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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher
Год выпуска 0
isbn 9788026824862
Автор произведения Стендаль
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Man erwog den Plan lange hin und her; er war der Duchezza stark zuwider.
»Beweisen Sie mir,« sagte sie zum Grafen, »daß jede andere Laufbahn für Fabrizzio unmöglich ist!«
Der Graf bewies es.
»Sie bedauern,« schloß er, »daß er keine glänzende Uniform tragen wird; aber das kann ich nicht ändern.«
Nach vier Wochen Bedenkzeit fügte sie sich seufzend in die weisen Vorschläge des Ministers.
»Entweder reitet er blasiert seinen Vollblüter in irgendeiner Großstadt,« wiederholte der Graf, »oder er ergreift einen Beruf, der sich mit seinem Namen nicht verträgt. Einen Mittelweg finde ich nicht. Es ist ein Unglück, daß ein Edelmann heutzutage nicht Arzt und nicht Advokat werden kann. Das neunzehnte Jahrhundert ist den Rechtsverdrehern günstig.«
»Erinnern Sie sich auch immer daran, gnädige Frau,« fügte Mosca hinzu, »daß Sie Ihrem Neffen auf dem Pflaster Mailands das Schicksal aller bevorzugten jungen Leute bereiten. Sobald er seine Begnadigung erlangt hat, geben Sie ihm fünfzehn-, zwanzig-, dreißigtausend Franken. Sie haben es ja. Wir wollen alle beide keine Ersparnisse machen.«
Die Herzogin war für Ruhm empfänglich. Sie wollte nicht, daß Fabrizzio ein bloßer Geldvertuer werde. Das führte sie auf den Plan ihres Geliebten zurück.
»Bedenken Sie,« sagte der Graf, »daß ich aus Fabrizzio keinen typischen Priester machen will, wie sie in Massen umherlaufen. Nein, er soll vor allem ein Grandseigneur werden. Er kann vollkommen Ignorant bleiben, wenn ihm das Spaß macht, und dabei doch Bischof und Erzbischof werden; nur muß der Fürst in mir weiterhin einen nützlichen Menschen sehen.
Sobald Ihre Befehle meinen Vorschlag in eine unumstößliche Verfügung verwandelt haben,« setzte der Graf hinzu, »soll Parma unseren Schützling keinesfalls in ärmlichen Verhältnissen erblicken. Wenn er als einfacher Priester aufträte, so wäre das ein Fehler. Er darf in Parma nur in violetten Strümpfen auftauchen und mit entsprechendem Lebenszuschnitt. Dann wird jedermann von vornherein erraten, daß Ihr Neffe Bischof werden soll, und kein Mensch hat etwas dagegen. Wenn Sie auf meinen Rat hören wollen, so lassen Sie Fabrizzio Theologie studieren und schicken ihn drei Jahre nach Neapel. Seine akademischen Ferien kann er in Paris und London verleben, wenn er will; nur darf er sich niemals in Parma zeigen.«
Diese Forderung gab der Duchezza einen Stich ins Herz. Sie schickte ihrem Neffen einen Eilboten und bestellte ihn zu einer Zusammenkunft nach Piacenza. Es bedarf wohl keiner Erwähnung, daß dieser Bote zugleich der Überbringer der nötigen Pässe und Geldmittel war.
Fabrizzio kam vor der Duchezza in Piacenza an. Er eilte seiner Tante entgegen und umarmte sie so leidenschaftlich, daß sie in Tränen zerfloß. Sie war froh, daß der Graf nicht zugegen war. Es war das erste Mal, seit sie mit ihm ein Liebesverhältnis hatte, daß diese Empfindung sie befiel.
Fabrizzio war tief bewegt und dann tief betrübt über die Pläne, die die Duchezza mit ihm vorhatte. Es war immer seine Hoffnung gewesen, schließlich Soldat zu werden, wenn die Geschichte von Waterloo ins reine gebracht wäre. Ein Umstand setzte die Herzogin in Erstaunen und bestärkte sie in dem romantischen Urteil, das sie sich über ihren Neffen gebildet hatte: er zeigte durchaus keine Neigung, ein Kaffeehausleben in einer italienischen Großstadt zu führen.
»Du könntest dich auf dem Korso von Florenz oder Neapel mit englischen Vollblutpferden sehen lassen«, sagte die Duchezza zu ihm. »Du könntest einen Wagen haben, eine hübsche Wohnung und so weiter!«
Voller Entzücken verweilte sie bei der Schilderung dieses Alltagsglückes, das Fabrizzio verächtlich zurückwies. ›Er ist ein Held!‹ dachte sie.
»Und wenn ich zehn Jahre lang dieses Leben der großen Welt geführt habe, was mache ich dann?« fragte Fabrizzio. »Was bin ich dann? Ein fertiger junger Mann, der das Feld dem Erstbesten überläßt, der neu in die Welt tritt und auch seine Vollblüter besitzt.«
Den Vorschlag mit der Kirche wies Fabrizzio zunächst weit von sich. Er sprach davon, nach Neuyork zu gehen, das Bürgerrecht zu erwerben und Soldat der amerikanischen Republik zu werden.
