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sie For­scher wa­ren, klet­ter­ten sie in das Groß­boot, das längs­seits am Schif­fe lag, und gin­gen an Land, es sich an­zu­se­hen. Und da er­blick­ten sie et­was, das le­ben­dig war, aber kaum An­spruch dar­auf er­he­ben konn­te, ein Mensch ge­nannt zu wer­den. Es war blind und be­wusst­los. Es kroch am Bo­den wie ein un­heim­li­ches Ge­würm. Die meis­ten An­stren­gun­gen, die es mach­te, wa­ren ver­geb­lich, aber es war voll zä­her Ener­gie, und es wand und krümm­te und schlän­gel­te sich wei­ter, so­dass es viel­leicht ein hal­b­es Dut­zend Schrit­te in der Stun­de wei­ter­kam.

      Drei Stun­den spä­ter lag der Mann in ei­ner Koje des Wal­fän­gers »Bed­ford«. Trä­nen ström­ten über sei­ne aus­ge­mer­gel­ten Wan­gen, als er be­rich­te­te, wer er war, und was er durch­ge­macht hat­te. Er schwätz­te auch un­zu­sam­men­hän­gen­des Zeug von ei­ner Mut­ter, von dem son­ni­gen Ka­li­for­ni­en und von ei­nem Heim zwi­schen Oran­gen­hai­nen und Blu­men.

      Es dau­er­te nicht mehr vie­le Tage, so saß er mit den Ge­lehr­ten und den Of­fi­zie­ren des Schif­fes bei Tisch. Er mach­te ein ganz dum­mes Ge­sicht, als er die vie­len Ge­rich­te sah, und folg­te mit ängst­li­chen Bli­cken je­dem Bis­sen, der im Mun­de ei­nes an­de­ren ver­schwand. Und je­des Mal, wenn der Bis­sen ver­schwun­den war, kam ein selt­sa­mer Aus­druck von tie­fem Be­dau­ern in sei­ne Au­gen. Sein Ver­stand war völ­lig in­takt, aber den­noch hass­te er bei je­der Mahl­zeit die an­de­ren Män­ner. Er wur­de von der Furcht ge­plagt, dass die Le­bens­mit­tel nicht aus­rei­chen könn­ten. Er frag­te den Ka­pi­tän, den Koch, den Ka­jüts­jun­gen über die Le­bens­mit­tel­be­stän­de aus. Sie ga­ben ihm un­zäh­li­ge Male be­ru­hi­gen­de Er­klä­run­gen. Aber er hat­te nicht den Mut, ih­nen zu glau­ben, und bat hän­de­rin­gend, den Vor­rats­raum be­sich­ti­gen und mit ei­ge­nen Au­gen die Be­stän­de fest­stel­len zu dür­fen.

      Man sah, dass der Mann im­mer di­cker wur­de. Er nahm tat­säch­lich mit je­dem Tag an Um­fang zu. Die Ge­lehr­ten schüt­tel­ten die Köp­fe und ver­such­ten al­ler­lei Er­klä­run­gen. Sie setz­ten sei­ne Ra­tio­nen bei den Mahl­zei­ten her­ab, aber den­noch wur­de er im­mer di­cker, und man konn­te se­hen, wie sein Kör­per in un­heim­li­cher­wei­se un­ter dem Hemd an­schwoll.

      Die Ma­tro­sen grins­ten. Sie wuss­ten näm­lich Be­scheid. Und als die For­scher ihn über­wa­chen lie­ßen, dau­er­te es nicht lan­ge, so wuss­ten sie auch Be­scheid. Sie sa­hen, wie er sich nach dem Früh­stück nach vorn schlich und sich wie ein Bett­ler mit aus­ge­streck­ter Hand ei­nem Ma­tro­sen nä­her­te. Der See­mann grins­te und reich­te ihm einen Bro­cken von ei­nem Zwie­back. Er nahm ihn gie­rig, be­trach­te­te ihn, wie ein Ar­mer einen Gold­klum­pen be­trach­ten wür­de, und steck­te ihn un­ter sein Hemd. Von den an­de­ren grin­sen­den Ma­tro­sen be­kam er ähn­li­che Ge­schen­ke.

      Die For­scher wa­ren dis­kret und lie­ßen ihn ge­wäh­ren. In al­ler Stil­le un­ter­such­ten sie aber sei­ne Koje. Und da ent­deck­ten sie, dass die Koje mit Zwiebä­cken ge­füt­tert war. Die Ma­trat­zen wa­ren mit Zwiebä­cken aus­ge­stopft. Je­der Win­kel und jede Rit­ze war mit Zwiebä­cken aus­ge­füllt. Und doch war sein Ver­stand völ­lig in Ord­nung. Er woll­te sich nur ge­gen die Mög­lich­keit ei­nes neu­en Ver­hun­gerns si­che­ren – das war al­les. Die For­scher er­klär­ten, dass er ge­sund wer­den wür­de. Und er war es auch, schon ehe die »Bed­ford« in der Bucht von San Fran­zis­ko vor An­ker ging.

