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Lena Kaufmann hielt ihr die nächste Tür auf der rechten Seite auf. Zögernd trat Cornelia ein und beobachtete den Arzt, der sich in diesem Moment hinter seinem Schreibtisch erhob, mit einem ängstlichen Blick.

      »Guten Morgen, Frau Schalk«, begrüßte Dr. Daniel seine Patientin. »Bitte, nehmen Sie Platz.« Er schenkte ihr ein freundliches, fast herzliches Lächeln. »Sie sehen aus, als hätten Sie Angst vor mir.«

      Cornelia nickte, dann berichtigte sie sofort: »Eigentlich nicht vor Ihnen, Herr Doktor, sondern vor Ihrer Diagnose.«

      »So weit sind wir ja noch nicht«, versuchte Dr. Daniel sie zu beruhigen. »Vielleicht schildern Sie mir jetzt erst mal Ihre Beschwerden.«

      »Ich habe Krebs!« stieß Cornelia hervor.

      Dr. Daniel war sichtlich geschockt, faßte sich aber gleich wieder.

      »Wer hat das festgestellt?« wollte er wissen.

      »Dr. Gerber in München«, brachte Cornelia mit bebender Stimme hervor. »Ich war gestern bei ihm, und da hat er gesagt, ich hätte Gebärmutterkrebs, und eine Operation würde sich nicht mehr lohnen.«

      Unwillig runzelte Dr. Daniel die Stirn. Der Name des Arztes war ihm durchaus ein Begriff. In Fachkreisen galt Dr. Gerber sozusagen als »schwarzes Schaf«.

      »Ich will dem Kollegen Gerber nichts Schlechtes nachsagen«, begann Dr. Daniel vorsichtig. »Aber ich fürchte, mit dieser Diagnose hat er seine Kompetenzen weit überschritten. Welche Untersuchungen hat er bei Ihnen vorgenommen?«

      Leise Hoffnung keimte in Cornelia auf. Vielleicht hatte Renate recht, und Dr. Gerber hatte nur vage Vermutungen ausgesprochen?

      »Er hat Ultraschallaufnahmen gemacht und mich anschließend gynäkologisch untersucht«, gab sie Auskunft.

      Dr. Daniel senkte den Kopf, um nicht zuviel von dem Aufruhr preiszugeben, der in seinem Innern tobte. Wie kam dieser Gerber dazu, nach einer so dürftigen Untersuchung derartige Diagnosen aufzustellen? Dabei nahm sich Dr. Daniel fest vor, diesmal gegen den verantwortungslosen Arzt vorzugehen.

      Erst jetzt sah er seine Patientin wieder an.

      »Wegen welcher Symptome haben Sie den Kollegen Gerber aufgesucht?« fragte er, und die Bezeichnung »Kollege« kam ihm dabei nur schwer über die Lippen.

      »Ich hatte in den vergangenen Wochen Zwischenblutungen«, erklärte Cornelia, »und da habe ich Angst bekommen.«

      Dr. Daniel nickte. »Zwischenblutungen sind immer ein Zeichen, daß im Körper etwas nicht in Ordnung ist. Das muß aber nicht zwangsläufig Krebs bedeuten. Auch harmlose Myome können Zwischenblutungen hervorrufen. Und sogar eine beginnende Schwangerschaft kann zu solchen Blutungen führen. Hat Dr. Gerber einen Schwangerschaftstest vorgenommen?«

      Cornelia schüttelte den Kopf. »Er hat mich nur untersucht und dann gesagt, ich hätte Krebs.« Sie zögerte. »Allerdings… eine Schwangerschaft kann bei mir nicht vorliegen. Ich hatte erst vor einer Woche wieder meine Tage.«

      Dr. Daniel stand auf. »Dann werden wir jetzt ganz systematisch vorgehen, Frau Schalk. Ich werde mir das Ganze erst mal auf Ultraschall ansehen und Sie anschließend gründlich untersuchen.«

      Cornelia erhob sich ebenfalls, dann sah sie den Arzt an.

      »Wird das ebenso weh tun, wie…« Sie beendete den Satz nicht, doch Dr. Daniel wußte genau, was sie hatte sagen wollen.

      »Haben Sie keine Angst, Frau Schalk, ich werde sehr vorsichtig sein«, versprach er.

      Dr. Daniel hielt sein Versprechen. Er ging so rücksichtsvoll vor, daß Cornelia die Untersuchung nur halb so unangenehm empfand wie bei Dr. Gerber. Und dann konnte sie es kaum noch abwarten, Dr. Daniels Meinung zu ihrer Krankheit zu hören. In fliegender Hast kleidete sie sich an und trat schließlich hinter dem Wandschirm hervor.

      »Und? Ist es… Krebs?« fragte sie atemlos.

