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er das Vergnügen hatte, erkannt und angesprochen zu werden. Drei oder vier Aufdringliche von der Sorte, die man nicht los wird, benutzten die Gelegenheit, sich bei dem allmächtigen Minister Gehör zu verschaffen. Zwei andere überreichten ihm Bittschriften. Ein dritter begnügte sich damit, ihm langatmige politische Ratschläge zu geben.

      ›Mit viel Geist‹, sagte er sich, ›kann man nicht schlafen und mit viel Macht nicht ungestört spazieren gehen.‹ Er kehrte wieder in die Scala zurück und kam auf den Einfall, eine Loge im dritten Rang zu nehmen. Von dort aus konnte er unbeobachtet die Loge im zweiten Rang überblicken, in der er die Gräfin zu sehen hoffte. Zwei volle Stunden des Harrens kamen dem Verliebten nicht zu lang vor. Sicher, nicht gesehen zu werden, überließ er sich voller Behagen so recht seiner Torheit. ›Zeigt sich das Alter nicht vor allem daran, daß man solcher köstlicher Kindereien nicht mehr fähig ist?‹

      Endlich erschien die Gräfin. Mit Entzücken betrachtete er sie durch sein Opernglas. ›Jung, glänzend, behend wie ein Vogel‹, sagte er sich. ›Sie ist keine fünfundzwanzig alt. Dabei ist ihre Schönheit ihr geringster Reiz. Wo wäre eine gleich aufrichtige Seele zu finden, die niemals mit Vorbedacht handelt, die sich ganz der Eingebung des Augenblicks hingibt, die nur danach trachtet, immer von etwas Neuem begeistert zu werden? Ich begreife die Narreteien des Grafen Nani.‹

      Der Graf dachte so sehr daran, das Glück zu erobern, das er vor seinen Augen sah, daß er treffende Gründe fand, ein Tor zu sein. Er fand weniger gute, als er darauf sein Alter in Betracht zog und die Sorgen, die sein Leben manchmal recht trübselig machten. ›Ein schlauer Mensch, dem nur die Angst den Verstand benimmt, gewährt mir eine hohe Stellung und viel Geld, solange ich sein Minister bin; aber wenn er mich morgen entläßt, dann sitze ich alt und arm da, bin also der verächtlichste Tropf der Welt. Ein schöner Liebhaber für solch eine Frau!‹ Derlei Gedanken waren zu düster. Er dachte immer wieder an die Pietranera. Er konnte den Blick nicht von ihr wenden, und um besser von ihr zu träumen, ging er nicht in ihre Loge hinunter. »Sie hat sich mit Nani nur darum eingelassen, sagt man mir, um dem Schafskopf, dem Limercati, einen Possen zu spielen, weil er nichts davon wissen wollte, dem Mörder ihres Mannes mit dem Degen oder dem Dolch in der Hand auf den Leib zu rücken. Ich würde mich ein dutzendmal für sie schlagen!« rief der Graf begeistert aus. Alle Augenblicke sah er nach der Theateruhr, die den Zuschauern durch matt erleuchtete Ziffern auf dunklem Grund von fünf zu fünf Minuten die Stunde anzeigte, da es ihnen erlaubt war, in eine befreundete Loge zu kommen. Der Graf sagte zu sich: ›Als Bekannter so frischen Datums darf ich höchstens eine halbe Stunde in ihrer Loge sein; wenn ich länger dableibe, mache ich mich lächerlich, bei meinem Alter und ganz besonders mit meinen verdammten gepuderten Haaren.‹ Aber ein anderer Gedanke brachte ihn urplötzlich zum Entschluß: ›Wenn sie jetzt ihre Loge verließe, um einen Besuch zu machen, da hätte ich einen netten Lohn für den Geiz, mir diesen Genuß so lange aufzusparen.‹ Er stand auf, um in die Loge der Gräfin hinunterzugehen. Mit einem Male empfand er beinahe keine Lust, sich dort einzustellen. ›Das ist ja reizend!‹ meinte er belustigt bei sich und blieb auf der Treppe stehen. ›Ein richtiger Anfall von Schüchternheit! Solch ein Abenteuer ist mir seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr widerfahren!‹

      Er trat in die Loge, wobei er sich beinahe Gewalt antun mußte, aber als Weltmann benützte er das Mißgeschick, das ihn heimsuchte, und gab sich gar keine Mühe, heiter oder geistreich zu sein. Er stürzte sich in keine scherzhafte Unterhaltung; er hatte den Mut, schüchtern zu sein, und wandte seinen Geist dazu an, seine Verwirrung leicht durchblicken zu lassen, ohne lächerlich zu werden. ›Wenn sie die Sache falsch auffaßt,‹ sagte er sich, ›bin ich verloren für immer. Was, schüchtern mit gepudertem Haar, das ohne den Puder grau aussähe? Aber schließlich ist es einmal so, und etwas Wahres kann nicht lächerlich sein, wenn ich es nicht übertreibe oder damit prahle.‹

      Die Gräfin hatte sich im Schloß Grianta in Gesellschaft der Puderköpfe ihres Bruders, ihres Neffen und gutgesinnter geistloser Nachbarn so oft gelangweilt, daß es ihr nicht einfiel, sich um die Haartracht ihres neuen Verehrers zu kümmern. Viel zu klug, war sie gefeit dagegen, sofort über irgend etwas zu lachen; sie war auf nichts gespannt als auf Nachrichten von Frankreich, die Mosca ihr immer insgeheim überbrachte, sobald er ihre Loge betrat. Zweifellos erdichtete er sie. Während sie mit ihm darüber sprach, bemerkte sie an diesem Abend, daß in seinen Augen Schönheit und Güte lagen.

