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Aufputz einige Abwechslung brachten. Dann folgten zweistöckige Landhäuser mit winzigen Vordergärtchen und dann wieder endlose Reihen von nagelneuen Ziegelbauten – die Riesenfühlhörner, welche die ungeheure Stadt aufs Land hinaus streckte.

      Endlich hielt der Wagen am dritten Hause einer neu angelegten Straße. Es sah ebenso dunkel und unbewohnt aus wie die Nachbarhäuser; nur aus dem Küchenfenster kam ein matter Lichtschein. Auf unser Klopfen wurde jedoch die Thür augenblicklich von einem indischen Diener geöffnet, der einen gelben Turban, weite, faltige Gewänder und eine gelbe Schärpe trug. Die Gestalt des Orientalen nahm sich höchst wunderbar aus im Rahmen der Hausthüre dieser Vorstadtwohnung dritter Klasse.

      »Der Sahib erwartet Sie,« sagte er.

      Während er noch sprach, rief drinnen eine hohe, dünne Stimme:

      »Führe sie zu mir herein, Kithmutgar, bringe sie gleich zu mir ins Zimmer.«

       Inhaltsverzeichnis

      Wir folgten dem Inder durch den unsaubern, schlecht erleuchteten Gang, bis er eine Thür zur Rechten aufstieß. Ein Strahl gelben Lichtes strömte uns entgegen und umleuchtete einen kleinen Mann, der mitten im Zimmer stand. Sein ungewöhnlich hoher Kopf war von einem Kranz borstiger, roter Haare umgeben, aus denen eine kahle, glänzende Glatze hervorragte, wie ein Berggipfel aus Tannenbäumen. Ohne sich vom Platz zu rühren, wand er die Hände krampfhaft ineinander, und in seinen Gesichtszügen zuckte es unaufhörlich; bald kam ein Lächeln zum Vorschein, bald ein mürrischer Ausdruck, aber in Ruhe blieben sie keinen Augenblick. Die Natur hatte ihm eine Hängelippe verliehen und eine allzu sichtbare Reihe unregelmäßiger, gelber Zähne, welche er vergebens zu verbergen trachtete, indem er sich fortwährend mit der Hand über den untern Gesichtsteil fuhr. Trotz seiner auffallenden Glatze machte er einen noch jugendlichen Eindruck. Er hatte auch wirklich erst das dreißigste Jahr zurückgelegt.

      »Ergebenster Diener, Fräulein Morstan,« wiederholte er mehrmals mit seiner dünnen, schrillen Stimme. »Ihr Diener, meine Herren. Bitte, treten Sie in mein kleines Heiligtum. Ein enger Raum, aber nach meinem Geschmack eingerichtet: eine Oase der Kunst in der furchtbaren Wüste des südlichen Londons.«

      Wir waren alle überrascht beim Anblick des Gemachs, welches wir betraten. Es nahm sich in dem ärmlichen Hause so fremdartig aus, wie etwa ein Diamant reinsten Wassers in einer Fassung von Messing. Die Wände waren mit den reichsten und glänzendsten Tapeten und Vorhängen bekleidet, die sich hier und da öffneten, um ein prachtvoll eingerahmtes Gemälde, oder eine orientalische Vase zur Schau zu stellen. Der Bodenteppich, bernsteinfarben und schwarz, war so dick, daß der Fuß darin versank wie in einem weichen Moosbette. Zwei große Tigerfelle lagen darüber gebreitet, und auf einer Matte in der Ecke stand eine ungeheure indische Wasserpfeife. Von der Mitte der Zimmerdecke hing an einem fast unsichtbaren Golddraht eine brennende Lampe in Form einer silbernen Taube herab und verbreitete einen feinen Wohlgeruch in der Luft – lauter Zeichen von echt morgenländischem Luxus.

      »Mein Name ist Thaddäus Scholto,« sagte der kleine Mann unter fortwährendem nervösem Zucken und Lächeln. »Sie sind natürlich Fräulein Morstan, und diese Herren« –

      »Dies ist Herr Sherlock Holmes und dies Doktor Watson.«

      »Ein Arzt, ja?« rief er sehr erregt. »Haben Sie vielleicht Ihr Stethoskop bei sich? Dürfte ich Sie bitten? – Ich habe ernste Befürchtungen in betreff meiner Herzklappen, wenn Sie vielleicht die große Gefälligkeit hätten. Auf die Hauptschlagader kann ich mich verlassen, aber ich würde gern Ihre Meinung über die Herzklappen hören.«

      Seiner Aufforderung gemäß horchte ich an seinem Herzen, konnte aber nichts Ungewöhnliches finden; nur schien er mir vor Furcht völlig außer sich, denn er zitterte von Kopf zu Fuß wie Espenlaub.

      »Der Herzschlag ist normal. Sie haben keine Ursache, sich zu beunruhigen,« sagte ich.

