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habe ihn tot und zerstört liegen sehen am Fuße eines schlichten, verfallenen Grabsteines. Auf dem stand unter einer Jahreszahl:

      Hier liege ich und muß verwesen.

       Was ihr noch seid, bin ich gewesen.

       Was ich nun bin, das werdet ihr.

       Geht nicht vorüber, betet mir.

       Anna Murmel Benjamin.

      Ja, das stand irgendwo dort, auf der grünen Insel Friedhof.

       Die Woge: Marine-Kriegsgeschichten

       Inhaltsverzeichnis

       Die Blockadebrecher

       Die zur See

       Nordseemorgen 1915

       Totentanz

       Auf der Schaukel des Krieges

       Der Freiwillige

       Aus dem Dunkel

       Flaggenparade

       Nach zwei Jahren

       Lichter im Schnee

       Fahrensleute

       Die Zeit

      Die Blockadebrecher

       Inhaltsverzeichnis

      Ein drittes Mehlfaß rollte der Steward zurück, wodurch in dem Stapel von Proviantkisten ein Hohlraum geöffnet wurde. Dann drängte er flüsternd den langen, bartlosen Mann, der in der Haltung eines hilfsbereiten Ratlosen ihm zugeschaut hatte: »Schnell! Es ist schon einer drin.«

      Der Lange warf sich ungeachtet seiner gediegenen Kleidung stracks zu Boden und kroch kopfan in das Loch. Das mußte eben nicht viel Platz bieten, denn als er sich zur Hälfte darin befand, blieb er stecken. Der Steward hörte, wie im Innern der Höhle eine zweistimmige Begrüßung in deutscher Sprache stattfand; und da er kein Verständnis für dies Idiom, außerdem Eile hatte, deutete er solches mit der Stiefelspitze auf dem noch sichtbaren Hinterteil des Liegenden an. Ruckweis zogen sich nun auch des Langen Beine in die Öffnung hinein, welche der Schiffskellner unter letzten Ermahnungen wieder mit den schweren Fässern verrammelte. Die Ankerlaterne vom Boden aufhebend, leuchtete er noch einmal das Proviantlager und dessen fensterlose Eisenwände und Schotten ab, fand nichts Verräterisches und begab sich schmunzelnd eine Leiter empor, durch eine Luke an Deck des norwegischen Dampfers, der am nächsten Tage Barcelona verlassen sollte, und über dem jetzt die feuchte Abendluft des 24. Januars 1915 taute.

      In der Dunkelheit unter einer doppelten Kistenschicht hockte nun der lange Seemann, die Knie bis ans Kinn eingezogen und Schulter an Schulter mit einem Fremden, der ebenfalls seine Beine nicht auszustrecken vermochte, der sich ebenfalls schlechtweg als deutscher Matrose vorgestellt und auch die Absicht hatte, sich nach Genua zu schmuggeln. Dieser Mann redete anfangs nur auf Befragen, dann knapp sachlich und ziemlich ungemütlich, was sich aber möglicherweise dem Umstand zuschrieb, daß die Unterhaltung im Flüstertone bleiben mußte.

      »Wurden auch Sie vom Zollbeamten bemerkt?«

      »Ja, aber den wird der Steward bestochen haben.«

      »Morgen Mittag soll es in See gehen. Wieviel wird er laufen?«

      »Sechs, sieben Meilen. Mehr schaffen diese lütten Fischklepper nicht.«

      »Bueno, Kamerad, dann können wir schon nächste Woche deutsche Soldaten sein.«

      Der fremde Matrose erwiderte nichts.

      »Wo, meinen Sie, daß man uns hinsteckt? Ich wünsche mich auf ein U-Boot, irgendwohin, wo es aufs Ganze geht. O, Deutschland wird siegen! Wissen Sie, wofür ich verdammt zehn Jahre meines Lebens hingeben wollte? Einmal als Sieger über den Trafalgar Square zu bummeln. Glauben Sie nicht auch, daß wir siegen werden?«

      »Ich weiß nicht.«

      Ein nüchterner Mensch! dachte der lange Matrose, und er stellte sich danach ein. »Teufel, das stinkt hier wie tausend Rattenkadaver! Kommt das aus der Bilsch?«

      »Klippfisch«, brummte der andere wegwerfend.

      »Der Kasten scheint voll zu sein; die Luken waren dicht. Am Ende nimmt er noch Deckslast. Wenn sie nur nicht morgen das Schiff noch einmal überholen. Ich bin schon zweimal von diesen vermaledeiten französischen Geheimspionen verscheucht.«

      Der Stumme gähnte langatmig und dehnte sich in die Breite, wobei er dem Langen versehentlich mit dem Ellbogen in die Zähne schlug. Aber er sagte nichts.

      »Halten Sie sich schon lange in Barcelona auf?«

      »Sechs Wochen.«

      »Sie musterten hier ab?«

      »Nein, in Lissabon.«

      »Lloyd?«

      »Hapag.«

      »Von der Westküste ...?«

      »Südamerika. Ja.«

      »Und reisten per Bahn?«

      »Erst nach Madrid, dann nach Bilbao und dann nach hier.«

      »Warum nicht gleich direkt?«

      »Es waren zuviel Deutsche dort; man ließ uns nicht hinein. Erst mit der Zeit in kleinen Trupps schob man uns nach, wenn wieder andere fort waren.«

      »Ja, ja, sie strömen alle herbei, für die Heimat zu kämpfen. – Wann weilten Sie zuletzt in Deutschland?«

      »Vor drei Jahren.«

      »Drei Jahren? Denken Sie: ich bin seit sieben Jahren fort. – Ob uns die Franzosen unterwegs anhalten werden?«

      »– weiß nicht.«

      »Indolent!« stieß der Lange geärgert hervor; doch war er überzeugt, daß der andere das Wort nicht verstünde. Er beschloß, fortan gleichfalls stumm zu sein.

      So erstarben die Worte in dem geheimen Gelaß, und dafür lebten mancherlei traumwebende Geräusche der Ruhe auf: der ohnmächtig zornige Wellenschlag an der Bordwand, das Nagen einer Maus, zwei schnaufende Atemzüge nebeneinander, zuweilen ein Seufzer, auch ein Kleiderrauschen und Füßescharren, wenn der eine oder andere von den Matrosen seine Lage zu verändern trachtete.

      Da füllte sich das auf die Knie gepreßte Ohr des Langen mit einem feinen Klingen, dem Summen eines Moskitos oder jenem Tone ähnlich, der entsteht, wenn man mit feuchtem Finger auf dem geschliffenen Rande eines wenig gefüllten Weinglases kreist.

      Mein Ohr klingt, konstatierte der Lange in Gedanken, es denkt jemand an mich. Wahrscheinlich

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