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      »Herr Oberarzt, bitte… Professor Thiersch hat mich schwer bestraft… ich… ich ertrage keine Vorwürfe mehr«, brachte er stockend hervor.

      »Sie haben von mir keine Vorwürfe zu erwarten«, entgegnete Dr. Heller. »Ich will mich nur mit Ihnen unterhalten.« Er hielt seinem Kollegen die Tür auf. »Bitte, setzen Sie sich.«

      Dr. Scheibler sah ein, daß er um die Aussprache nicht herumkam. Niedergeschlagen ließ er sich auf den Stuhl fallen, der vor Dr. Hellers Schreibtisch stand.

      »Es tut mir leid«, erklärte er leise.

      »Und das soll ich Ihnen glauben?« entgegnete Dr. Heller, während er ebenfalls Platz nahm, dann schüttelte er den Kopf. »Das einzige, was Ihnen wirklich leid tut, ist, daß Ihr Plan nicht aufgegangen ist.«

      Dr. Scheibler vergrub das Gesicht in den Händen.

      »Das ist nicht wahr!« begehrte er auf, dann erhob er sich abrupt und wollte das Zimmer verlassen, doch Dr. Heller hielt ihn zurück.

      »Bitte, setzen Sie sich wieder.« Er schwieg kurz. »Ich hätte das nicht sagen sollen. Schließlich habe ich Ihnen versprochen, daß Sie keine Vorwürfe von mir zu hören bekommen, und dieses Versprechen werde ich jetzt auch halten.«

      Dr. Scheibler zögerte einen Moment, dann kam er Dr. Hellers Aufforderung nach und nahm wieder Platz.

      »Sie hätten zuerst mit mir über den Fall sprechen sollen«, meinte Dr. Heller. Wieder schwieg er einen Moment und stieß dann plötzlich hervor: »Meine Güte, Gerrit, warum haben Sie denn bloß eine solche Dummheit gemacht? Sie standen doch sowieso unmittelbar vor Ihrer Ernennung zum 2. Oberarzt.«

      Völlig fassungslos starrte Dr. Scheibler ihn an. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er begriff, was der Oberarzt da gesagt hatte.

      »Das glaube ich Ihnen nicht«, entgegnete er schließlich.

      Dr. Heller lehnte sich an die Schreibtischkante. »Es ist aber wahr. Vor nicht ganz zwei Wochen sagte Professor Thiersch mir, daß die Klinik durchaus zwei Oberärzte vertragen könnte, und der einzige, der für diesen Posten in Frage gekommen wäre, waren Sie.«

      Dr. Scheibler sackte förmlich in sich zusammen, und obwohl er es nach allem, was er getan hatte, nicht verdiente, empfand Dr. Heller plötzlich etwas wie Mitleid für seinen Kollegen. Mit einer fast freundschaftlichen Geste legte er dem jungen Stationsarzt eine Hand auf die Schulter.

      »Haben Sie es denn wirklich nur getan, um Oberarzt zu werden?« fragte er leise.

      Dr. Scheibler schüttelte den Kopf. »Sie können es mir glauben oder nicht, aber… ja, es war der Posten als Oberarzt, der mich reizte, doch es kam noch etwas anderes hinzu. Diese Frau hat mir so leid getan… sie hat geweint und…« Er winkte resigniert ab. »Sie glauben mir ja sowieso nicht.«

      Dr. Heller betrachtete ihn eine Weile aufmerksam.

      »Doch, Gerrit, ich glaube Ihnen«, erklärte er dann. »Und ich will versuchen, Ihnen zu helfen.«

      Große Verlegenheit breitete sich in Dr. Scheibler aus.

      »Sie?« brachte er mühsam hervor. »Nach allem, was ich Ihnen angetan habe, wollen ausgerechnet Sie mir helfen?«

      Dr. Heller nickte. »Allerdings kann ich Ihnen nicht versprechen, daß es mir auch gelingen wird. Sie kennen Professor Thiersch. Wenn er einmal eine Entscheidung getroffen hat, dann ist das meistens endgültig.« Er lächelte Dr. Scheibler aufmunternd zu. »Aber Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel.«

      *

      Es war Oliver Gerhardt nicht gelungen, seine Frau zu trösten. Patricia war überzeugt davon, daß sie jetzt, nach der verhängnisvollen Operation, nie mehr schwanger werden würde. Auch jetzt brach sie wieder in Tränen aus, und Oliver konnte nur mit Mühe einen Seufzer unterdrücken.

