlug, tötete er die zwei Strahlen himmlischen Lichtes.

      »Klein, du bist nun bald achtundvierzig Stunden in dieser Box«, sagte Tilger; dann dachte er über das grobe, knochige Gesicht nach. Es hatte durch eine platte Nase, eine senkrechte Stirn, sowie durch struppiges Kinn- und Barthaar etwas Pinscherhaftes. Aber unter den ausgewucherten Brauen blinkten aus weit entblößter Augenweiße blaue Siegel der Ehrlichkeit.

      Klein knitterte mit Papier. »Speck und Schokolade!« sagte er trocken. Sie teilten und aßen, während sie immer einen Arm gebrauchten, sich festzuklemmen. Ihre Hände, ihre Haut, ihre Kleider klebten von Schmutz und Schweiß. Ihre Nasenlöcher waren von Staub verstopft. Sie empfanden Schmerzen im Leib, im Genick, im Gesäß, und Klein lamentierte über Wadenkrämpfe. Die Luft in dem Loche verschlechterte sich unerträglich.

      Einmal täglich brachte der Steward etwas Nahrung. Am zweiten Tage ließ er eine Tüte voll Wasser durch den Spalt, ihr Inhalt ging jedoch zum größten Teil verloren.

      Noch immer schüttelte das Unwetter die Flüchtlinge wie Käfer in einer Schachtel herum; sie leisteten nur mehr schwachen Widerstand.

      Auch stoppte die Maschine abermals eines Schadens wegen. Es kletterten zwei Heizer in den Proviantraum und machten sich dort – Klein beobachtete es durch den seitlichen Spalt – mit Schlosserwerkzeug in einem Winkel zu schaffen.

      »Wenn das Schiff absäuft«, sagte der Lange nachdenklich, nachdem die ahnungslosen Heizer den Raum wieder verlassen hatten, »würde kein Mensch je erfahren, wo wir abgeblieben sind.«

      Der Dampfer nahm seine Fahrt von neuem auf. Ermattet schwiegen die Deutschen. Die Gedanken verschwammen ihnen. Immer gleichgültiger überließen sie sich dem Schiff und dem Schicksal. Mehrmals überfiel sie eine schlafähnliche Schwäche, in der sie für kurze Dauer ihre Schmerzen und ihre Sorgen vergaßen. Allmählich mäßigten sich die Schwankungen des Schiffes.

      Es geschah am dritten Tage, daß wiederum die Maschine verstummte und Klein und Tilger aus ihrer Lethargie jäh aufschraken. Ein quietschendes Rollen, dann hohles Aufschlagen an der Bordwand bewies ihnen, daß ein Boot zu Wasser gelassen wurde. Sie rafften alle Energie zusammen, rückten sich so bequem als möglich zurecht; denn nun sollte es gelten, sich nicht um Haaresbreite zu rühren. Ihre Spannung entdeckte und verfolgte rege Schritte, welche kamen und gingen und wieder kamen. Das Kettenschloß an der Luke rasselte, und lebhaftes Sprechen in französischer Sprache drang wie ein Sturmwind gleichzeitig mit blendender Lampenhelle in den Vorratsraum. Klein sah erbebend ein Stück von einem französischen Soldaten auf der Leiter, der ein blitzendes Eisen schwang. Klein drückte seine Lippen an Tilgers Ohr und raunte dem zu: »Lange Dolche! Wen's trifft, bleibt still!« Im Nu hatte er seinen Filzhut wurstförmig zusammengedreht und stieß ihn nun mit gewaltigem Kraftaufwand in die obere Spalte.

      Es mußten zwei Soldaten in Begleitung des norwegischen Kapitäns und des Stewards sein, welche das Lager rundum absuchten. Überall stocherten sie mit den Eisenstäben zwischen den Waren herum, und sie näherten sich mehr und mehr dem Versteck. Jetzt schurrten ihre Tritte auf der Kistenschicht über den Köpfen der Deutschen. Die hielten den Atem zurück. Unwillkürlich hatten sie sich gegenseitig gepackt, und jeder fühlte die Knie des andern zittern. Lärmvoll fuhr ein Dolch den oberen Spalt herab, stieß auf den Hut auf, wurde zurückgezogen, wieder herabgestoßen. Diesmal gab der Hut um Zentimeterlänge nach. Aber er fiel nicht heraus. Und die feindliche Patrouille schritt weiter, verließ den Proviantraum, später das Schiff. Endlich fuhr das Schiff. –

      Reuhard drückte Heinrichen die Hand. Der Steward erschien, rollte die Mehlfässer ab und ließ seine Schützlinge heraus, damit sie sich an einer duftenden Suppe stärken, sich einmal für eine Viertelstunde strecken möchten.

