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atmen konnten.

      Überdies war Gerold Brück heute nicht so recht bei der Sache. Seit dem plötzlichen Tod seiner Frau vor fast fünf Jahren war er alleinerziehender Vater, und seine jetzt fünfzehnjährige Tochter Carmen machte es ihm nicht immer leicht.

      Wahrscheinlich kam das daher, weil sie nach der Schule den ganzen Nachmittag sich selbst überlassen war. Gerold bemühte sich zwar, sich so viel Zeit wie möglich für Carmen zu nehmen, aber manchmal hatte er das Gefühl, alles falsch zu machen. Und heute war wieder so ein Tag.

      »Was ist los, Gerold?« fragte seine Assistentin und sah ihn dabei prüfend an. »Probleme?«

      Gerold winkte ab. »Nicht der Rede wert, Geli.« Er versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren.

      »Wenn es wieder nicht klappt, dann werfe ich das Handtuch«, knurrte er mißmutig, während Angelika daran ging, den mittlerweile hunderteinundneunzigsten Versuch im Berichtsbuch zu notieren.

      Sie lachte. »Was glaubst du, was der Chef dazu sagen würde?«

      Unwillig winkte Gerold ab. »Das ist mir im Augenblick egal.« Er drehte sich zu seiner Assistentin um. »Meinetwegen soll er sämtliche Firmen, die bei ihm dieses Mittel bestellen wollen, mit Vorschlaghämmern beliefern. Das ist mit Sicherheit ein wirksames Mittel gegen Wühlmäuse.«

      »Vorausgesetzt, man erwischt sie.«

      Gerold seufzte, dann fuhr er sich mit beiden Händen durch das schon etwas licht gewordene, aber noch immer dunkle Haar. »Langsam frustiert mich diese Arbeit wirklich. Noch niemals hatte ich derartige Schwierigkeiten.«

      Wieder lachte Angelika. »Da hast du allerdings recht. Unsere Versuchstierchen haben sich vermehrt wie die Karnickel. Aber eine Hoffnung bleibt uns: Vielleicht klappt es ja diesmal.«

      »Zu wünschen wäre es.«

      Gerold wandte sich wieder dem gläsernen Kolben zu und beobachtete die brodelnde gelbliche Flüssigkeit. Der Dampf wälzte sich träge durch die Kühlschlange.

      »Du solltest nicht so nah rangehen«, meinte Angelika. »Mit Säure ist nicht zu spaßen. Und diese hier dürfte noch dazu brennbar sein.«

      Grinsend wandte Gerold den Kopf zurück. »Danke für den Hinweis, aber ich bin selbst Chemiker, falls dir das entfallen sein sollte. Außerdem hat der Säuredampf überhaupt keinen Druck. Und in der Schlange wird er sofort abgekühlt. Es besteht also nicht die geringste Gefahr.«

      Er drehte sich wieder um und beobachtete weiterhin die Reaktion, dabei kratzte er sich nachdenklich am Kopf.

      »Weißt du…«

      Angelika erfuhr nie mehr, was er gerade hatte sagen wollen, denn in diesem Moment geschah es.

      Die Explosion kam ganz plötzlich. Nichts kündigte sie an – kein Zischen, kein Überdruck, kein Rumoren. Von einer Sekunde zur anderen zersprang der Kolben ohne ersichtlichen Grund. Es gab einen dumpfen Knall, und im nächsten Moment zischte heißer, gelblicher Dampf gegen die Decke und umhüllte Gerolds Kopf. Gleichzeitig mit dem Dampf spritzte die kochende Säuremischung aus dem Kolben, halb flüssig, halb verdampft – ein heißer Regen aus einem schwefeligen Nebel. Scharfer, beißender Geruch erfüllte das Labor, legte sich auf die Schleimhäute und reizte zu Husten und Würgen. Fast im selben Moment gab es eine Stichflamme, und vor Angelikas entsetzten Augen verwandelte sich Gerold in eine lebende Fackel.

      Ohne zu denken drückte Angelika den Alarmknopf, der in jedem Labor angebracht war, dann riß sie ihren weißen Kittel herunter und warf ihn über Gerolds brennenden Körper, um die Flammen zu ersticken, während seine Schmerzensschreie in ihren Ohren gellten.

      Es dauerte nicht eine Minute, bis Dr. Wolfgang Metzler ins Labor stürzte. Ihm folgten Rainer Bergmann und etliche Chemiker aus anderen Laborräumen.

      Dr. Metzler erfaßte die Lage mit einem Blick.