»Da würdest du stark enttäuscht sein! Dort drüben wirst du keinen Krieg erleben und auch ein Kaffeehausleben führen, nur ohne Eleganz, ohne Musik, ohne Liebe«, warf die Duchezza ein. »Glaube mir, für Menschen wie du und ich wäre ein Leben wie das amerikanische traurig.«
Sie erläuterte ihm die Dollaranbetung und die Rücksicht, die man dort auf jeden kleinen Handwerker nehmen müsse, weil von dessen Stimme alles abhinge. So kam man auf die geistliche Laufbahn zurück.
»Bevor du dich allzusehr ereiferst,« riet die Herzogin, »höre erst einmal genau an, was der Graf von dir will. Es handelt sich durchaus nicht darum, daß du ein armer, mehr oder weniger musterhafter und tugendsamer Priester wirst, wie etwa der Abbate Blanio. Denke daran, was deine Großonkel, die Erzbischöfe von Parma, gewesen sind; lies einmal deren Leben im Anhang unserer Familienchronik! Ein Mann deines Namens muß in erster Linie Grandseigneur sein, vornehm, großmütig, ein Beschützer der Gerechtigkeit, fähig, an die Spitze seines Standes zu treten, ein Mensch, der in seinem ganzen Leben nur einmal ein Halunke ist, dann aber ordentlich zu seinem Nutzen.«
»So werden alle meine Träume zu Wasser«, sagte Fabrizzio mit einem tiefen Seufzer. »Ein grausames Opfer! Ich sehe es ein, ich hatte den Abscheu vor Schwärmerei und Geist nicht bedacht, der fortan unter den unumschränkten Monarchen herrschen wird, selbst wenn es zu ihren Gunsten ist.«
»Bedenke, daß eine politische Kundgebung, eine Laune des Herzens den Schwärmer in die entgegengesetzte Richtung drängt als die, der er bis dahin gedient hat.«
»Ich bin ein Schwärmer!« wiederholte Fabrizzio. »Seltsamer Vorwurf! Ich kann nicht einmal verliebt sein!«
»Wie ?« rief die Duchezza aus.
»Wenn ich die Ehre habe, einer Schönheit den Hof zu machen, selbst wenn sie von guter Herkunft und noch so fromm ist, kann ich doch nur an sie denken, solange ich sie sehe.«
Dieses Geständnis machte auf die Duchezza besonderen Eindruck.
»Ich bitte dich um einen Monat Frist«, begann Fabrizzio wieder. »Ich will von Frau C. in Novara Abschied nehmen und, was mir schwerer fallen wird, von den Luftschlössern meines bisherigen Lebens. Ich werde an meine Mutter schreiben, die wohl die Güte haben wird, nach Belgirate am piemontesischen Ufer des Lago Maggiore zu kommen, um mich zu sehen. Heute in einunddreißig Tagen werde ich inkognito in Parma sein.«
»Laß dir das ja nicht einfallen!« rief die Duchezza. Sie wollte nicht, daß sie der Graf Mosca im Geplauder mit Fabrizzio sähe.
So sahen sie sich in Piacenza wieder. Die Duchezza kam sehr aufgeregt hin; am Hofe zu Parma herrschte Sturm. Die Partei der Marchesa Raversi war nahe daran, zu triumphieren. Es war nicht unmöglich, daß Graf Mosca durch den General Fabio Conti ersetzt wurde, dem Oberhaupt der sogenannten liberalen Partei in Parma. Mit Ausnahme des Namens dieses Gegners, der in der Gunst des Fürsten gestiegen war, berichtete die Herzogin ihrem Neffen alles. Von neuem erwog sie die Aussichten seiner Zukunft, selbst für den Fall, daß die allmächtige Gunst des Grafen wegfiele.
»Ich werde drei Jahre an der theologischen Akademie in Neapel studieren«, sagte Fabrizzio. »Da ich ja in erster Linie ein junger Edelmann sein soll und du das strenge Leben eines tugendsamen Seminaristen von mir gar nicht verlangst, so ist mir um den Aufenthalt in Neapel nicht bange. So gut wie in Romagnano wird sich da auch leben lassen. Die gute Gesellschaft in meinem Nest fing an, mich für einen Jakobiner zu halten. In meiner Verbannung habe ich die Entdeckung gemacht, daß ich nichts gelernt habe, nicht einmal Latein, ja nicht einmal Rechtschreibung. Ich hatte mir vorgenommen, meine Erziehung in Novara zu vervollständigen. Ich will gern in Neapel Theologie studieren; das ist eine vertrackte Wissenschaft.«
Die Duchezza war entzückt.
»Wenn wir weggejagt werden,« sagte sie zu ihm, »so besuchen wir dich in Neapel. Aber bis auf weitere Befehle hältst du dich zur Partei der violetten Strümpfe. Der Graf, der unser jetziges Italien ziemlich gut kennt, hat mir ein paar Winke für dich mitgegeben: Glaube oder glaube nicht an