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zu ihr: »Ich habe eine Bitte an dich. Gib unser Kind nach Verrières in Pflege! Frau von Rênal wird die Amme überwachen.«

      »Du verlangst Grausames von mir!« erwiderte Mathilde erbleichend.

      »Du hast recht!« rief Julian, aus seinem Traumleben erwachend und sie in seine Arme schließend. »Ich bitte dich tausendmal um Verzeihung.«

      Als er ihr die Tränen getrocknet hatte, kam er auf seine Idee zurück, wenn auch mit mehr Geschicklichkeit. Er hängte der Unterhaltung das Gewand philosophischer Schwermut um. Er sprach von der Zukunft, die für ihn so nahe Grenzen hatte.

      »Liebste, Beste, es ist so: die Leidenschaft ist das größte Leid des Lebens. Aber es sucht nur die höheren Seelen heim. Der Tod unsres Kindes wäre für deine stolze Familie ein Glück. Und das werden treue Diener erraten. Vernachlässigung wird das Los dieses unglücklichen Kindes der Schande sein … Ich hoffe, du wirst zu einer Zeit, die ich nicht näher bezeichnen will, der ich aber mutig entgegensehe, meinem Letzten Willen gehorchen und den Marquis von Croisenois heiraten.«

      »Ich, eine Entehrte?«

      »Ein Name vom Klange des deinen kann nicht entehrt werden. Du bist eine Witwe. Die Witwe eines Narren. Was ist das weiter? Und dann – meine Untat hatte ihren Beweggrund nicht im Gelde. Folglich war sie nicht ehrlos. Und die Todesstrafe? Die Zeit wird kommen, wo ein philosophischer Gesetzgeber die ererbte Anschauung seiner Zeitgenossen überwindet und die Todesstrafe abschafft. Dann ist auch das nicht mehr ehrlos. Dann gehöre ich zu den Märtyrern. Alles wandelt sich. Und auch das himmlische Feuer, das dich in dieser Stunde durchflammt, wird verglühen. In fünfzehn Jahren erscheint dir die Liebe, die du für mich gefühlt hast, als entschuldbare Torheit, aber immerhin als Torheit…«

      Er hielt plötzlich inne und fiel in seine Versonnenheit zurück. Von neuem kam ihm der Mathilden so feindselige Gedanke: »In fünfzehn Jahren wird Frau von Rênal meinen Sohn vergöttern, und du hast ihn vergessen!«

      70. Kapitel

      Die Unterhaltung ward unterbrochen. Julian wurde verhört. Darnach fand eine Besprechung mit seinem Verteidiger statt. Dies waren die einzigen wirklich unangenehmen Augenblicke in seinem Dasein voller Sorglosigkeit und holder Träumerei.

      Sowohl dem Untersuchungsrichter wie seinem Anwalt erklärte er: »Es war Mord, vorsätzlicher, mit Überlegung ausgeführter Mord!« Und lächelnd setzte er hinzu: »Es tut mir leid, meine Herren, wenn dieses Geständnis Ihre Arbeit beträchtlich vermindert.«

      Als er sich von den beiden Kreaturen wieder befreit sah, sagte er zu sich: »Mich dünkt, ich bin doch tapfer, zweifellos tapferer als diese beiden Leutchen. Sie halten mein Duell mit dem Schicksal, bei dem ich auf dem Platze verbleiben werde, das ich aber erst am betreffenden Tage ernst nehme, für ein Kapitalunglück.« Er philosophierte weiter: »Ich habe größeres Leid erfahren. Als ich das erstemal nach Straßburg reiste und mich von Mathilde verlassen wähnte, da habe ich tausendmal mehr gelitten …« Er verlor sich in Grübeleien. »Damals sehnte ich mich toll darnach, Mathilde ganz mein eigen zu nennen. Und heute läßt sie mich unsagbar kalt. Wahrlich, ich bin viel glücklicher, wenn ich allein bin, als wenn dies schöne Weib meine Einsamkeit teilt!«

      Der Anwalt, ein Pedant und Formelmensch, hielt Julian für verrückt. Er nahm an – und dies war die allgemeine Meinung –, daß ihm die Eifersucht die Pistole in die Hand gedrückt habe. Eines Tages erlaubte er sich anzudeuten, daß diese Motivierung der Tat, gleichviel ob falsch oder wahr, ein ausgezeichnetes Verteidigungsmittel sei. Aber der Angeklagte regte sich ob dieser Zumutung ungeheuer auf.

      Ganz außer sich rief er aus: »Herr Anwalt, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, so unterstehen Sie sich ja nicht, eine solch abscheuliche Lüge vorzubringen!«

      Im Moment hatte der kluge Advokat Angst, erdrosselt zu werden. Es war übrigens die höchste Zeit, daß er die Verteidigung ausarbeitete, denn die Hauptverhandlung stand nahe bevor. Besançon und der ganze Kreis sprach von nichts als von diesem Sensationsprozeß. Julian wußte nichts davon. Er hatte darum gebeten, ihn mit Einzelheiten zu verschonen. Als ihm Fouqué und Mathilde gewisse merkwürdige Gerüchte mitteilen wollten, die ihrer Ansicht nach zu Hoffnungen berechtigten, ließ er sie gar nicht ausreden.