      »Ruf sofort den Notarzt«, wies er Rainer an. »Schwerste Verbrennungen, Schockgefahr. Und die sollen sich um Himmels willen beeilen. Wenn der Mann nicht umgehend Infusionen bekommt, wird er sterben.«

      Mit weit aufgerissenen Augen kniete Angelika neben dem verunglückten Gerold und sah zu, wie Dr. Metzler ihn – soweit es in seiner Macht stand – versorgte. Sie, die zuvor instinktiv das Richtige getan hatte, war nun zu keiner Bewegung mehr fähig.

      Dr. Metzler warf ihr einen raschen Blick zu, dann deutete er einem der anderen Chemiker an, die noch immer fassungslos im Raum standen, Angelika hinauszubringen.

      »Sie soll sich hinlegen«, ordnete er an. »Ich kümmere mich gleich um sie.«

      Dann widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Schwerverletzten, dessen Schmerzensschreie jetzt verstummt waren. Dr. Metzler deckte die unzähligen Brandwunden mit sterilen Tüchern ab, dann tastete er nach Gerolds Handgelenk und zählte den Puls.

      »90«, murmelte er, während er das Blutdruckmeßgerät hervorholte. »100 zu 60. Verdammt, Junge, mach bloß nicht schlapp.«

      Doch der Schockzustand des Verunglückten schritt von Minute zu Minute weiter fort, und Dr. Metzler wußte, daß er hier vollkommen machtlos war. Er warf einen Blick auf die Uhr. Der Krankenwagen hätte längst da sein müssen. Doch bis jetzt war noch nicht einmal das Martinshorn zu hören.

      Wieder kontrollierte Dr. Metzler Puls und Blutdruck. Die Pulsfrequenz lag bereits bei 120, während der Blutdruck immer weiter unter 100 abfiel.

      »Fräulein Marquardt ist in einem fürchterlichen Zustand«, flüsterte ein junger Chemiker Dr. Metzler zu. »Können Sie ihr nichts geben?«

      Dr. Metzler nickte, während er erneut nach Gerolds Handgelenk griff. Der Puls war kaum noch fühlbar und lag mittlerweile schon bei 140.

      »Wo bleibt nur endlich der Krankenwagen«, stieß Dr. Metzler hervor, dann stand er auf und folgte dem jungen Chemiker nach nebenan, wo Angelika Marquardt heftig schluchzend auf einer schmalen Liege lag.

      Auch hier kontrollierte Dr. Metzler Puls und Blutdruck, denn bei dem, was Angelika erlebt hatte, war ein Schockzustand nicht ausgeschlossen. Doch ihr Blutdruck war eher erhöht.

      Rasch und geschickt zog Dr. Metzler eine Spritze auf.

      »Legen Sie sich auf die linke Seite«, bat er, dann schob er Angelikas Rock hoch, streifte den Slip ein Stück herunter und desinfizierte die Einstichstelle, bevor er die Nadel mit einem kurzen Ruck in den Muskel stach und das Beruhigungsmittel injizierte.

      »Sie werden jetzt gleich sehr müde werden«, erklärte Dr. Metzler, tätschelte beruhigend Angelikas Wange und verließ dann den Raum wieder, um zu Gerold Brück zurückzukehren.

      Noch immer war der Krankenwagen nicht eingetroffen. Gerolds Puls raste, während der Blutdruck noch weiter abgesunken war.

      »Was ist?« fragte Rainer Bergmann mit bebender Stimme.

      Dr. Metzler warf ihm einen kurzen Blick zu.

      »Ich kann nichts tun!« stieß er verzweifelt hervor. »Ich bin Arzt und weiß, wie er zu retten wäre, aber ich kann nichts tun.«

      In diesem Moment erklang von draußen das durchdringende Geheul des herannahenden Krankenwagens.

      »Na endlich!« rief Rainer und lief hinaus, um Notarzt und Sanitätern den Weg zu weisen.

      Währenddessen tastete Dr. Metzler erneut nach dem Puls, doch es war zu spät. Gerold Brück war tot.

      »Sind Sie Arzt?« wurde Dr. Metzler in diesem Moment angesprochen.

      Mühsam richtete er sich auf.

      »Ja, ich bin Arzt«, antwortete er, und seine Stimme hatte dabei einen eigenartigen Unterton. »Aber ich finde es ein wenig seltsam, daß Sie erst nach mir fragen und nicht nach dem Verunglückten. Allerdings können Sie sich in diesem Fall jede weitere Frage sparen. Sie sind zu spät gekommen, Herr Kollege. Der Mann ist vor zwei Minuten verstorben.«

      »Nein!« stöhnte Rainer Bergmann entsetzt auf.

      Dr. Metzler

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