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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher
Год выпуска 0
isbn 9788026824862
Автор произведения Стендаль
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
In dem Kornfeld stellte er fest, daß er nur noch achtzehn Napoleons besaß statt dreißig, wie er gedacht hatte; aber er hatte noch ein paar kleine Brillanten, die er an jenem Morgen in B. in der Stube der Kerkermeistersfrau in das Lederfutter eines seiner Husarenstiefel gesteckt hatte. Er verbarg seine Napoleons, so gut er konnte, und geriet dabei in Grübelei: ›Warum die hastige Flucht? Ist das ein schlechtes Zeichen für mich?‹ fragte er sich. Sein Hauptkummer war, daß er den Korporal Aubry nicht noch gefragt hatte: ›Habe ich wirklich eine Schlacht mitgemacht?‹ Es schien ihm ganz so, aber er wäre überglücklich gewesen, wenn er darüber Gewißheit gehabt hätte.
›Auf alle Fälle‹, sagte er sich, ›war ich dabei unter dem Namen eines Häftlings. Ich habe das Soldbuch eines solchen in meiner Tasche, und mehr noch, ich trage seinen Rock. Das ist verhängnisvoll für die Zukunft. Was würde der Abbate Blanio dazu sagen? Und dieser unselige Boulot ist im Gefängnis gestorben. Das ist ein schlimmes Vorzeichen! Das Schicksal wird mich in den Kerker führen!‹
Fabrizzio hätte alles in der Welt darum gegeben, wenn er gewußt hätte, ob der Husar Boulot wirklich schuldig war. Er versenkte sich in seine Erinnerungen, und es kam ihm vor, als hätte die Kerkermeistersfrau in B. ihm erzählt, der Husar sei nicht nur wegen des silbernen Bestecks eingelocht worden, sondern auch, weil er einem Bauern eine Kuh geraubt und den Mann über die Maßen verprügelt hatte. Fabrizzio zweifelte nicht daran, daß er eines Tages eines Vergehens wegen, das in gewissen Beziehungen zu dem des Husaren Boulot stünde, ins Gefängnis käme. Er gedachte seines Freundes, des Abbaten Blanio. Was hätte er darum gegeben, wenn er ihn hätte um Rat fragen können! Dann fiel ihm ein, daß er seiner Tante, seit er Paris verlassen, nicht geschrieben hatte. ›Arme Gina!‹ sagte er sich. Er hatte Tränen in den Augen, als er plötzlich dicht neben sich ein leises Geräusch wahrnahm. Es war ein Soldat mit drei Pferden, die an langen Zügeln im Korn grasten; sie waren sichtlich halbtot vor Hunger. Er hielt sie an den Trensen. Fabrizzio flog auf wie ein Rebhuhn. Der Soldat bekam Angst. Unser Held bemerkte das und konnte der Lust nicht widerstehen, eine Weile den Landsknecht zu spielen.
»Einer der Gäule gehört mir, du Gauner!« rief er. »Aber ich will dir gern fünf Franken geben für die Mühe, daß du mir ihn hergebracht hast.«
»Willst du mich uzen?« sagte der Soldat.
Fabrizzio legte sein Gewehr auf sechs Schritt Entfernung an:
»Laß das Pferd los, oder ich schieße!«
Der Soldat hatte sein Gewehr am Riemen über der Schulter und machte einen Ruck, um es zu fassen.
»Wenn du dich im geringsten rührst, bist du des Todes!« schrie Fabrizzio und sprang auf ihn zu.
»Meinetwegen, geben Sie mir fünf Franken und nehmen Sie sich eins der Pferde«, sagte der Soldat verwirrt, nachdem er einen sehnsüchtigen Blick nach der Heerstraße geworfen hatte, wo weit und breit kein Mensch zu sehen war. Fabrizzio hielt sein Gewehr mit der Linken schußbereit und warf ihm mit der Rechten drei Fünffrankenstücke zu.
»Runter, oder du bist des Todes! Zäume den Rappen auf und schere dich mit den beiden andern davon! Ich schieß dich nieder, wenn du dich muckst!«
Der Soldat gehorchte mürrisch. Fabrizzio ging an den Rappen heran und nahm die Zügel um seinen linken Arm, ohne den Soldaten, der sich langsam entfernte, aus den Augen zu lassen. Als er ihn ungefähr fünfzig Schritt von sich entfernt sah, schwang er sich behend in den Sattel. Er war kaum oben und suchte noch mit dem Fuß den rechten Steigbügel, als er eine Kugel dicht an sich vorbeisausen hörte. Der Soldat hatte einen Schuß auf ihn abgegeben. Der Zorn riß Fabrizzio hin. Er galoppierte auf den Soldaten los. Der jagte auf einem seiner Pferde davon, so schnell es laufen konnte, und war bald den Blicken Fabrizzios entschwunden.
