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wie er be­gon­nen, hör­te Wolf Lar­sen auf zu flu­chen. Er zün­de­te sich wie­der sei­ne Zi­gar­re an und sah sich um. Sei­ne Au­gen fie­len auf den Koch. »Na, Köch­lein?« frag­te er mit ei­ner merk­wür­di­gen, kal­ten und stäh­ler­nen Leut­se­lig­keit.

      »Ja­wohl, Käptn«, schal­te­te der Koch be­flis­sen und ent­schul­di­gend ein.

      »Meinst du nicht, dass du jetzt lan­ge ge­nug den Kopf her­aus­ge­steckt hast? Das ist nicht ge­sund. Der Steu­er­mann ist tot, und dich kann ich nicht auch noch ent­beh­ren. Sei vor­sich­tig mit dei­ner Ge­sund­heit, Köch­lein. Ver­stan­den?«

      Das letz­te Wort traf im Ge­gen­satz zu der frü­he­ren Freund­lich­keit wie ein Peit­schen­hieb, und der Koch er­zit­ter­te.

      »Ja­wohl, Käptn«, ant­wor­te­te er schüch­tern, und der be­an­stan­de­te Kopf ver­schwand.

      Nach die­ser Ab­fuhr schi­en die Mann­schaft das In­ter­es­se an den Vor­gän­gen an Deck ver­lo­ren zu ha­ben und mach­te sich wie­der an die Ar­beit. Meh­re­re Leu­te je­doch, die zwi­schen der Ka­jü­te und der Kom­bü­se her­um­lun­ger­ten – sie schie­nen kei­ne See­leu­te zu sein –, spra­chen lei­se wei­ter mit­ein­an­der. Wie ich spä­ter er­fuhr, wa­ren es die Rob­ben­jä­ger, die sich hoch er­ha­ben über die ge­wöhn­li­chen Ma­tro­sen fühl­ten.

      »Jo­han­sen!« rief Wolf Lar­sen. Ein Ma­tro­se ge­horch­te. »Hol’ dir Pla­ten und Na­del und näh’ den Schuft ein. Al­tes Lei­nen fin­dest du in der Schiff­stru­he. Los!«

      »Was sol­len wir ihm an die Füße hän­gen, Käptn?« frag­te der Mann gleich­mü­tig.

      »Wird sich schon fin­den«, sag­te Wolf Lar­sen. Dann hob er die Stim­me und rief: »Köch­lein!«

      Tho­mas Mu­gridge sprang wie ein Schach­tel­männ­chen aus sei­ner Kom­bü­se.

      »Geh nach un­ten und füll’ einen Sack mit Koh­len.«

      »Hat ei­ner von euch eine Bi­bel oder ein Ge­bet­buch, Jun­gens?« lau­te­te die nächs­te Fra­ge, die der Ka­pi­tän dies­mal an die bei der Luke her­um­lun­gern­den Jä­ger rich­te­te.

      Sie schüt­tel­ten die Köp­fe, und ei­ner von ih­nen mach­te einen Witz, den ich nicht ver­stand, der aber all­ge­mei­nes Ge­läch­ter her­vor­rief.

      Wolf Lar­sen stell­te die glei­che Fra­ge an die Ma­tro­sen. Bi­beln und Ge­bet­bü­cher schie­nen ein sel­te­ner Ar­ti­kel an Bord zu sein, aber ei­ner der Leu­te er­bot sich, die Fra­ge an die Wa­che, die sich un­ten be­fand, wei­ter­ge­hen zu las­sen. Nach ei­ner Mi­nu­te kam er je­doch mit der Nach­richt zu­rück, dass keins von bei­den vor­han­den sei.

      Der Ka­pi­tän zuck­te die Ach­seln. »Dann las­sen wir ihn ohne Ge­schwätz ver­schwin­den, wenn un­ser schiff­brü­chi­ger Pas­tor nicht das See­manns­ri­tu­al aus­wen­dig weiß.«

      Bei die­sen Wor­ten dreh­te er sich um und sah mich an. »Sie sind Pas­tor, nicht wahr?« frag­te er.

      Die Jä­ger dreh­ten sich wie ein Mann um und be­trach­te­ten mich. Ich hat­te das pein­li­che Ge­fühl, ei­ner Vo­gel­scheu­che zu glei­chen. Mein Aus­se­hen ver­ur­sach­te ein schal­len­des Ge­läch­ter, das der An­blick des To­ten, der grin­send an Deck aus­ge­streckt lag, in kei­ner Wei­se dämpf­te, ein Ge­läch­ter, so rau und barsch wie das Meer sel­ber, aus der Keh­le von Män­nern, die we­der Schliff noch Zart­ge­fühl kann­ten.