      »Ich denke mir,« sagte sie zu ihm, »daß Sie in Parma mitten unter Ihren Sklaven keinen so liebenswürdigen Blick haben; das würde alles verderben und trügerische Hoffnungen erwecken; man würde den Galgen nicht mehr fürchten.«

      Der völlige Mangel an Wichtigtuerei bei einem Mann, der für den ersten Staatsmann Italiens galt, kam der Gräfin sonderlich vor; sie fand sogar, er habe Anmut. Da er sonst vorzüglich und mit Feuer zu plaudern verstand, war sie schließlich gar nicht unangenehm berührt, daß er es für einen Abend vorzog, ausnahmsweise die Rolle des aufmerksamen Zuhörers zu spielen.

      Das war ein großer Schritt vorwärts, aber recht gefährlich. Zum Glück für den Minister, der in Parma sprödes Verhalten nicht gewöhnt war, weilte die Gräfin erst wenige Tage in Mailand; ihr Geist war von dem Einerlei des Landlebens noch ganz eingerostet. Sie hatte das Scherzen verlernt, und alle Dinge, die zu einer eleganten; flotten Lebensweise gehören, hatten in ihren Augen einen Schimmer der Neuheit angenommen, der wie ein Heiligenschein wirkte. Sie war keinesfalls zum Spotten aufgelegt, nicht einmal über einen fünfundvierzigjährigen schüchternen Verliebten. Acht Tage später hätte das Wagnis des Grafen vielleicht eine ganz andere Aufnahme gefunden.

      In der Scala ist es Brauch, derartige kleine Logenbesuche nicht über zwanzig Minuten dauern zu lassen. Der Graf blieb den ganzen Abend in der Loge, wo er das Glück hatte, mit der Gräfin Pietranera zusammen zu sein. ›Diese Frau‹, sagte er sich, ›verleiht mir alle Torheiten der Jugend wieder!‹ Allein er verhehlte sich auch die Gefahr nicht. ›Vermag meine Stellung als allmächtiger Pascha, vierzig Stunden fern von hier, diese Narrheit zu entschuldigen? Parma ödet mich so an!‹ Trotzdem gelobte er sich von Viertel-zu Viertelstunde, zu gehen.

      »Ich muß Ihnen gestehen, Gräfin,« sagte er lachend zu ihr, »daß ich in Parma vor Langerweile umkomme, und es muß mir erlaubt sein, mich in einem Genuß zu berauschen, wenn ich ihn auf meinem Wege finde. So bitte ich um die Erlaubnis, jetzt und nur heute abend vor Ihnen die Rolle des Liebhabers zu spielen. Ach, in wenigen Tagen werde ich recht weit weg von dieser Loge sein, deren Zauber allen Verdruß und sogar, werden Sie sagen, die Gesetze des Anstands vergessen läßt.«

      Acht Tage nach diesem auffälligen Logenbesuch in der Scala war der Graf Mosca infolge verschiedener kleiner Zwischenfälle, deren Aufzählung zu weitschweifig wäre, ganz närrisch vor Liebe und die Gräfin bereits der Meinung, daß das Alter eines Liebhabers gar nicht in Frage komme, wenn man ihn nur sonst liebenswert finde.

      So standen die Dinge, als der Graf durch einen Boten nach Parma zurückbefohlen ward. Wahrscheinlich hatte Serenissimus in seiner Einsamkeit einen Angstanfall. Die Gräfin reiste nach Grianta zurück, aber ihrer Phantasie genügte dieser schöne Ort nicht mehr; er erschien ihr öde. ›Sollte ich wirklich eine ernsthafte Neigung zu diesem Manne gefaßt haben ?‹ fragte sie sich.

      Mosca schrieb und brauchte nichts vorzuspiegeln; die Trennung hatte seinen Geist belebt. Seine Briefe waren unterhaltsam. Er sandte sie – im vollen Einverständnis mit der Gräfin – absonderlicherweise durch Eilboten nach Como, Lecco, Varese oder nach irgendeinem anderen jener entzückenden kleinen Städte in der Umgebung des Sees, wo sie auf die Post gegeben wurden. Dadurch vermied man die Nörgeleien des Marchese del Dongo, der ungern Briefporto bezahlte. Mosca wollte damit erreichen, daß der Bote ihm schließlich gleich die Antworten brächte, und das gelang ihm.

      Bald wurden die Tage, an denen der Eilbote eintraf, für die Gräfin bedeutungsvoll. Die Briefe waren von kleinen Geschenken ohne Wert, von Blumen und Früchten begleitet, die ihr und auch ihrer Schwägerin Vergnügen machten. Die Erinnerung an den Grafen vermischte sich mit dem Gedanken an seine große Macht. Die Gräfin war neugierig auf alles, was man ihr über ihn sagte; sogar die Liberalen rühmten seine Fähigkeiten.

      Der schlimme Ruf des Grafen rührte vornehmlich daher, daß er für das Haupt der Reaktionspartei am Hofe von Parma galt und daß die liberale Gegenpartei eine zu allem fähige, ja sogar erfolgreiche Intrigantin an

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