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wie ist er denn hereingekommen?« wiederholte ich. »Die Thür war verschlossen, das Fenster nicht zu erreichen. Kam er etwa durch den Schornstein?«

      »Der Kamin ist viel zu eng. Diese Möglichkeit hatte ich schon in Betracht gezogen.«

      »Nun also, wie denn?« –

      »Sie sollten doch einmal meine Vorschrift anwenden,« erwiderte er, den Kopf schüttelnd. »Wie oft habe ich Ihnen gesagt, daß man nur alle Unmöglichkeiten zu beseitigen braucht; was dann übrig bleibt, muß trotz aller Unwahrscheinlichkeit der wirkliche Sachverhalt sein. Wir wissen, daß er weder durch die Thür, noch durch das Fenster oder den Kamin kam. Wir wissen gleichfalls, daß er nicht im Zimmer verborgen sein konnte, da kein Versteck in demselben möglich ist. Woher konnte er also kommen?«

      »Durch das Loch in der Decke!« rief ich.

      »Natürlich, das steht fest. Nun halten Sie mir, bitte, die Leuchte und lassen Sie uns den obern Raum durchsuchen – den geheimen Raum, in welchem der Schatz gefunden wurde.«

      Er bestieg die Leiter, griff mit jeder Hand nach einem Balken und schwang sich in den Dachboden hinaus. Dort legte er sich platt auf die Erde, streckte den Arm nach der Lampe aus und leuchtete mir damit, während ich ihm auf dieselbe Weise folgte.

      Der Raum, in welchem wir uns befanden, war ungefähr zehn Fuß lang und sechs Fuß breit. Den Boden bildeten die Balken, mit dünnen Latten und Kalkbewurf dazwischen, so daß man beim Gehen von einem Balken zum andern schreiten mußte, um nicht durchzubrechen. Die Decke wölbte sich in einem Spitzbogen und bildete augenscheinlich die innere Verkleidung des Hausdaches. Der Raum war völlig leer, nur der gehäufte Staub von Jahren lag dick auf dem Boden.

      »Da haben wir’s,« sagte Holmes, die Hand gegen die schräge Wand legend, »hier ist eine Fallthür, die auf das Dach führt. Wenn ich sie öffne, kommt das Dach zum Vorschein, das ganz allmählich abfällt. So also hat Numero eins seinen Eingang gehalten. Nun lassen Sie uns sehen, ob wir noch andere Spuren dieser Persönlichkeit finden können.«

      Er hielt die Lampe auf den Boden; zum zweitenmal an diesem Abend las ich Schrecken und Staunen in seinen Augen. Ich folgte seinem Blick, und es lief mir kalt über den Rücken. Auf dem Boden sah man dicht bei einander Abdrücke eines nackten Fußes – deutlich ausgeprägt, vollkommen geformt, aber kaum zur Hälfte von dem Maß eines gewöhnlichen Mannes.

      »Holmes,« flüsterte ich entsetzt, »ein Kind hat diese Greuelthat vollführt.«

      Er hatte bereits seine Fassung wiedergewonnen.

      »Ich war einen Augenblick bestürzt,« sagte er, »aber die Sache ist ganz natürlich. Bei einiger Ueberlegung hätte ich es vorher wissen können. Hier oben finden wir jetzt nichts weiter; lassen Sie uns hinunter gehen.«

      »Wie erklären Sie sich denn aber diese Fußspuren?« sagte ich eifrig, sobald wir wieder auf festem Boden standen.

      »Mein lieber Watson, strengen Sie doch einmal Ihren Scharfsinn an,« rief er mit einem Anflug von Ungeduld. »Sie kennen meine Methode. Versuchen Sie dieselbe anzuwenden und es wird lehrreich für uns sein, die Resultate zu vergleichen.«

      »Ich vermag mir nichts auszudenken, was die Thatsachen erklären könnte.«

      »Es wird Ihnen bald genug alles klar werden,« sagte er in nachlässigem Ton. »Hier giebt es, glaube ich, nichts mehr von Wichtigkeit, aber ich will sehen.« Schnell zog er die Lupe und ein Zentimetermaß aus der Tasche und untersuchte nun das ganze Zimmer auf den Knieen, messend, vergleichend, prüfend. Seine lange, spitze Nase war dabei nur ein paar Zoll von der Diele entfernt, und seine tiefliegenden Augen funkelten, wie die eines Raubvogels. Einem Jäger gleich, der die Fährte des Wildes verfolgt, bewegte er sich geräuschlos und flüchtig, bald hierhin, bald dorthin. Während ich sein Thun beobachtete, drängte sich mir unwillkürlich der Gedanke auf, was für ein furchtbarer Verbrecher er hätte werden können, wenn er diese Thatkraft und Schlauheit, statt sie in den Dienst des Gesetzes zu stellen, zur Ungesetzlichkeit verwenden wollte. Er murmelte fortwährend vor sich hin und brach endlich in einen lauten Freudenschrei aus.