      »Bitte, Frau Schalk, setzen Sie sich erst mal«, bat Dr. Daniel, dann sah er sie mit ernstem Gesichtsausdruck an. »Es scheint tatsächlich etwas nicht in Ordnung zu sein. Die Untersuchung ergab eindeutig, daß in Ihrer Gebärmutter etwas ist, was nicht hingehört, aber es wäre mehr als vermessen zu behaupten, daß das Krebs sein muß. Ich will ehrlich genug sein, um Ihnen zu sagen, daß es jedoch nicht ausgeschlosen ist. Ebensogut kann es sich allerdings um eine gutartige Wucherung handeln.«

      Cornelia sackte auf ihrem Stuhl zusammen.

      »Es ist bestimmt Krebs«, brachte sie unter Schluchzen hervor. »Ich werde doch sterben… und dabei habe ich so gehofft…«

      »Frau Schalk.« Dr. Daniels Stimme klang sehr sanft. »Bitte, ziehen Sie jetzt keine voreiligen Schlüsse. Ich habe Ihnen gesagt, daß es nicht zwangsläufig Krebs sein muß. Hören Sie zu, Frau Schalk, ich werde Sie in die Klinik von Professor Thiersch überweisen. Haben Sie schon von ihm gehört?«

      Cornelia schüttelte den Kopf, während sie versuchte, der herausströmenden Tränen Herr zu werden. Doch ihr Taschentuch wurde feucht, bevor sie einen wirklichen Erfolg erzielte.Unaufdringlich schob Dr. Daniel ihr eine Packung Papiertaschentücher zu.

      »Professor Thiersch hat in seiner Klinik weit mehr Möglichkeiten als ich«, führte er nebenbei aus. »Er wird Sie einer ganz gründlichen Untersuchung unterziehen und dann die geeignete Behandlungsmethode ergreifen.« Er schwieg kurz. »Sie können das natürlich ablehnen, aber ich würde Ihnen dringend raten, in die Thiersch-Klinik zu gehen, und ich versichere Ihnen, daß Sie dort in den besten Händen sein werden.«

      Cornelia nickte. »Ich habe ja wohl keine andere Wahl.«

      Impulsiv griff Dr. Daniel nach ihrer Hand und drückte sie sanft. »Versteifen Sie sich nicht auf den Gedanken, Krebs zu haben. Ihre Beschwerden können ganz harmlose Ursachen zugrunde liegen.«

      Cornelias große dunkle Augen blickten ernst und traurig. »Daran glaube ich nicht, Herr Doktor.«

      *

      Dr. Daniel ließ es sich nicht nehmen, Cornelia Schalk persönlich bei Professor Thiersch anzumelden. Schließlich kannte er den Professor seit vielen Jahren, und so konnte ihn dessen barsche, oftmals sogar unhöflich wirkende Art nicht mehr einschüchtern.

      »Daniel, Sie schon wieder?« begrüßte Professor Thiersch ihn wie gewöhnlich unwirsch.

      »Sie tun mir unrecht, Herr Professor«, entgegnete Dr. Daniel lächelnd. »In letzter Zeit habe ich Sie überhaupt nicht mehr belästigt.« Dann wurde er ernst. »Es geht um eine Patientin von mir. Sie leidet unter Zwischenblutungen, die ihre Ursache in einer Wucherung innerhalb der Gebärmutter haben dürften. Krebs kann ich nicht ausschließen.«

      Einen Augenblick herrschte Schweigen in der Leitung.

      »Schicken Sie sie zu mir«, erklärte Professor Thiersch endlich. Dr. Daniel hörte das Rascheln von Papier. Offensichtlich blätterte der Professor in seinem Terminkalender. Am Montag früh.« Dann legte er einfach auf.

      Dr. Daniel seufzte. Der gute Professor Thiersch hatte schon so seine Eigenheiten, und wer ihn nicht kannte, war ihm vielleicht sogar böse. Doch Dr. Daniel wußte, wie sehr dem Professor das Schicksal seiner Patienten am Herzen lag – auch wenn er es so gut wie nie zeigte.

      *

      Trotz der unerträglichen Hitze fanden Karina und Stefan Daniel an diesem Sonntag den Weg nach Steinhausen. Karina hatte einen ganz besonderen Grund, ihren Vater aufzusuchen, und sie wollte ihren älteren Bruder als »seelische Stütze« dabeihaben.

      »Wann willst du es ihm denn beibringen?« fragte Stefan, als er seinen betagten Kleinwagen die steile Auffahrt hinauflenkte, die zur Villa von Dr. Daniel führte.

      Karina seufzte. »Wenn ich das schon wüßte.« Sie schwieg einen Moment, bevor sie gestand: »Ich habe ein bißchen Angst vor Papas Reaktion.«

      Stefan nickte. »Das kann ich mir vorstellen. Und ich bin auch sicher, daß er nicht gerade erfreut sein wird.«

      Karina zog eine Grimasse. »Na, du machst mir vielleicht

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