      »Laßt mir mein Leben in der Idee!« sagte er zu ihnen. »Eure Maulwurfsinteressen, der Kleinkram des wirklichen Lebens sind mir mehr oder weniger widerlich. Das zerrt mich aus meinem Himmel. Jeder stirbt, so gut er kann. Ich habe meine eigene Anschauung vom Tode. Was geht mich die der anderen an? Habe ich doch mit den anderen urplötzlich nichts mehr zu tun. Tut mir den Gefallen und redet mir nicht mehr von den Leuten! Ich habe gerade genug, wenn ich den Richter und den Rechtsanwalt sehe.«

      Bei sich selbst meinte er: »Eigentlich müßte ich meinen letzten Gang in Träumerei versunken gehen. Ein obskures Individuum wie ich, das die Gewißheit hat, binnen vierzehn Tagen gänzlich vergessen zu sein, ist zweifellos ein Narr, wenn es noch immer Komödie spielt … Seltsam, daß ich die Kunst des Lebensgenusses erst jetzt begreife, wo so bald alles aus ist!«

      Er verbrachte seine letzten Tage damit, im engen Dachhofe des Turmes spazierenzugehen und die ausgezeichneten Zigarren zu rauchen, die Mathilde durch einen Kurier hatte aus Holland kommen lassen. Dabei ahnte er nicht, daß sein Erseheinen tagtäglich von sämtlichen Fernrohren und Opernguckern der Stadt erwartet wurde. Seine Gedanken waren in Vergy. Aber niemals erwähnte er im Gespräche mit Fouqué Frau von Rênal. Ein paarmal vermeldete ihm sein Freund, daß sich der Zustand der Verwundeten rasch bessere. Solche Mitteilungen ließen Julians Herz höher schlagen.

      Während seine Seele fast immer im Traumlande weilte, befaßte sich Mathilde, als Aristokratin, nur mit Tatsachen, mit der Wirklichkeit. Sie hatte es zwar zuwege gebracht, daß der Briefwechsel zwischen Frau von Fervaques und Herrn von Frilair derart vertraulich ward, daß bereits das Schlagwort Bistum gefallen war. Der ehrwürdige Prälat, dem die Pfründen oblagen, hatte auf eine der Bittschriften seiner Nichte die Randbemerkung gemacht: »Der arme Sorel hat kopflos gehandelt. Ich hoffe, er bleibt uns erhalten.« Beim Anblick dieser Zeilen war Frilair schier zu Tränen gerührt. Er zweifelte nicht mehr an der Rettung Julians. Am Tage, ehe die sechsunddreißig Geschworenen durch das Los bestimmt wurden, äußerte er sich zu Mathilde: »Wenn wir das Jakobinergesetz nicht hätten, das die Aufstellung endloser Geschworenenlisten vorschreibt und keinen andern Zweck hat, als den Leuten aus den guten Familien jeden Einfluß zu entziehen, so würde ich mich für den Ausfall des Urteils verbürgen. Ich habe seinerzeit den Pfarrer N*** auch freibekommen.«

      Zu seiner Freude erfuhr Frilair am nächsten Abend, daß sich unter den Gewählten fünf Besançoner Mitglieder der Kongregation befanden. Von auswärtigen Anhängern waren Valenod, Moirod und Cholin darunter.

      »Für diese acht Geschworenen stehe ich zunächst«, sagte er zu Mathilde. »Die fünf ersten sind Drahtpuppen. Valenod ist mein Agent. Moirod verdankt mir alles. Und Cholin ist ein Feigling.«

      Durch die Zeitung erfuhr Frau von Rênal die Namen der Geschworenen. Zum unbeschreiblichen Schrecken ihres Mannes wollte sie sofort nach Besançon reisen. Herr von Rênal erreichte schließlich, daß sie im Bett verblieb, um der Unannehmlichkeit zu entgehen, vor dem Schwurgericht als Zeugin zu erscheinen.

      »Du verstehst meine Lage nicht«, stellte ihr der ehemalige Bürgermeister vor. »Ich gelte zur Zeit allgemein als verbitterter Überläufer zu den Liberalen. Somit liegt es auf der Hand, daß mir dieser Lump, der Valenod, und ebenso Frilair, beim Staatsanwalt und bei den Richtern alle nur möglichen Mißhelligkeiten bereiten.«

      Frau von Rênal fügte sich ohne Widerrede dem Ratschlage ihres Mannes. Sie sagte sich; »Wenn ich im Gerichtssaal erscheine, so sieht das am Ende aus, als sei ich rachgierig.«

      Trotz ihres Versprechens und Vorsatzes schrieb sie eigenhändig an jeden der sechsunddreißig Geschworenen einen langen Brief, in dem unter anderm stand:

      »Ich werde zur Hauptverhandlung nicht erscheinen, weil meine Anwesenheit auf Herrn Sorels Sache ungünstig wirken könnte. Ich hege keinen andern wirklichen Wunsch hienieden als den, Herrn Sorel gerettet zu sehen. Seien Sie überzeugt, der entsetzliche Gedanke, daß meinetwegen ein Schuldloser zum Tode verurteilt worden sei, würde mein ganzes ferneres Leben vergiften und meinen eigenen Tod zweifellos beschleunigen. Sie können ihn nicht

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