      Er liebte seine Frau, aber was er in den vergangenen zwei Jahren durchgemacht hatte, ging schon fast an die Grenzen seiner Belastbarkeit. Seit Patricia die Pille abgesetzt hatte, lief ihre intime Beziehung nur noch nach einem festen Stundenplan ab. Patricia errechnete nach einem für Oliver entsetzlich komplizierten System ihren Eisprung, und dann mußte ihr Mann zur Stelle sein. Danach war sie jedesmal voller Enthusiasmus und wartete nur noch darauf, daß ihre Tage ausbleiben würden. Wenn die Regelblutung allerdings doch wieder eintraf, war sie eine Woche lang deprimiert. Dann begann das Spielchen von vorn.

      Inzwischen war Oliver so zermürbt, daß er am liebsten gar nicht mehr nach Hause gegangen wäre, und fast genoß er die Zeit, die Patricia nun schon in der Klinik verbrachte. Doch die Besuche bei ihr waren für ihn nicht weniger anstrengend. Und so sah Oliver mit einem bedauernden Blick auf die Uhr.

      »Tut mir leid, Liebes, aber ich habe noch zu arbeiten«, erklärte er entschuldigend. »Du weißt ja, was in der Firma immer los ist. Der Chef hat mir mal wieder Arbeit mit nach Hause gegeben.«

      Patricia nickte. Das alles interessierte sie nur am Rande.

      Oliver stand auf, küßte seine Frau pflichtgemäß und verließ dann rasch das Krankenzimmer. Draußen atmete er erst einmal auf.

      »Guten Tag, Herr Gerhardt.«

      Die unerwartete Stimme Dr. Daniels ließ ihn erschrocken herumfahren, und dabei breitete sich Verlegenheit auf seinem schmalen, sehr männlichen Gesicht aus. Er fühlte sich ertappt.

      »Es scheint, als wären sie erleichtert, die Klinik verlassen zu können«, stellte Dr. Daniel dann auch schon fest.

      Oliver seufzte.

      »Ja, Herr Doktor, so ist es auch«, gestand er zerknirscht. »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich liebe Patricia, aber dieses ständige Hinarbeiten auf ein Kind macht mich noch einmal verrückt. Ich kann die Liebe überhaupt nicht mehr genießen… sie ist für mich nur noch eine Pflichtübung.« Er errötete, weil er so impulsiv ausgesprochen hatte, was er fühlte. Das war ihm noch nie passiert.

      »Ich kann das gut verstehen, Herr Gerhardt«, meinte Dr. Daniel, »und ich habe Ihrer Frau oft genug gesagt, daß sie sich in diese ganze Angelegenheit nicht so hineinsteigern sollte. Ein Kind soll ja aus Liebe entstehen und nicht infolge von komplizierten Rechnungen.« Er schwieg kurz. »Es gibt natürlich Fälle, in denen so etwas nötig sein kann, aber Sie und Ihre Frau gehören ganz sicher nicht dazu.«

      Oliver seufzte wieder. »Und jetzt, nach dieser unseligen Operation, wird es wahrscheinlich noch schlimmer werden. Patricia hat sich in den Gedanken verrannt, nie mehr schwanger werden zu können.«

      Mit einer nahezu väterlichen Geste legte Dr. Daniel ihm eine Hand auf die Schulter.

      »Ich werde jetzt mal ein ernstes Wort mit ihr sprechen«, erklärte er dann. »Und Sie sollten vielleicht auch nicht alles widerspruchslos dulden. Wenn Sie Ihren Frust noch länger hinunterschlucken, dann geht Ihre Ehe irgendwann zugrunde.«

      Hilflos zuckte Oliver die Schultern. »Aber wenn sie so deprimiert ist, kann ich ihr unmöglich sagen, wie sehr sie mir mit der ganzen Geschichte auf die Nerven geht. Ich liebe sie doch!«

      »Jetzt wäre dafür wahrscheinlich auch nicht der richtige Zeitpunkt«, meinte Dr. Daniel. »Lassen Sie Ihrer Frau ein wenig Zeit, sich zu erholen und die Operation zu verkraften, aber dann müssen Sie auch Ihr Gefühlsleben in Ordnung bringen, Herr Gerhardt.«

      Oliver nickte. »Ich werde es versuchen, Herr Doktor.«

      Dr. Daniel lächelte. »Fein. Und wenn Ihre Frau wieder zu Hause ist, dann kommen Sie doch bitte einmal gemeinsam zu mir in die Sprechstunde – allerdings erst, wenn auch Sie bereit sind, über Ihre Gefühle zu sprechen.«

      Wieder nickte Oliver, dann verabschiedete er sich von Dr. Daniel, und als er den Flur entlangging, war von dem Frust, den er mit sich herumgeschleppt hatte, fast nichts mehr zu spüren.

      Dr. Daniel sah ihm noch nach, dann klopfte er an die Zimmertür von Patricia Gerhardt und trat ein. Die junge Frau sah ihm mit erleichtertem Blick entgegen.

      »Herr Doktor, endlich!« stieß sie hervor. »Ich

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