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dem Tage, als er zum ers­ten Mal ihre von ge­schäf­ti­gen Men­schen über­füll­ten Räu­me be­trat, hat­ten ihn alle im Ver­dacht, ein Spi­on – ein Spit­zel im Ge­heim­dienst des Diaz zu sein. Zu vie­le von sei­nen Ka­me­ra­den sa­ßen rings in den Ve­rei­nig­ten Staa­ten in Zi­vil- und Mi­li­tär­ge­fäng­nis­sen, und an­de­re wie­der wa­ren ge­ra­de in die­ser Zeit in Ket­ten über die Gren­ze ge­schafft und an die Wand ge­stellt wor­den.

      Auf den ers­ten Blick mach­te der jun­ge Bur­sche kei­nen gu­ten Ein­druck auf sie. Er war nicht mehr als acht­zehn Jah­re alt, nicht be­son­ders groß und er­klär­te, Fe­li­pe Ri­ve­ra zu hei­ßen und für die Re­vo­lu­ti­on ar­bei­ten zu wol­len. Das war al­les – kein Wort mehr. Er blieb aber war­tend ste­hen. Kein Lä­cheln war um sei­nen Mund, kei­ne Lie­bens­wür­dig­keit in sei­nen Au­gen. Den großen schnei­di­gen Pau­li­no Vera schau­der­te es in­ner­lich. Hier war et­was Ab­sto­ßen­des, Furcht­ba­res, Uner­gründ­li­ches. Et­was Gif­ti­ges, Schlan­gen­ar­ti­ges war in den schwar­zen Au­gen des Kna­ben. Sie brann­ten wie kal­tes Feu­er und gleich­sam in ei­ner un­ge­heu­ren, ge­schlif­fe­nen Er­bit­te­rung. Von den Ge­sich­tern der Ver­schwo­re­nen ließ er den Blick zu der Schreib­ma­schi­ne schwei­fen, an der die klei­ne Frau Seth­by, eif­rig ar­bei­tend, saß. Sei­ne Au­gen such­ten die ih­ren, aber nur für eine Se­kun­de – sie blick­te zu­fäl­lig auf –, und auch sie hat­te ein un­be­stimm­ba­res selt­sa­mes Ge­fühl, das sie ihre Ar­beit un­ter­bre­chen ließ. Sie muss­te das Ge­schrie­be­ne noch ein­mal durch­le­sen, um den Brief, an dem sie ar­bei­te­te, fer­tig­tip­pen zu kön­nen.

      Pau­li­no Vera sah Ar­rel­la­no und Ra­mos fra­gend an, und sie sa­hen sich ge­gen­sei­tig rat­los an. In ih­rem Blick war Un­si­cher­heit und Zwei­fel. Die­ser schmäch­ti­ge Be­su­cher war der Un­be­kann­te, und al­les dro­hen­de Un­be­ha­gen des Un­be­kann­ten um­gab ihn. Man konn­te aus ihm nicht klug wer­den, er war so ganz jen­seits des Ho­ri­zon­tes die­ser eh­ren­wer­ten, schlich­ten Ver­schwö­rer. Ihr wil­der Hass ge­gen Diaz und sei­ne Ty­ran­nei war der Hass eh­ren­wer­ter, schlich­ter Pa­trio­ten.

      Hier aber war et­was an­de­res und Stär­ke­res, sie wuss­ten frei­lich nicht recht, was. Aber Vera, der stets der Ent­schlos­sens­te und Tat­kräf­tigs­te war, pack­te den Stier bei den Hör­nern.

      »Schön«, sag­te er kühl. »Sie sa­gen, dass Sie für die Re­vo­lu­ti­on ar­bei­ten wol­len. Zie­hen Sie sich den Rock aus! Hän­gen Sie ihn dort­hin. Ich wer­de Ih­nen zei­gen – kom­men Sie –, wo die Ei­mer und Wischlap­pen sind. Der Fuß­bo­den ist schmut­zig. Sie kön­nen gleich an­fan­gen, ihn hier und in den an­de­ren Zim­mern auf­zu­wi­schen. Auch die Spuck­näp­fe müs­sen ge­rei­nigt wer­den. Und au­ßer­dem die Fens­ter.«

      »Ist es für die Re­vo­lu­ti­on?« frag­te der Bur­sche.

      »Für die Re­vo­lu­ti­on!« ant­wor­te­te Vera.

      Ri­ve­ra sah sie alle kalt und miss­trau­isch an und zog sich dann den Rock aus.

      »Es ist gut«, sag­te er.

      Wei­ter nichts. Tag für Tag kam er zu sei­ner Ar­beit feg­te, schrubb­te und mach­te rein. Er nahm die Asche aus dem Ofen, hol­te Koh­len und Holz und mach­te Feu­er und war der ers­te im Büro.

      »Kann ich hier schla­fen?« frag­te er ein­mal.

