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waren. Er begann, sich für den Busenfreund all der Soldaten zu halten, mit denen er seit etlichen Stunden umherritt. Er sah zwischen ihnen und sich jene edle Freundschaft der Helden Tassos und Ariosts untereinander. Wenn er sich zum Stabe des Kaisers schlug, mußte er sich neue Kameradschaft erwerben; vielleicht würde man ihn gar scheel ansehen, denn jene Reiter wären lauter Dragoner, während er Husarenuniform trug, wie alle Reiter im Gefolge des Marschalls. Die Art, wie man ihn jetzt ansah, machte unseren Helden überglücklich. Alles auf der Welt hätte er für seine Kameraden getan; seine Seele, sein Geist schwebten in höheren Regionen. Alles kam ihm anders vor, seit er bei Freunden war. Für sein Leben gern hätte er Fragen gestellt. ›Aber ich bin noch ein wenig betrunken‹, sagte er sich. ›Ich darf die Ratschläge der Kerkermeisterin nicht vergessen.‹

      Als der Stab wieder aus dem Hohlweg herauskam, bemerkte er, daß der Marschall Ney nicht mehr da war. Der General an der Spitze des Trupps war groß, hager, von kaltem Gesichtsausdruck und strengem Blick. Dieser General war kein anderer als der Graf von A., jener Leutnant Robert vom 15. Mai 1796. Wie glücklich wäre er gewesen, wenn er um die Anwesenheit von Fabrizzio del Dongo gewußt hätte.

      Schon lange hatte Fabrizzio die Erde nicht mehr in kleinen schwarzen Klumpen unter den aufschlagenden Geschossen aufspritzen sehen. Jetzt kam man hinter ein Kürassierregiment. Deutlich hörte er Kartätschenkugeln an die Kürasse schlagen und sah mehrere Reiter fallen. Die Sonne stand schon sehr tief und ging zur Rüste, als der Stab aus einem Hohlweg herauskam und einen kleinen drei bis vier Fuß hohen Abhang hinaufritt, um auf einen Acker zu gelangen. Da hörte Fabrizzio ganz dicht neben sich ein sonderbares schwaches Geräusch. Er wandte sich um. Vier Reiter waren mit ihren Pferden gefallen; auch der General war umgerissen worden, raffte sich aber wieder auf, ganz mit Blut bedeckt. Fabrizzio warf einen Blick auf die zu Boden geschmetterten Husaren. Drei machten noch ein paar krampfhafte Bewegungen; der vierte schrie: »Hebt mich auf!«

      Der Wachtmeister und zwei oder drei Mann waren abgesprungen und eilten dem General zu Hilfe, der, von seinem Adjutanten gestützt, einige Schritte zu gehen versuchte, um aus der Nähe seines Pferdes zu kommen, das sich rücklings auf dem Boden wälzte und mit den Hufen wild um sich schlug.

      Der Wachtmeister kam auf Fabrizzio zu. Unser Held hörte, wie er hinter seinem Rücken in nächster Nähe sagte: »Der Gaul hier ist der einzige, der noch Galopp geht!«

      Er fühlte sich an den Beinen gepackt. Indem man ihm den Körper unter den Armen stützte, hob man ihn hoch und zog ihn über die Kruppe seines Pferdes herunter. Dann ließ man ihn zu Boden gleiten, wo er sitzen blieb.

      Der Adjutant ergriff Fabrizzios Pferd am Zügel. Der General saß unter Beihilfe des Wachtmeisters auf und ritt im Galopp weiter. Die übrigen sechs Reiter folgten ihm eiligst.

      Fabrizzio sprang wütend auf und rannte ihnen nach mit dem lauten Ruf: »Ladri! Ladri!« (Räuber! Räuber!) Eine komische Sache, mitten auf einem Schlachtfeld Räubern nachzulaufen.

      Bald war der Stab mit dem General hinter einer Weidenreihe verschwunden. Fabrizzio kam wutschnaubend ebenfalls an eine Baumreihe; er sah sich vor einem sehr tiefen Graben, über den er hinwegsetzte. Auf der anderen Seite fing er von neuem an zu fluchen, als er, freilich in sehr weiter Entfernung, den General und den Stab nochmals erblickte, bis sie hinter Baumgruppen verschwanden.

      »Räuber! Räuber!« rief er wieder, jetzt auf französisch. Verzweifelt, weniger über den Verlust seines Pferdes als über den Verrat, sank er am Grabenrand nieder, müde und halb verhungert. Wenn ihm sein schönes Pferd vom Feind genommen worden wäre, würde er sich keine Gedanken darüber gemacht haben, aber sich beraubt zu sehen von diesem Wachtmeister, den er so geliebt hatte, und von diesen Husaren, die er gleich Brüdern geachtet, das brach ihm das Herz! Er konnte über so viel Niedertracht nicht hinwegkommen, und den Rücken an eine Weide gelehnt, begann er bitterlich zu weinen. Nacheinander nahm er Abschied von all den schönen Träumen von ritterlicher und erhabener Freundschaft, wie sie die Helden des ›Befreiten Jerusalems‹ übten. Dem Tod in das Auge zu sehen, war nichts, wenn man von heldenmütigen und gefühlsfähigen Seelen umgeben ist, von edlen Freunden, die einem beim letzten Atemzug die Hand drücken. Aber wie konnte er seine Begeisterung bewahren inmitten gemeiner Spitzbuben? Fabrizzio übertrieb wie jeder empörte Mensch.