      »Wir haben Glück!« rief er. »Jetzt wird es nur noch geringe Mühe kosten. Numero eins hat das Mißgeschick gehabt, in das Kreosot zu treten. Hier können Sie den Abdruck der Kante seines kleinen Fußes neben dem übelriechenden Zeug sehen. Die Flasche ist gesprungen und der Stoff ausgeflossen.«

      »Und was dann?« sagte ich.

      »Was dann? – Nun, wir haben ihn, das ist alles. Ich weiß einen Hund, der würde diese Fährte bis zum Ende der Welt verfolgen. Wenn eine Koppel Hunde einem geschleiften Hering durch eine ganze Grafschaft nachzuspüren vermag, wie weit wird dann der besonders darauf dressierte Hund einem so scharfen Geruch folgen können? Das klingt wie eine Aufgabe in der Regeldetri. Die Antwort sollte uns – aber holla! hier sind die bevollmächtigten Vertreter des Gesetzes.«

      Stimmengewirr und schwere Tritte wurden von unten her vernehmbar. Die Hausthür schloß sich mit einem lauten Krach.

      »Ehe sie kommen,« sagte Holmes, »legen Sie einmal Ihre Hand auf des Toten Arm, und hier an sein Bein; was fühlen Sie?«

      »Die Muskeln sind hart wie ein Brett.«

      »Richtig. Sie sind weit stärker zusammengezogen als in der gewöhnlichen Totenstarre. Dazu kommt noch die Verzerrung des Gesichts zu dem abschreckenden Grinsen, oder risus sardonicus, wie die Alten es nannten. Welche Schlußfolgerung würden Sie aus alledem ziehen?«

      »Daß die Todesursache ein starkes, vegetabilisches Alkaloid gewesen ist, ein strychninartiger Stoff, welcher Starrkrampf erzeugt.«

      »Das war auch meine Idee, als ich die verzerrten Gesichtsmuskeln sah. Sobald ich den Dorn entdeckte, der in die Kopfhaut gestoßen oder geschossen worden war, erriet ich, auf welche Weise das Gift in den Körper gedrungen sei. Wenn nun der Mann in seinem Stuhl aufrecht gesessen hat, so war der Teil des Kopfes, in welchem der Dorn steckte, gerade gegen das Loch in der Decke gerichtet. Nun untersuchen Sie den Dorn.«

      Ich faßte denselben vorsichtig an und hielt ihn gegen das Licht der Laterne. Er war lang, scharf und schwarz; die Spitze sah wie glasiert aus, als ob ein gummiartiger Stoff darauf getrocknet wäre. Das stumpfe Ende war mit dem Messer abgerundet.

      »Ist das ein englischer Dorn?« fragte Holmes.

      »Gewiß nicht.«

      »Nun, nach allen diesen Ermittlungen sollten Sie doch imstande sein, einen richtigen Schluß zu ziehen. – Aber da rückt die Hauptmacht an; jetzt können die Hilfstruppen zum Rückzug blasen.«

      Starke Tritte schallten im Gange, und ein sehr wohlbeleibter Mann im grauen Rock kam würdevoll in das Zimmer gegangen. Sein Gesicht war rot und aufgedunsen, und die kleinen Augen blitzten scharf unter schwülstigen Lidern hervor. Ihm auf den Fersen folgte ein Polizeibeamter in Uniform und der immer noch bebende Thaddäus Scholto.

      »Schönes Geschäft hier!« rief er mit kurzatmiger, heiserer Stimme: »Schönes Geschäft hier! Aber wer sind alle diese Leute? Meiner Treu, das Haus scheint so voll zu sein wie ein Taubenschlag.«

      »Ich denke, Sie werden sich meiner erinnern, Herr Athelney Jones,« sagte Holmes ruhig.

      »Ja natürlich, gewiß!« gab er keuchend zur Antwort. »Herr Sherlock Holmes, der Theoretiker. Erinnern – ich denke wohl, die Vorlesungen über Ursachen und Wirkungen, die Sie uns allen bei dem Juwelendiebstahl in Bishopgate hielten, werde ich nie vergessen. Freilich haben Sie uns damals auf die rechte Spur gebracht, aber Sie werden jetzt wohl selbst eingestehen, daß dabei mehr Glück als Berechnung im Spiele war.«

      »Nur eine höchst einfache Schlußfolgerung.«

      »Geben Sie’s nur zu, es ist ja keine Schande. Aber was haben wir hier? Eine böse, eine häßliche Geschichte! Kein Raum für Theorien, handelt sich um Thatsachen. Hat sich glücklich getroffen, daß ich just wegen eines andern Falls in Norwood sein mußte. War auf dem Bahnhof, als die Meldung kam. Woran ist der Mann gestorben, was meinen Sie?«

      »O,

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