      Aha! Das war es – die Hand Dia­z’ kam zum Vor­schein. Wenn er in den Räu­men der Jun­ta schlief, be­deu­te­te das, dass er Zu­tritt zu ih­ren Ge­heim­nis­sen, zu den Na­mens­lis­ten, zu den Adres­sen der Ka­me­ra­den in Me­xi­ko er­lang­te. Die Bit­te wur­de ab­ge­schla­gen, und Ri­ve­ra kam nie mehr dar­auf zu spre­chen. Er schlief, sie wuss­ten nicht wo, und aß, sie wuss­ten nicht wo und was. Ein­mal bot Ar­rel­la­no ihm ein paar Dol­lars an. Ri­ve­ra lehn­te das Geld je­doch ab. Als Vera dann hin­zu­trat und es ihm auf­zu­nö­ti­gen ver­such­te, sag­te er: »Ich ar­bei­te für die Re­vo­lu­ti­on.«

      Eine Re­vo­lu­ti­on vor­zu­be­rei­ten kos­tet Geld, und die Jun­ta be­fand sich stets in Geld­ver­le­gen­heit. Die Mit­glie­der hun­ger­ten und ra­cker­ten sich ab, der längs­te Ar­beits­tag war ih­nen nicht lang ge­nug, und doch sah es zu­wei­len so aus, als stün­de und fie­le al­les mit der Fra­ge, wie sie sich nur ei­ni­ge Dol­lars ver­schaf­fen könn­ten.

      Ein­mal – es war das ers­te Mal, dass sie zwei Mo­na­te mit der Mie­te im Rück­stand wa­ren und der Wirt sie hin­aus­zu­set­zen droh­te – war es Fe­li­pe Ri­ve­ra, der Rei­ne­ma­che­jun­ge in der schä­bi­gen, ab­ge­tra­ge­nen Klei­dung, der sech­zig Dol­lar in Gold auf May Seth­bys Pult leg­te. Und eben­so bei an­de­ren Ge­le­gen­hei­ten. Drei­hun­dert auf den ge­schäf­ti­gen Schreib­ma­schi­nen ge­klap­per­te Brie­fe (Bit­ten um Un­ter­stüt­zung, um Aner­ken­nung be­freun­de­ter Grup­pen, Er­su­chen an Schrift­lei­ter um wohl­wol­len­de Er­wäh­nung und so wei­ter) blie­ben lie­gen und war­te­ten auf die Fran­kie­rung. Veras Uhr ver­schwand – die alte gol­de­ne Re­pe­tier­uhr, die er von sei­nem Va­ter ge­erbt hat­te. Der glat­te gol­de­ne Ring an May Seth­bys Ring­fin­ger ver­schwand eben­falls. Es war zum Verzwei­feln. Ra­mos und Ar­rel­la­no zerr­ten wü­tend an ih­ren lan­gen Schnurr­bär­ten. Die Brie­fe muss­ten ab­ge­hen, und auf der Post gab es kei­nen Kre­dit beim Kauf von Brief­mar­ken. Da setz­te Ri­ve­ra den Hut auf und ging fort. Als er wie­der­kam, leg­te er tau­send Brief­mar­ken zu zwei Cent auf May Seth­bys Pult.

      »Ich möch­te wis­sen, ob das ver­fluch­te Geld von Diaz ist?« sag­te Vera zu den Ka­me­ra­den.

      Sie zo­gen die Brau­en hoch, wag­ten aber nicht, die Fra­ge zu be­ant­wor­ten. Und im­mer war es Fe­li­pe Ri­ve­ra, der, wenn es er­for­der­lich war, der Jun­ta Gold und Sil­ber ver­schaff­te.

      Aber sie lieb­ten ihn nicht, und sie kann­ten ihn nicht. Er ging sei­ne ei­ge­nen Wege, schenk­te ih­nen kein Ver­trau­en und wies alle An­nä­he­rungs­ver­su­che zu­rück. Und trotz sei­ner Ju­gend brach­te kei­ner den Mut auf, ihn aus­zu­fra­gen.

      »Er ist über­haupt kein Mensch«, sag­te Ra­mos.

      »Sei­ne See­le ist aus­ge­dörrt«, sag­te May Seth­by. »Er kann nicht la­chen. Er gleicht ei­nem To­ten und ist doch furcht­bar le­ben­dig.«

      »Er ist durch die Höl­le ge­gan­gen«, sag­te Vera. »So sieht man nur aus, wenn man durch die Höl­le ge­gan­gen ist – und da­bei ist er noch so jung.«

      Fe­li­pe sprach nie, frag­te nie, schlug nie et­was vor. Er lausch­te aus­drucks­los wie ein to­ter Ge­gen­stand, aber sei­ne Au­gen leuch­te­ten in kal­tem Glanz, wenn die an­de­ren laut und lei­den­schaft­lich von Me­xi­ko spra­chen. Dann glit­ten sei­ne Au­gen von Ge­sicht zu Ge­sicht, von Red­ner zu Red­ner, boh­rend und for­schend und mit ei­nem Schim­mer wie fun­keln­des Eis, das sie stör­te und aus der Fas­sung brach­te.

      »Er ist kein Spi­on«, ver­trau­te Vera May Seth­by an. »Er ist Pa­tri­ot – glaub mir, der größ­te Pa­tri­ot von uns al­len. Ich weiß es, ich füh­le es, mit mei­nem Her­zen und mei­nem Ver­stand füh­le ich es. Aber von ihm sel­ber weiß ich nicht das ge­rings­te.«

      »Er hat ein ge­fähr­li­ches Tem­pe­ra­ment«, sag­te May Seth­by.

      »Ich weiß«, sag­te Vera schau­dernd. »Er hat mich mit die­sen Au­gen an­ge­se­hen. Die spre­chen nicht von Lie­be, sie dro­hen und sind wild wie die ei­nes Ti­gers. Wenn ich un­se­re Sa­che im Stich las­se, dann wür­de

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