      »Sie werden meine Besorgnis entschuldigen,« bemerkte er. »Ich bin sehr leidend und traue dem Zustand meiner Herzklappen seit lange nicht recht. Es freut mich zu hören, daß ich mir unnütze Sorge gemacht habe. Hätte Ihr Vater, Fräulein Morstan, seinem Herzen nicht allzuviel zugemutet, so lebte er vielleicht heute noch.«

      Ich hätte dem Menschen ins Gesicht schlagen können, so zornig wurde ich bei diesem gefühllosen, rohen Hinweis auf eine schmerzvolle Angelegenheit. Fräulein Morstan setzte sich und wurde blaß bis an die Lippen.

      »Ich fühlte es im Innern, daß er tot sei,« sagte sie.

      »Ich kann Ihnen alle Einzelheiten mitteilen; ja was noch mehr ist, ich kann Ihnen zu Ihrem Recht verhelfen, und das will ich thun, was Bruder Bartholomäus auch sagen mag. Ich bin so froh, Ihre Freunde als Zeugen hier zu haben. Wir drei zusammen können Bruder Bartholomäus dreist entgegentreten. Aber nur keine Unbeteiligten – keinen Polizisten oder Beamten. Wir können es ohne Zwischenhändler unter uns abmachen zu allseitiger Befriedigung. Nichts würde Bruder Bartholomäus mehr verstimmen, als irgend welche Oeffentlichkeit.«

      Er nahm auf einem niedrigen Sessel Platz und zwinkerte uns mit seinen matten, wasserblauen Augen fragend an.

      »Seien Sie unbesorgt,« erwiderte Holmes, »ich werde nichts weiter erzählen.«

      Ich nickte nur beistimmend mit dem Kopfe.

      »Das ist gut! Das ist gut!« rief er. »Darf ich Ihnen ein Glas Chianti anbieten, Fräulein Morstan? oder Tokayer? Ich halte keinen andern Wein. Soll ich eine Flasche öffnen? Nein? – Aber ich hoffe doch, daß Sie nichts gegen den Tabaksrauch einwenden werden, gegen den balsamischen Duft des orientalischen Tabaks. Ich bin etwas aufgeregt, und meine Huka ist ein unschätzbares Beruhigungsmittel.«

      Er zündete den großen Pfeifenkopf an, und der Rauch wallte lustig durch das Rosenwasser. Wir saßen alle drei im Halbkreis, das Kinn in die Hand gestützt, den Kopf vorgebeugt, während der sonderbare zappelige kleine Kerl mit dem hohen, glänzenden Schädel unruhig in der Mitte den Rauch von sich blies.

      »Als ich zuerst beschloß, Ihnen diese Mitteilung zu machen,« hub er an, »hätte ich Ihnen meine Adresse angeben können. Da ich jedoch fürchtete, Sie möchten meine Bedingung unberücksichtigt lassen und Leute bringen, die mir nicht angenehm wären, schlug ich ein anderes Verfahren ein. Mein Diener Williams, in dessen Umsicht ich vollkommenes Vertrauen setze, sollte Sie zuerst sehen, und wenn irgend etwas sein Mißfallen erregte, die Sache nicht weiter verfolgen. Sie werden diese Vorsichtsmaßregel entschuldigen, aber bei meiner zurückgezogenen Lebensweise und meinem, ich darf wohl sagen, verfeinerten Geschmack, giebt es für mich nichts Unästhetischeres als einen Polizisten. Ich habe eine natürliche Abneigung gegen jede Form von rohem Materialismus, und komme selten in Berührung mit dem großen Haufen. Wie Sie sehen, versuche ich mir die kleine Welt in der ich lebe, durch die Kunst zu verschönern, kann mich wohl einen Gönner der Künste nennen. Diese Landschaft hier – –«

      »Entschuldigen Sie, Herr Scholto,« unterbrach Fräulein Morstan seinen Redefluß, »aber ich bin auf Ihr Verlangen hier, weil Sie mir etwas mitzuteilen haben. Es ist sehr spät, und ich muß wünschen, die Zusammenkunft so bald wie möglich zu beendigen.«

      »Einige Zeit werden wir jedenfalls brauchen,« entgegnete er, »denn wir müssen durchaus Bruder Bartholomäus in Norwood aufsuchen. Wir müssen alle zusammen hingehen, um ihn womöglich zu überrumpeln. Er ist sehr böse auf mich, weil ich den Weg eingeschlagen habe, der mir der richtige schien. Wir gerieten gestern abend wirklich in Streit darüber. Sie können sich gar nicht vorstellen, was für ein schrecklicher Mensch er ist, wenn er zornig wird.«

      »Wenn wir nach Norwood gehen müssen, so thäten wir vielleicht am besten, sogleich aufzubrechen,« erlaubte ich mir zu bemerken.

      Er lachte, daß er rot wurde bis über die Ohren. »Wo denken Sie hin?« rief er. »Das wäre schön, wenn ich Sie ihm so plötzlich vor die Augen brächte. Nein, zuerst müssen Sie wissen, wie wir alle miteinander stehen. Es giebt nämlich in der Geschichte

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