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der Fürstin, Magdalenens seltsames Betragen, Alles schien auf eine finstere, entsetzliche Katastrophe hinzuarbeiten; der Unglückliche entschloß sich, die gegenwärtige Stunde zur Entscheidung zu rufen. Mit einem Gefühl, das ihm das Herz zusammenschnürte, stieg er leise den wohlbekannten Gang hinauf ins Schloß, und nach wenigen Augenblicken stand er vor der geheimen Tapetentür, durch die er stets in den Tempel seines Glücks eingeschritten war. Noch einen Moment zögerte er, sie zu öffnen, da glaubte er deutlich eine fremde Stimme im Gemach zu vernehmen, von einem Tritt seines Fußes flog die Wand zurück, und – der Herzog ward sichtbar, der sich aus den Armen des Fräuleins loswand. –

      Der Sommer war dahingegangen, der Herbst streute seine falben Blätter in Garten und Flur, da hielt ein zierlicher Reisewagen vor dem Schlosse des Freiherrn, und Massiello zeigte sich darin, der gekommen war, den aus einer schweren Krankheit kaum genesenen Eduard zurück in die Residenz, zu seinen Freunden zu bringen. Man traf alle Anstalten, die blasse, zusammengesunkene Gestalt des sonst so blühenden jungen Mannes mit aller ersinnlichen Schonung und Sorgfalt zu hüten. August wollte sich von seinem Freunde durchaus nicht trennen, und bat sich darum einen Sitz im Wagen aus, den der Musiker auch mit Vergnügen ihm einräumte; der alte Baron und Ottfried vergossen Tränen, als sie den liebgewonnenen, unglücklichen Jüngling von ihren Fluren scheiden sahen, die nunmehr gänzlich verwaiset blieben, da einige Zeit vorher der Journalist und seine junge Frau sie auch verlassen hatten, um in die Schweiz zu ziehen. Fräulein Magdalena und ihre Tante waren aus der Gegend verschwunden, man wußte nicht wohin.

      Massiellos Plan mit seinem leidenden Freunde war, diesen der Residenz und allen jenen Plätzen, die alte schmerzhafte Erinnerungen wecken könnten, vorbeizuführen, und die Waldeinsamkeit aufzusuchen, wohin der Abt sich zurückgezogen hatte. Die Verwirrung in der Residenz, der Umsturz bestehender Verhältnisse, ja sogar der Wechsel der Regierung, indem es nunmehr bestimmt ausgemacht war, daß Fürst Lothar den Thron verließ, hatten den Musiker und seinen Freund von der Ausführung ihres Reiseplans bis jetzt zurückgehalten, dafür sollte er jedoch nun, da sich die Aussicht zeigte, Eduarden zum Reisegesellschafter zu haben, die ernstlichsten Anstalten zum Aufbruch getroffen werden.

