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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher
Год выпуска 0
isbn 9788026824862
Автор произведения Стендаль
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Diese Dame, ein Mannweib mit tiefschwarzem Haar, auffällig durch ihre Brillanten, die sie von früh an trug, und durch ihre Schminke, hatte sich im voraus für eine Feindin der Duchezza erklärt und benutzte deren ersten Besuch, um den Krieg zu beginnen. Der Duca di Sanseverina hatte in den Briefen, die er aus … schrieb, so sehr von seinem Gesandtschaftsposten und vor allem von seiner Aussicht auf das Großkreuz geschwärmt, daß seine Verwandten Angst bekamen, er könne einen Teil seines Vermögens seiner Gattin vermachen, die er mit kleinen Geschenken überhäufte. Trotz ihrer ausgesprochenen Häßlichkeit hatte die Raversi zum Liebhaber den Grafen Baldi, den hübschesten Mann am ganzen Hofe; es gelang ihr eben in der Hauptsache alles, was sie sich vornahm.
Die Duchezza machte ein sehr großes Haus. Der Palazzo Sanseverina war von jeher einer der großartigsten Parmas, und der Duca hatte bei seiner Ernennung zum Gesandten und als künftiger Großkomtur eine Riesensumme zu weiterer Verschönerung ausgesetzt; die Herzogin leitete die Erneuerungen.
Der Graf hatte richtig geraten. Wenige Tage nach der Vorstellung der Herzogin bei Hofe wurde die junge Clelia Conti hoffähig; man hatte sie zur Stiftsdame erhoben. Um den Hieb aufzufangen, den dieser Gnadenbeweis dem Ansehen des Grafen versetzte, gab die Duchezza ein Fest, angeblich zur Einweihung ihres Schloßgartens, und machte Clelia, die sie mit Liebenswürdigkeit überschüttete und ihre junge Freundin vom Comer See nannte, zur Königin des Abends. Wie durch Zufall leuchtete ihr Namenszug an den größten Lampions. Die junge Clelia sprach, wenn auch ein wenig nachdenklich, sehr liebenswürdig von dem kleinen Abenteuer am See und war voll lebhaften Dankes. Man sagte ihr nach, sie sei sehr fromm und eine große Freundin der Einsamkeit.
»Ich möchte wetten,« meinte der Graf, »sie ist verständig genug, sich ihres Vaters zu schämen.«
Die Duchezza gewann sich das junge Mädchen zur Freundin; sie empfand Zuneigung für sie. Sie wollte nicht eifersüchtig erscheinen und zog sie zu allen ihren Vergnügungen heran. Planmäßig suchte sie jeglichen Haß, dessen Ziel der Graf war, zu entwaffnen.
Alles lächelte der Duchezza zu. Das Hofleben, wo immer ein Sturm zu befürchten ist, machte ihr Spaß; es war ihr, als hätte sie ihr Dasein von neuem begonnen. Sie war dem Grafen zärtlich zugetan und er im vollsten Sinne des Wortes närrisch vor Glück. Dieses Glück feite ihn gegen alles, was seine ehrgeizigen Pläne bedrohte. So errang er kaum zwei Monate nach der Ankunft der Duchezza Würde und Rang eines Premierministers, wodurch ihm beinahe die gleiche Macht zufiel wie dem Monarchen selbst. Der Graf beherrschte den Geist seines Herrschers vollständig, und man erlebte in Parma einen Beweis davon, der alle Gemüter in Staunen versetzte.
Im Südosten, ungefähr zehn Minuten vor der Stadt, erhebt sich eine berüchtigte und in ganz Italien wohlbekannte Zitadelle, deren mächtiger Turm, hundertundachtzig Fuß hoch, weithin sichtbar ist. Dieser Turm, der nach dem Vorbild der Engelsburg in Rom von den Farnesen, den Enkeln Pauls III., zu Beginn des Cinquecento erbaut ist, war so breit, daß auf seiner Plattform ein Palast für den Festungskommandanten und ein neues Gefängnis, die Torre Farnese, Platz gefunden hatten. Dieses Gefängnis, zu Ehren des ältesten Sohnes von Ranuccio Ernesto II. errichtet (er war der Geliebte seiner Stiefmutter), galt weit und breit für eine Sehenswürdigkeit. Die Duchezza wollte es aus Neugier besichtigen. Am Tage ihres Besuches herrschte in Parma eine erdrückende Hitze. Die Duchezza fand oben, an diesem erhöhten Ort, die frischere Luft so entzückend, daß sie mehrere Stunden dort blieb. Man beeilte sich, ihr die Säle der Torre Farnese aufzuschließen.
Auf der Plattform begegnete die Duchezza einem armen eingesperrten Liberalen, der sich seines halbstündigen Spazierganges erfreute, den man ihm alle drei Tage gestattete. Da sie noch nicht die an einem absolutistischen Hofe erforderliche Vorsicht besaß, plauderte sie hinterher von diesem Gefangenen, der ihr seine ganze Geschichte erzählt hatte. Die Partei der Marchesa Raversi griff diese Äußerung der Duchezza auf und verbreitete sie in der Hoffnung, sie werde den Fürsten unliebsam berühren. In der Tat hatte Ernst IV. wiederholt erklärt, man müsse hauptsächlich auf die Einbildungskraft der Untertanen wirken. »Lebenslänglich,« pflegte er zu sagen, »das ist ein schweres Wort und in Italien fürchterlicher als anderwärts.« Demzufolge hatte er noch nie in seinem Leben jemanden begnadigt.