      Sie sahen aschfahl aus. Ihr Anzug war verknüllt. Sie blinzelten mit den Augen, schnitten beim Strecken der Beine schmerzliche Gesichter und konnten zunächst nicht ungestützt stehen. Klein war von untersetzter Gestalt. Er klopfte sich den Mehlstaub von der Kleidung mit seinem entrollten Hute, welcher fünf Löcher von Dolchstichen aufwies. »Schade um die nagelneue cloth«, sagte er, »sie hat mich neunzig Peseten gekostet.«

      Es bedurfte strenger Überwindung, sich nochmals in die bisherige Marterlage einzuzwängen. Noch einen halben Tag durchlitten sie dort, bis das Schiff im italienischen Hafen festlag und der Steward sie zu erlösen kam. Der Lange stemmte sich in jubelnder Ungeduld von innen gegen die Mehlfässer. »Au! Au!« schrie er.

      »Halt doch das Maul!« zischte Klein. »Willst du zuletzt noch alles verderben?«

      Aber Tilger lachte übermütig laut. »Dies verfluchte Faß hat mir einen meterlangen Nagel ins Genick gepiekt.«

      Ganz wie Klein angenommen, waren sie morgens in Genua eingetroffen. Nun blieben sie noch volle zwölf Stunden verborgen; es war eine böse, böse Zeit. Immerhin durften sie jetzt wenigstens innerhalb des Proviantraumes frei einherspazieren, und Tilger bestand darauf, daß der Steward Sekt herbeischaffte. Tilger redete unaufhörlich in höchster Begeisterung. Er gestand seinem Kameraden, daß er gar nicht Tilger hieße, und gelobte und bat Heinrichen, daß die Freundschaft zwischen ihnen, die in der Glut der Vaterlandsliebe geschmiedet, in Gefahr gehärtet und schließlich mit Champagner besiegelt wäre, ihr Leben lang bestehen sollte. Dann spann er schillernde Träume aus von ruhmreichen Kampfestaten. Heinrich Klein war sein wortkarger, ungeduldiger und doch gutmütig aufmerkender Zuhörer. Nicht ohne mancherlei Schwierigkeiten stahlen sie sich abends an dem Wachtmann vorbei von Bord.

      Sie speisten, becherten und übernachteten an Land in einem geringen deutschen Gasthaus; da gab es einen Schlaf in Betten. Bei nächster Frühe trennten sich die beiden Blockadebrecher in feierlicher Schlichtheit. Der Lange lag noch im Bett. Er wollte sich neue Kleidung beschaffen, bevor er weiterreiste; überdies war sein Hals infolge des Nagelstiches geschwollen. Klein aber war durchaus nicht zu längerem Aufenthalt zu bewegen. Er eilte aufs deutsche Konsulat, wo man ihn mit einer Fahrkarte bis Ala nebst entsprechender Wegzehrung versorgte.

      Die Schilderung seiner Flucht machte auf den Bezirksfeldwebel, bei dem er sich in der nächsten deutschen Stadt meldete, wenig Eindruck. Dort trafen täglich viele Blockadebrecher ein. Man befahl Klein, sich unverzüglich nach Kiel zu begeben. Um seine Braut wiederzusehen, möge er später ein Urlaubsgesuch einreichen. Er war sehr aufgebracht darob. Und er fuhr nicht gleich nach Kiel, sondern zunächst nach Ostpreußen. Unterwegs, irgendwo auf einem Bahnhof, begegnete er zufällig einem Musketier, der aus seinem Heimatsdorfe stammte. Sie tauschten wiedersehensfroh ihre Kriegserlebnisse aus, in knappem Umfang. Dann erkundigte sich Klein nach seiner Braut. »Was«, rief der Musketier, »weißt du's noch gar nicht?«

      »Was soll ich denn wissen?«

      »Mischka ist tot.«

      »Tot? Du bist ja verrückt«, sagte Klein ungläubig; aber er wurde blaß.

      »Gott verdamme mich! Weißt du gar nicht, wie die Russen bei uns gehaust haben?«

      »Die Russen? Die Russen hätten Mischka tot – –« Klein räusperte sich heiser.

      »Was ich dir sage«, erwiderte der Musketier, »sie ist tot.« Und etwas leiser fügte er hinzu: »Sie hat sich selbst erhängt – aus Scham – – –«

      Wenige Tage, nachdem Klein ihn verlassen hatte, war Tilger in Genua an Blutvergiftung gestorben.

      – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

      Mit anderen Marinern durch ein feindliches Dorf marschierend, warf Heinrich Klein eines Tages die brasilianische Rose einem flandrischen Mädchen zu.

Скачать книгу