      Es war Mittag, als das bestimmte Wäldchen erreicht wurde. Massiello gab an, in welcher Richtung man es durchschneiden müsse. – Der Tag war ungewöhnlich heiß, erst als man tiefer in Schatten hineingeriet, wehte eine angenehme Kühlung, vermischt mit dem würzigen Dufte des Waldharzes, den Fahrenden entgegen; hier und da fielen einzelne Sonnenstrahlen durch die grüne Nacht, und spielten im Smaragdlichte auf dem Boden, Vögel flogen mit lachendem Gezwitscher über den Weg, die Rosse zogen den leichten Wagen wie im Spiel die Krümmungen des harten Waldweges fort. Jetzt hielt der Kutscher, und die Freunde stiegen aus, um auf einem Fußwege tiefer ins Dickicht zu dringen. Man vernahm rollende Passagen auf dem Fortepiano, und zugleich ward die Einsiedlerhütte bemerkbar, deren Türe offen stand. Oben an der Hütte war ein purpurglänzender Papagei in seinem Goldringe aufgehängt, unten spielten im Sonnenstrahl zwei weiße Kaninchen. Der Abt saß in einem braunen herabfließenden Gewande, mit dem Rücken gegen den Eingang, am Instrumente, und spielte eine Sonate von Beethoven. Als er den Ankommenden entgegentrat, bemerkten die Freunde, daß er sich hatte einen Bart wachsen lassen, der seinem Gesichte nicht übel stand. »Carissimo padre!« rief Massiello, und schloß sich in die Arme des Erfreuten, indem er einige flüchtige Küsse auf den neuangeschossenen Bart drückte, »wie geht's? welches Befinden?« er trat gleich darauf ans Klavier, und spielte die fehlenden Bögen der Sonate vollends ab, indes der Abt Eduard und seinen jungen Freund herzlich begrüßte. »Gewiß,« sagte er zu dem erstern, »wird dieser kühle Waldschatten sich wie eine liebe Vergessenheit auf Ihren Busen legen, und dem empörten Blute Milde lehren – und dann tun Reisen, Posthäuser, italienische Villen und neue Liebesbekanntschaften das Übrige.« Eduard äußerte, daß er, seinem Schwure getreu, Dienste suchen wolle, und daß der Militärstand stets für ihn etwas Anziehendes gehabt habe. August jubelte über diesen Ausspruch und meinte, in dem Falle wolle auch er ein Bajonett an seine Flinte schrauben lassen. Man machte einen kleinen Spaziergang in den Wald hinein, indes der Abt Einrichtungen treffen ließ, um seinen Gästen eine anständige Mahlzeit und ein gutes Nachtlager anbieten zu können. Eduard, der den andern etwas vorausgeeilt war, betrat nicht sobald die Landstraße, als er einen Wagen heranrollen sah, in dem ein Offizier und eine junge Dame saßen; sie waren so eifrig im Gespräch begriffen, daß sie den einsamen Wanderer nicht bemerkten, er aber erkannte ihre Physiognomien wohl: es war Robert und die Gräfin Eva. Massiello lief ihnen nach, indem er schrie und mit dem Tuch winkte, doch schon war der Wagen um die Ecke gebogen und verschwunden. »Da eilen Sie nun hin!« rief der Atemlose, »ihr Bestreben ist, uns in der Stadt aufzusuchen, um Abschied zu nehmen, und jetzt hören die zerstreuten Leute auf kein abmahnendes Wort; nun meinethalben, so mögen sie denn das leere Haus finden.« Eduard erkundigte sich nach Roberts Schicksalen und erfuhr, daß der Poet eine reiche Erbschaft getan, und jetzt an der Seite der Gräfin, in der Uniform eines Malteserritters, London zueile, wo er sich anzusiedeln gedenke. – »Die Erbschaft,« lächelte der Komponist, »kam so zur rechten Zeit, daß unser Held ohne sie, von seinem vornehmen Beschützer verlassen, notwendig in eine üble Lage hätte geraten müssen; so aber scheinen die äußeren Schätze ihm immer voller zuzuströmen, je tiefer sein Gemüt in innere Zerrüttung und Armut sinkt; ich sehe das verzweifelte Ende voraus, das er notwendig nehmen muß.« – »Und wie geht's der kleinen Jokonde?« fragte Eduard, von einer wehmütigen Erinnerung angehaucht. »Fragen Sie nicht nach ihr,« sagte Massiello mit weicher Stimme, indem er zu Boden blickte; »wollte der Himmel, ich könnte von ihr sagen, daß man sie eines Morgens tot am Strande des Meeres gefunden.« Eduard wurde merklich blässer bei dieser Antwort, er schwieg und eine tiefe Stille herrschte, während die drei Freunde den Weg zurück in die Einsiedlerhütte nahmen.

      Man brachte den Abend trübe zu und ging zeitig zur Ruhe; als am andern Morgen sich die Freunde versammelten, fehlte Eduard in ihrer Mitte, er hatte sich in der Nacht leise fortbegeben, der Abt fand sein Taschenbuch, in dem ein kurzer Abschied eingezeichnet war, dann zog er ein Papier hervor, und es fand sich, daß es Magdalenens Brief war, den der Unglückliche bis jetzt bei sich getragen; Massiello entfaltete es, und las die Worte: »Theurer Oheim! den Überbringer dieses schicke ich Ihnen als einen Menschen zu, den ich für unsere Sache gewonnen habe, und den Sie überall brauchen können, nur nicht da, wo es Künste der Klugheit gilt, denn er hat die Offenheit und Ungeschicklichkeit eines Kindes. Der Fürst ist vom Throne und der Prinzessin geschieden, und geht in ein Asyl, wo er uns nicht mehr schädlich sein kann. Fällt dieser Brief in unrechte Hände, so sind wir schon längst gesichert, und ich bin einen Überlästigen los, dessen Neigung, jetzt, da ich sie gewonnen, mich schon zu langweilen anfängt; mich dürstet nach einem neuen Wirkungskreis.«

      Die Freunde legten das unglückliche Blatt hin und sahen einander mit schmerzlichen Blicken an. August lehnte, das Antlitz auf den Arm gebeugt, am nächsten Baum; er wollte es den beiden Männern verbergen, daß seine jugendliche Wange von Tränen befeuchtet war.

      Liselotte

      Ein Roman aus dem Leben der Elisabeth Charlotte von der Pfalz

       Inhaltsverzeichnis

       1. Die Jugend der Prinzessin

       2. Der Schlag ins Gesicht

       3. Das Fensterkreuz

       4. Das siebzehnjährige Mädchen

       5. Liselotte sieht sich in der Welt um

       6. Das Abenteuer im Walde

      

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