Acht Tage nach ihrem Besuch der Zitadelle erhielt die Duchezza eine Begnadigungsurkunde, die vom Fürsten und dem Premierminister unterzeichnet war; der Name war jedoch nicht ausgefüllt. Der Sträfling, dessen Namen sie eintrüge, sollte sein Vermögen zurückerhalten sowie die Erlaubnis, den Rest seines Lebens in Amerika zu verbringen. Die Duchezza schrieb den Namen des Mannes, mit dem sie gesprochen hatte, in die Urkunde. Unglücklicherweise war das gerade ein halber Schurke, ein schwacher Charakter: auf sein Geständnis hin war der berühmte Ferrante Palla zum Tode verurteilt worden. Dieser einzig dastehende Gnadenakt hob die Stellung der Duchezza noch mehr. Graf Mosca war närrisch vor Glück; er stand im Zenit seines Lebens.
Alles das wurde von entscheidendem Einfluß auf Fabrizzios Geschick. Er war noch immer in Romagnano bei Novara, beichtete, ging auf die Jagd, las nicht eine Zeile und machte einer vornehmen Dame den Hof, wie es die Vorschrift verlangte. Über diese letzte Notwendigkeit war die Gräfin von Anfang an ein wenig aufgebracht. Ebenso merkwürdig war es, daß sie niemals in Gegenwart des Grafen von Fabrizzio sprach, ohne sich vorher jedes Wort ihrer Rede zu überlegen, während sie ihm gegenüber sonst in allen Dingen von der größten Offenheit war und in seiner Gegenwart geradezu laut dachte. Ihm war es entgangen.
»Wenn es Ihnen recht ist,« sagte er zu ihr, »schreibe ich Ihrem liebenswürdigen Bruder am Comer See, diesem Marchese del Dongo, und nötige ihn, indem ich meinen Einfluß und den meiner Freunde in … aufbiete, Ihrem lieben Fabrizzio Begnadigung zu erwirken. Wenn es wahr ist, und ich wage nicht daran zu zweifeln, daß er etwas höher steht als die übrige Jugend, die ihre englischen Pferde in den Straßen Mailands tummelt, so muß es ihn bedrücken, mit achtzehn Jahren nichts zu tun zu haben und voraussichtlich niemals im Leben etwas zu tun zu kriegen. Wenn ihm der Himmel irgendeine Leidenschaft verliehen hätte, wofür es auch sei, und wäre es die, zu angeln, so ließe ich es mir gefallen; aber was sollte er in Mailand anfangen, selbst wenn er begnadigt würde? Zu bestimmter Stunde reitet er seinen englischen Vollblüter, zu einer anderen treibt ihn sein Müßiggang zu seiner Geliebten, die er weniger liebt als sein Pferd. Wenn es Ihnen recht ist, will ich versuchen, Ihrem Neffen einen Wirkungskreis zu schaffen.«
»Ich möchte gern, daß er Offizier wird«, sagte die Duchezza.
»Welcher Monarch sollte einen Posten, der eines schönen Tages von gewisser Bedeutung sein kann, einem jungen Mann anvertrauen, der erstens begeisterungsfähig ist und zweitens Begeisterung für Napoleon bekundet hat, indem er bei Waterloo zu ihm wollte? Bedenken Sie, was wären wir alle heute, wenn Napoleon bei Waterloo gesiegt hätte? Die Liberalen hätten wir allerdings nicht zu fürchten; aber die Monarchen aus den alten Herrscherhäusern könnten sich ihre Krone nur erhalten, wenn sie die Töchter napoleonischer Marschälle heirateten. Unter den heutigen Umständen wäre die Soldatenlaufbahn für Fabrizzio genau so wie das Dasein eines Eichhörnchens im Drehkäfig: viel Bewegung und kein Vorwärtskommen. Er hätte den Ärger, sich von jedem plebejischen Streber überflügelt zu sehen. Heutzutage, das heißt etwa in den nächsten fünfzig Jahren, solange wir Angst haben und die Tradition noch nicht wieder hergestellt ist, kommt es für einen jungen Mann vor allem darauf an, unfähig zur Begeisterung und arm an Geist zu sein. Ich habe an etwas gedacht, worüber Sie vielleicht zunächst entsetzt sein werden und was mir endlose Scherereien – und nicht nur für kurze Zeit – machen wird, ja was geradezu eine Torheit ist, die ich Ihnen zuliebe vollführen will. Aber gestehen Sie es mir, Sie wissen ja, welche Torheit beginge ich nicht, nur um ein Lächeln von Ihnen zu erringen?«
»Nun?« fragte die Duchezza.
»Nun, wir haben in Parma drei Mitglieder Ihres Hauses als Erzbischöfe gehabt: Ascanio del Dongo, der 1650 im Amt war, Fabrizzio Anno 1699 und noch einen Ascanio Anno 1740. Wenn Fabrizzio in den geistlichen Stand treten und sich höchster Tugend befleißigen wollte, so mache ich ihn irgendwo zum Bischof und später hier zum Erzbischof, wenn ich dann noch die Macht habe. Der einzige stichhaltige Einwand wäre der: Bleibe ich lange genug Minister,