      Wolf Lar­sen lach­te nicht, wenn sei­ne grau­en Au­gen auch leicht auf­leuch­te­ten. Ich war dicht an ihn her­an­ge­tre­ten, und jetzt er­hielt ich, ab­ge­se­hen von sei­ner äu­ße­ren Er­schei­nung und sei­nem Strom von Flü­chen, den ers­ten Ein­druck von dem Man­ne. Die be­deu­ten­den, fes­ten Züge ver­lie­hen sei­nem Ge­sicht trotz der Vier­schrö­tig­keit gute Pro­por­tio­nen. Wirk­te das Ge­sicht auf den ers­ten Blick eben­so mas­siv wie sein Kör­per, so ge­wann man doch bei nä­he­rer Be­trach­tung die Über­zeu­gung, dass in der Tie­fe sei­nes We­sens eine un­ge­heu­re, ent­setz­li­che Kraft schlum­mer­te. Mund, Kinn, die hohe Stirn, die sich schwer über den Au­gen wölb­te, al­les dies, je­des für sich schon un­ge­wöhn­li­che Stär­ke ver­ra­tend, zeug­te zu­sam­men von ei­ner un­sag­ba­ren Männ­lich­keit. Eine sol­che See­le ließ sich nicht aus­lo­ten, nicht er­mes­sen; sie dul­de­te kei­nen Ver­gleich.

      Die Au­gen – sie be­trach­te­te ich be­son­ders ein­ge­hen­d– wa­ren groß und schön, weit of­fen wie die ei­nes wirk­li­chen Künst­lers und von dich­ten schwar­zen Brau­en über­wölbt. Sie wa­ren von je­nem ver­än­der­li­chen Grau, das nie gleich­bleibt, wie chan­gie­ren­de Sei­de in der Son­ne spielt und zahl­lo­se Schat­tie­run­gen an­nimmt, die dun­kel- und hell­grau und grau­grün und manch­mal azur­blau wie die Tief­see sein kön­nen. Es wa­ren Au­gen, die die See­le hin­ter tau­send Ver­klei­dun­gen bar­gen, und die sich nur sel­ten öff­ne­ten, um sie un­ver­schlei­ert auf wun­der­ba­re Aben­teu­er in die Welt fah­ren zu las­sen – Au­gen, die mit der hoff­nungs­lo­sen Düs­ter­keit ei­nes blei­er­nen Him­mels brü­ten und wie­der Feu­er­fun­ken wie von ei­nem ge­schwun­ge­nen Schwert sprü­hen, die fros­tig wie eine ark­ti­sche Land­schaft wer­den und wie­der sanft wär­men konn­ten, und die, in­ten­siv und männ­lich – lo­ckend und bit­tend – in feu­ri­ger Lie­be blit­zend, Frau­en be­zau­bern und zu­gleich be­herr­schen moch­ten, dass sie sich in ei­nem Schau­er von Freu­de und Er­leich­te­rung er­ga­ben.

      Doch zu­rück zu mei­nem Be­richt: Ich er­klär­te, dass ich kein Geist­li­cher sei, also den Got­tes­dienst bei dem Be­gräb­nis lei­der nicht über­neh­men kön­ne.

      »Was für einen Be­ruf ha­ben Sie denn?«

      Ich ge­ste­he, dass man noch nie eine sol­che Fra­ge an mich ge­rich­tet, und dass auch ich selbst noch nie dar­über nach­ge­dacht hat­te. Ich war wie vor den Kopf ge­schla­gen, und ehe ich mich be­son­nen hat­te, stot­ter­te ich: »Ich – ich bin Gent­le­man.«

      Sei­ne Lip­pen kräu­sel­ten sich zu ei­nem ver­ächt­li­chen Lä­cheln.

      »Ich habe ge­ar­bei­tet, ich ar­bei­te wirk­lich«, rief ich eif­rig, als wäre er mein Rich­ter, der Re­chen­schaft von mir for­der­te, wäh­rend ich mir gleich­zei­tig ganz klar dar­über wur­de, wie dumm ich war, über­haupt auf die Fra­ge ein­zu­ge­hen.

      »Le­ben Sie da­von?«

      So her­risch und ge­bie­te­risch wirk­te er, dass ich ›klap­pern­d‹ wie ein zit­tern­des Kind vor dem ge­stren­gen Leh­rer da­stand.

      »Wer un­ter­hält Sie?« lau­te­te sei­ne nächs­te Fra­ge.

      »Ich bin ver­mö­gend«, ant­wor­te­te ich keck und hät­te mir im nächs­ten Au­gen­blick die Zun­ge ab­bei­ßen mö­gen. »Aber das hat doch al­les nichts mit der An­ge­le­gen­heit zu tun, über die ich mit Ih­nen zu spre­chen habe.«

      Er be­ach­te­te mei­nen Pro­test nicht.

      »Wer hat das Ver­mö­gen ver­dient? Nun? Dacht’ ich’s doch. Ihr Va­ter. Sie ste­hen auf den Fü­ßen ei­nes to­ten Man­nes. Sie selbst ha­ben nie was ge­habt. Sie wä­ren nicht im­stan­de, ih­rem hung­ri­gen Ma­gen von ei­nem Son­nen­auf­gang zum an­de­ren drei Mahl­zei­ten zu ver­schaf­fen. Zei­gen Sie mal Ihre Hän­de!«

      Sei­ne ent­setz­li­che schlum­mern­de Kraft muss sich in die­sem Au­gen­blick ge­regt,

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