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an­zu­tre­ten, be­fand sich der Beu­tel un­ter den Sa­chen, die er auf sei­nem Rücken trug.

      Er bog nach links ab. Hie und da blieb er ste­hen, um Moos­bee­ren zu es­sen. Sein Fuß­ge­lenk war jetzt ganz steif, er hin­k­te stär­ker als zu­vor, aber der Schmerz in dem Fuß war nichts ge­gen die Qua­len, die ihm sein lee­rer Ma­gen ver­ur­sach­te. Der Hun­ger be­gann sehr weh zu tun. Er fühl­te ihn im­mer stär­ker und schmerz­haf­ter, bis er nicht mehr im­stan­de war, sei­ne Ge­dan­ken auf den Weg zu rich­ten, den er ein­schla­gen muss­te, um nach dem »Lan­de der klei­nen Zwei­ge« zu ge­lan­gen. Die Moos­bee­ren ver­moch­ten nichts ge­gen die Schmer­zen. Sie mach­ten nur durch ihre bei­ßen­de Schär­fe sei­ne Zun­ge und sei­nen Sch­lund ganz wund.

      Er er­reich­te ein Tal, wo Berg­schneehüh­ner sich auf flat­tern­den Flü­geln von Fels­blö­cken und Moos­bee­ren­sträu­chern in die Luft er­ho­ben. »Kerr … Kerr … Kerr …« schri­en sie. Er warf ih­nen Stei­ne nach, konn­te sie aber nicht tref­fen. Er leg­te sein Bün­del auf den Bo­den und pürsch­te sich an sie her­an, wie eine Kat­ze an einen Sper­ling. Die schar­fen Stei­ne zer­ris­sen ihm die Ho­sen, bis sei­ne Knie eine Fähr­te von Blut hin­ter­lie­ßen. Aber der Schmerz, den der Hun­ger ver­ur­sach­te, war so groß, dass er sonst nichts emp­fand. Er schlüpf­te durch das feuch­te Moos, sei­ne Klei­der wur­den durch­nässt, sein Kör­per zit­ter­te vor Käl­te, aber er merk­te es gar nicht, so furcht­bar brann­te das Fie­ber des Hun­gers. Und im­mer wie­der er­ho­ben die Schneehüh­ner sich und um­flat­ter­ten ihn, bis ihm ihr ewi­ges »Kerr … Kerr … Kerr …« wie ein blu­ti­ger Hohn er­schi­en. Und er ver­fluch­te sie und rief ih­nen ih­ren ei­ge­nen Schrei zu.

      Ein­mal stol­per­te er so­gar über ein Schnee­huhn, das wahr­schein­lich ein­ge­schla­fen war. Er hat­te es gar nicht be­merkt, bis es aus sei­nem stei­ni­gen Win­kel ihm di­rekt ins Ge­sicht flat­ter­te. Er hasch­te nach dem Vo­gel, aber sei­ne Be­we­gung war eben­so er­schro­cken und un­ge­schickt wie der Flug des Schnee­huhns aus dem Ver­steck, und so blie­ben ihm nur ein paar Schwung­fe­dern in der Hand. Als er es weg­flie­gen sah, fühl­te er einen flam­men­den Hass ge­gen den Vo­gel, als hät­te der ihm et­was Furcht­ba­res an­ge­tan. Dann kehr­te er um und lud sich das Bün­del wie­der auf die Schul­tern.

      Im Lau­fe des Ta­ges er­reich­te er auch an­de­re Tä­ler und Schluch­ten, wo es reich­lich Wild gab. Eine gan­ze Her­de von Renn­tie­ren kam an ihm vor­bei … viel­leicht zwan­zig. Und das Schlimms­te war, dass sie in­ner­halb Schuss­wei­te gin­gen und dass sei­ne Büch­se leer war. Er emp­fand eine wahn­sin­ni­ge Lust, ih­nen nach­zu­lau­fen, und war über­zeugt, sie ein­ho­len zu kön­nen. Ein schwar­zer Fuchs spa­zier­te ein­mal dicht vor sei­ner Nase vor­bei – mit ei­nem Schnee­huhn im Maul. Der Mann schrie auf. Aber ob­gleich der Fuchs töd­lich er­schrak und in großen Sprün­gen flüch­te­te, ließ er doch das Schnee­huhn nicht fal­len.

      Am spä­ten Nach­mit­tag ging der Mann an ei­nem mil­chi­gen Fluss ent­lang, der voll Kalk und an ein­zel­nen Stel­len mit Schilf be­wach­sen war. Er riss die Schilf­hal­me ab, so nahe an der Wur­zel wie mög­lich, und pflück­te ein Stück her­aus, das un­ge­fähr wie ganz jun­ge Zwie­belkeim­lin­ge aus­sah und nicht län­ger als ein Bil­der­na­gel war. Es war zart, und als sei­ne Zäh­ne sich dar­in ver­gru­ben, knack­te es knusp­rig, dass er dach­te, eine de­li­ka­te Spei­se ge­fun­den zu ha­ben. Aber die Fi­bern wa­ren zäh, un­ge­nieß­ba­re Fa­sern, die von Was­ser durch­tränkt wa­ren, ganz wie die Moos­bee­ren. Nähr­wert hat­ten sie über­haupt nicht. Und doch schleu­der­te er sein Ge­päck fort und kroch in das Schilf. Er kau­te und fraß wie ein Vieh.