›Gut,‹ sagte er bei sich, ›der ist außer Schußweite!‹ Das Pferd, das er soeben gekauft hatte, war prächtig, aber offenbar vor Hunger halbtot. Fabrizzio wandte sich wieder zur Heerstraße, wo immer noch kein Mensch zu sehen war. Er ritt quer über die Straße hinweg und trabte an, um linker Hand auf eine kleine Anhöhe zu gelangen. Er hoffte, dort die Marketenderin wiederzufinden, aber als er oben auf dem Hügel war, sah er nichts als ein paar einzelne Soldaten, mehrere tausend Meter entfernt.
›Es steht geschrieben, daß ich sie nicht wiedersehen soll,‹ sagte er mit einem Seufzer zu sich, ›die brave, gute Frau!‹ Er ritt auf ein Gehöft zu, das er in der Ferne erblickte, rechts von der Straße. Ohne abzusitzen und nachdem er im voraus bezahlt hatte, ließ er seinem armen Pferde Hafer geben. Es war so verhungert, daß es in die Krippe biß.
Eine Stunde später trabte Fabrizzio auf der Heerstraße dahin, immer in der unbestimmten Hoffnung, die Marketenderin oder wenigstens den Korporal Aubry wiederzutreffen. Fortwährend sah er sich unterwegs nach allen Seiten um. So kam er an einen sumpfigen Fluß, über den eine ziemlich schmale Holzbrücke führte. Vor der Brücke, auf der rechten Straßenseite, stand ein einsames Haus, ein Gasthof, der ein weißes Roß im Schild führte. ›Hier werde ich zu Mittag essen‹, nahm sich Fabrizzio vor.
Ein Kavallerieoffizier, den Arm in der Binde, stand am Brückenkopf. Er war zu Pferd und sah recht trübselig aus. Zehn Schritt von ihm entfernt hielten drei abgesessene Kavalleristen und klopften ihre Pfeifen aus.
›Das sind Leute,‹ sagte Fabrizzio bei sich, ›die mir ganz so aussehen, als wollten sie mir meinen Gaul billiger abkaufen, als ich ihn erstanden habe.‹
Der verwundete Offizier und die drei Reiter zu Fuß sahen ihn kommen und erwarteten ihn offenbar.
›Das Gescheiteste wäre es wohl, nicht über die Brücke zu reiten, sondern am rechten Ufer hin‹, sagte sich unser Held. ›Diese Richtung hat mir die Marketenderin empfohlen, damit ich in Sicherheit käme. Gewiß, aber wenn ich die Flucht ergreife, werde ich mich morgen darüber ärgern. Obendrein ist mein Pferd gut auf den Beinen und das des Offiziers wahrscheinlich müde. Wenn er sich unterfinge, mich absitzen zu lassen, galoppierte ich ihm davon.‹
Mit dieser Überlegung versammelte Fabrizzio sein Pferd und ritt in kurzem Schritt heran.
»Reiten Sie schneller, Husar!« rief ihm der Offizier im Befehlston entgegen.
Fabrizzio ritt noch ein paar Schritte und hielt dann.
»Wollen Sie mir mein Pferd nehmen?« rief er.
»Fällt mir gar nicht ein. Vorwärts!«
Fabrizzio sah den Offizier an; er hatte einen weißen Schnurrbart und das ehrlichste Gesicht von der Welt. Das Taschentuch, das seinen Arm trug, war voller Blut; ebenso hatte seine rechte Hand einen blutigen Verband. ›Aber die zu Fuß haben es auf mein Pferd abgesehen‹, sagte sich Fabrizzio; doch als er sie sich näher betrachtete, bemerkte er, daß auch sie verwundet waren.
»Im Namen der Ehre,« sagte der Offizier, der die Abzeichen eines Obersten trug, »stellen Sie sich hier als Posten auf und sagen Sie allen Dragonern, Jägern und Husaren, die Sie zu sehen bekommen, daß der Oberst Lebaron da im Gasthof ist und ihnen befiehlt, sich unter ihm zu sammeln!«
Der alte Oberst hatte schmerzentstellte Züge. Vom ersten Wort an hatte er unseren Helden gewonnen.
Fabrizzio antwortete ihm verständig: »Herr Oberst, ich bin zu jung, als daß man auf mich hörte. Bitte um schriftlichen Befehl.«
»Er hat recht«, sagte der Oberst und sah ihn wohlgefällig an. »Schreib den Befehl, Larose; du hast eine rechte Hand!«
Ohne etwas zu sagen, zog Larose aus seiner Tasche ein kleines Merkbuch, schrieb ein paar Zeilen, riß das Blatt heraus und händigte es Fabrizzio aus. Der Oberst wiederholte seinen Befehl, indem er hinzufügte, daß er nach zwei Stunden vorschriftsmäßig durch einen der drei verwundeten Reiter von seinem Posten abgelöst werde.
Nachdem er das