Der Seewolf Erster Teil

      1

      Ich weiß kaum, wo be­gin­nen, wenn ich zu­wei­len auch im Scherz Char­ley Fu­ru­seth alle Schuld gebe. Er be­saß ein Som­mer­haus auf dem Lan­de, in Mill Val­ley, im Schat­ten des Ta­mal­pais, be­zog es aber nur, wenn er sich die Win­ter­mo­na­te ver­trei­ben und, um aus­zu­span­nen, Nietz­sche und Scho­pen­hau­er le­sen woll­te. Kam der Som­mer, so gab er ei­nem hei­ßen, stau­bi­gen Da­sein in der Stadt mit un­abläs­si­ger Ar­beit den Vor­zug. Wäre es nicht mei­ne Ge­wohn­heit ge­we­sen, ihn all­wö­chent­lich von Sonn­abend nach­mit­tag bis Mon­tag mor­gen zu be­su­chen, so hät­te mich eben die­ser Ja­nu­ar-Mon­tag­mor­gen nicht auf der Bucht von San Fran­cis­co ge­se­hen.

      Das Schiff, auf dem ich mich be­fand, bot alle Si­cher­heit. Die ›Mar­ti­ne­z‹ war eine neue Dampf­fäh­re, die ihre vier­te oder fünf­te Fahrt auf der Rou­te Sau­sa­li­to-San Fran­cis­co zu­rück­leg­te. Aber der dich­te Ne­bel, der die Bucht wie mit ei­ner De­cke über­zog, und von dem ich als Lan­drat­te kei­ne rech­te Vor­stel­lung hat­te, war ge­fahr­dro­hend. In der Tat er­in­ne­re ich mich noch der sanf­ten Er­re­gung, mit der ich mei­nen Platz vorn auf dem Ober­deck ge­ra­de un­ter­halb des Lot­sen­hau­ses ein­ge­nom­men hat­te, wäh­rend die Ge­heim­nis­se des Ne­bels mei­ne Fan­ta­sie um­span­nen. Es weh­te eine fri­sche Bri­se, und eine Zeit lang be­fand ich mich al­lein, in feuch­te Fins­ter­nis gehüllt – al­lein und doch nicht al­lein, denn ich hat­te das un­be­stimm­te Ge­fühl, dass sich der Lot­se und noch ein We­sen, das ich für den Ka­pi­tän hielt, oben im Glas­hau­se über mei­nem Kop­fe be­fan­den.

      Ich dach­te dar­an, wie be­quem die Ar­beits­tei­lung war, die mich der Mühe ent­hob, Ne­bel, Win­de, Ge­zei­ten und Schiff­fahrts­kun­de zu stu­die­ren, und mir doch er­laub­te, mei­nen Freund jen­seits der Bucht zu be­su­chen. Ich stell­te Be­trach­tun­gen über den Vor­teil der Spe­zia­li­sie­rung des Men­schen an. Das Son­der­wis­sen ei­nes Lot­sen und ei­nes Ka­pi­täns ge­nüg­te für vie­le Tau­sen­de, die eben­so­we­nig von See und Schiff­fahrt ver­stan­den wie ich. Und ich wie­der­um hat­te es nicht nö­tig, mei­ne Kräf­te auf das Stu­di­um un­zäh­li­ger Din­ge zu ver­schwen­den, son­dern konn­te mich auf ei­ni­ge we­ni­ge kon­zen­trie­ren, wie au­gen­blick­lich auf eine Un­ter­su­chung der Stel­lung Poes zu der üb­ri­gen ame­ri­ka­ni­schen Li­te­ra­tur – wor­über ich, ne­ben­bei be­merkt, ge­ra­de einen Auf­satz in der Zeit­schrift ›At­lan­ti­c‹ ge­schrie­ben hat­te. Als ich an Bord ge­kom­men war, hat­te ich beim Durch­schrei­ten der Ka­jü­te einen star­ken Herrn mit den Au­gen ver­schlun­gen, der in die, ›At­lan­ti­c‹ und of­fen­bar ge­ra­de in mei­nen Auf­satz ver­tieft war. Und auch hier wie­der das Sys­tem der Ar­beits­tei­lung: Das Son­der­wis­sen von Lot­sen und Ka­pi­tän brach­ten den star­ken Herrn si­cher von Sau­sa­li­to nach San Fran­cis­co und er­laub­ten ihm da­bei, sich an den Früch­ten mei­nes Son­der­wis­sens über Poe zu la­ben.

      Ein Mann mit ro­tem Ge­sicht un­ter­brach mei­ne Be­trach­tun­gen. Er warf ge­räusch­voll die Ka­jü­ten­tür hin­ter sich zu und stapf­te schwer­fäl­lig aufs Deck hin­aus. Er warf einen ra­schen Blick auf das Lot­sen­haus, be­trach­te­te den Ne­bel, stapf­te hin und zu­rück über das Deck (es sah aus, als hät­te er künst­li­che Bei­ne) und blieb end­lich spreiz­bei­nig und mit ei­nem Aus­druck her­ber Freu­de im Ge­sicht ne­ben mir ste­hen. Ich ging wohl nicht fehl in mei­ner Ver­mu­tung, dass er sei­ne Tage auf dem Mee­re ver­bracht hat­te.

      »Scheuß­li­ches Wet­ter! Ein Wet­ter, das ei­nem vor­zei­tig graue Haa­re ver­schafft!« rief er und nick­te in der Rich­tung des Lot­sen­hau­ses.

      »Ich hät­te nicht ge­glaubt, dass hier be­son­de­re Kunst nö­tig sei!« ant­wor­te­te ich. »Es sieht so ein­fach aus wie das Abc. Der Kom­pass gibt die Rich­tung an. Ent­fer­nung und Fahr­ge­schwin­dig­keit sind be­kannt. Ich soll­te mei­nen, dass al­les mit ma­the­ma­ti­scher Ge­nau­ig­keit zu be­rech­nen wäre!«

      »Kunst!«

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