      Nach einer Viertelstunde der Rührung nahm er wahr, daß die Kugeln bis in die Baumreihe schlugen, in deren Dunkel er grübelnd saß. Er erhob sich und suchte sich zurecht zu finden. Er betrachtete sich den Wiesenplan, der von einem breiten Graben und einer Reihe buschiger Weiden begrenzt war. Das kam ihm bekannt vor. Eine Infanteriemasse ging durch den Graben und betrat die Wiesen, tausend Schritt von ihm entfernt.

      ›Ich wäre beinahe eingeschlafen‹, sagte er zu sich. ›Ich darf mich nicht gefangen nehmen lassen.‹ Er begann tüchtig loszumarschieren. Beim Näherkommen beruhigte er sich. Er erkannte die Uniform; die Regimenter, von denen er gefürchtet hatte, abgeschnitten zu werden, waren französische. Er bog nach rechts ab, um zu ihnen zu gelangen.

      Zu dem seelischen Schmerz darüber, daß er so schimpflich verraten und bestohlen worden war, gesellte sich ein anderer, der sich mit jedem Augenblick mehr fühlbar machte: er kam vor Hunger um. Darum war er höchst erfreut, als er nach zehn Minuten Marsch oder, besser, Laufschritt bemerkte, daß die Infanteriemasse, die auch sehr flott vorgerückt war, Halt machte, vermutlich, um sich zu entwickeln. Wenige Minuten später war er mitten unter den nächsten Soldaten.

      »Kameraden, könnt ihr mir nicht ein Stück Brot verkaufen?«

      »Das dumme Luder hält uns für Bäcker!«

      Dieses grobe Wort und das allgemeine Hohngelächter, das darauf folgte, gaben Fabrizzio den Rest. Der Krieg war also nicht mehr jener edle allgemeine Aufschwung ruhmliebender Seelen, wie er sich nach den Aufrufen Napoleons eingebildet hatte! Er setzte sich, oder vielmehr, er sank auf den Rasen nieder. Er ward totenbleich. Der Soldat, der mit ihm gesprochen hatte und der stehen geblieben war, um sein Gewehrschloß mit dem Sacktuch abzuwischen, kam heran und warf ihm ein Stück Brot zu. Als er sah, daß jener es nicht aufhob, steckte er ihm ein Stück davon in den Mund. Fabrizzio schlug die Augen auf und aß das Brot, hatte aber nicht die Kraft, etwas zu sagen. Und als er den Soldaten mit den Augen suchte, um ihn zu bezahlen, sah er sich allein. Die nächsten Soldaten waren bereits hundert Schritt weit im Vormarsch. Mechanisch erhob er sich und folgte ihnen.

      Er trat in ein Gehölz, nahe daran, vor Ermattung umzufallen, und suchte schon mit dem Auge einen geeigneten Fleck. Wie groß war da seine Freude, als er erst das Pferd, dann das Wägelchen und schließlich die Marketenderin vom Vormittag wiedererkannte! Sie eilte auf ihn zu und war erschrocken über sein Aussehen.

      »Komm nur mit, mein Jungchen!« sagte sie zu ihm.

      »Du bist wohl verwundet? Und dein schönes Pferd …?«

      Mit diesen Worten führte sie ihn an ihren Wagen, ließ ihn hinaufklettern und stützte ihn dabei unter dem Arm. Kaum im Wagen, fiel unser Held, von Müdigkeit überwältigt, in tiefen Schlaf.

      Viertes Kapitel

      Nichts vermochte ihn zu wecken, weder das Gewehrfeuer, das den kleinen Wagen umknatterte, noch das Traben des Pferdchens, das die Marketenderin mit der Peitsche antrieb. Das Regiment war unversehens von preußischen Kavallerieschwärmen angegriffen worden, nachdem es den ganzen Tag über an den Sieg geglaubt hatte. Jetzt ging es zurück, oder vielmehr: es floh in der Richtung auf die französische Grenze.

      Der Oberst, ein schöner junger Dandy, der unlängst das Regiment von Macon übernommen hatte, wurde niedergesäbelt. Einer der Bataillonskommandeure, der an seine Stelle trat, ein alter Krieger mit weißem Haar, ließ das Regiment Halt machen.

      »Zum Teufel!« schrie er den Soldaten zu. »Zu Zeiten der Republik wartete man mit dem Auskneifen, bis einen der Feind dazu zwang. Jeden Zollbreit Erde müßt ihr verteidigen! Und wenn ihr totgeschossen werdet!« fluchte er. »Euer Vaterland ists, das die Preußen besetzen wollen!«

      Das Wägelchen hielt, und Fabrizzio wachte plötzlich auf. Die Sonne war schon lange untergegangen. Er war ganz verdutzt, als er sah, daß es beinahe Nacht geworden war. Die Soldaten hasteten zu beiden Seiten in wirrer Unordnung dahin. Unserem Helden kam das seltsam vor. Sie sahen ihm alle recht kläglich aus.

      »Was

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