      Er war sehr müde und hat­te oft ge­nug nur den einen Ge­dan­ken, sich hin­zu­le­gen und aus­zu­ru­hen – ganz still zu lie­gen und zu schla­fen. Aber er wur­de un­auf­halt­sam wei­ter­ge­trie­ben – nicht so sehr durch den Wunsch, das »Land der klei­nen Zwei­ge« zu er­rei­chen, wie durch den ewig na­gen­den Hun­ger. Er such­te in den klei­nen Pfüt­zen nach Fröschen und grub mit sei­nen Nä­geln in der Erde nach Wür­mern, ob­gleich er ganz ge­nau wuss­te, dass es so hoch im Nor­den we­der Frösche noch Wür­mer gab.

      Ver­ge­bens un­ter­such­te er den kleins­ten Tüm­pel, bis er end­lich, als die Däm­me­rung schon längst an­ge­bro­chen war, in ei­ner Pfüt­ze einen ein­sa­men Fisch ent­deck­te. Er war nicht grö­ßer als eine El­rit­ze. Den­noch steck­te der Mann sei­nen Arm bis zur Schul­ter in das ei­si­ge Was­ser, aber der Fisch ent­schlüpf­te ihm. Er griff mit bei­den Hän­den nach ihm, doch das Was­ser wur­de durch den mil­chi­gen Bo­den­schlamm so ge­trübt, dass er kaum et­was se­hen konn­te. In sei­ner Auf­re­gung fiel er auch noch selbst in die Pfüt­ze und wur­de bis zum Lei­be nass. Und jetzt war das Was­ser so trü­be ge­wor­den, dass al­les wei­te­re Su­chen zweck­los war. Er muss­te des­halb war­ten, bis es schließ­lich wie­der klar ge­wor­den war.

      Dann er­neu­er­te er sei­ne An­stren­gun­gen, den Fisch zu fan­gen. Aber er war zu un­ge­dul­dig. Des­halb nahm er sei­nen Zinn­be­cher aus dem Bün­del und be­gann die Pfüt­ze leer zu schöp­fen. Zu­erst ar­bei­te­te er wie ein Wil­der drauf­los, be­spritz­te sich und schleu­der­te das Was­ser nicht weit ge­nug, so­dass es wie­der in die Pfüt­ze lief. Dann nahm er sich zu­sam­men und mach­te es mit grö­ße­rer Sorg­falt. Er be­müh­te sich, ru­hig und kühl zu blei­ben, ob­gleich sein Herz ge­gen die Brust häm­mer­te und sei­ne Hän­de zit­ter­ten. Nach ei­ner hal­b­en Stun­de an­stren­gen­der Ar­beit war die Pfüt­ze fast leer. Kaum eine Tas­se voll war noch üb­rig. Aber – jetzt war kein Fisch mehr da. Nach lan­gem Su­chen fand er dann eine ver­bor­ge­ne Rit­ze im Stein­grund, durch die der Fisch in eine grö­ße­re Pfüt­ze, die da­ne­ben lag, ent­schlüpft war und die­se Pfüt­ze war zu groß, als dass er sie hät­te lee­ren kön­nen. Hät­te er nur eine Ah­nung vom Vor­han­den­sein der Rit­ze ge­habt, so hät­te er sie gleich mit ei­nem Stein ver­sper­ren kön­nen, und der Fisch wäre ihm leicht zur Beu­te ge­fal­len.

      So dach­te er und ver­such­te auf­zu­ste­hen, sank aber müde auf dem feuch­ten Bo­den um. An­fangs sprach er lei­se mit sich selbst, dann be­gann er im­mer lau­ter in die un­barm­her­zi­ge Ein­öde hin­aus­zu­ru­fen, die um ihn her brü­te­te. Und zu­letzt wur­de er von ei­nem krampf­haf­ten, trä­nen­lo­sen Schluch­zen ge­rüt­telt.

      Er mach­te ein Feu­er und wärm­te sich durch große Schlu­cke brüh­hei­ßen Was­sers. Dann be­rei­te­te er sich am fel­si­gen Ufer des Stro­mes ein La­ger, wie er es am Abend zu­vor ge­tan hat­te. Das letz­te, was er tat, war, dass er un­ter­such­te, ob sei­ne Streich­höl­zer tro­cken wa­ren. Dann zog er sei­ne Uhr auf. Die De­cken wa­ren feucht und klamm. In sei­nem Fuß­ge­lenk häm­mer­te der Schmerz. Aber er dach­te nur an ei­nes: dass er hung­rig war. Und in sei­nem un­ru­hi­gen Schlaf träum­te er von Fes­ten und Ban­ket­ten und von wun­der­ba­ren Ge­rich­ten, die ihm auf alle mög­li­che Art und Wei­se vor­ge­setzt wur­den.

      Er wach­te frie­rend und elend auf. Kei­ne Son­ne war zu se­hen. Das Grau der Erde und des Him­mels war noch tiefer ge­wor­den, noch un­durch­dring­li­cher. Ein rau­er Wind weh­te, und die ers­ten Schnee­fäl­le hat­ten die Gip­fel der Hü­gel mit weißem Schim­mer ver­hüllt. Die Luft um ihn wur­de dich­ter und wei­ßer, wäh­rend er Feu­er mach­te und Was­ser koch­te. Es war ein nas­ser Schnee, halb­wegs Re­gen, und die Flo­cken wa­ren groß und klamm. An­fangs zer­schmol­zen sie, so­bald sie den Bo­den be­rühr­ten, aber es fie­len im­mer mehr, und schließ­lich ver­hüll­ten sie die Erde, ver­lösch­ten das Feu­er und verd­ar­ben ihm sei­nen Vor­rat an tro­ckenem Moos, das er zum Feu­er­ma­chen

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