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zur Türe hinaus. »Wenn ich doch den Unfug in meinen alten Tagen nicht noch zu erleben brauchte,« rief der Baron, indem er ihr nachsah; »wahrlich, in die Tiefen des Meeres möchte ich mich betten, die Kammern der Felsen möchte ich aufschließen, um mich vor dem Unsinn, dem leeren polternden Treiben zu verstecken. Ich weiß, daß es nur ein Schwindel, ein Traum ist, worin die heutige Welt befangen ist, daß dieser jammervolle Zustand bald vorübergehen wird und muß – doch dauert er mir jetzt schon viel zu lange.« Er saß grimmig da, und erst dann gelang es Eduarden, ihn in eine bessere Stimmung zu bringen, als er einen Gang in die würzige Frische des Morgens vorschlug. Unser Freund konnte sich nicht entschließen, aufs Schloß zu gehen, um sein Werk anzufangen. Als man den Garten entlang ging, wurde Sophie bemerkbar, die Küchenkräuter einsammelte. »Das wird eine ächt liberale Suppe werden,« spöttelte der Alte, »da sie wiederum es sich nicht nehmen läßt, selbst die Ingredienzien einzusammeln; wir werden uns wohl, teurer Freund, den Hunger heute vergehen lassen müssen.« Nach einer Pause fragte er: »Kennen Sie das Fräulein Magdalena oben im Schloß?« – Eduard schüttelte das Haupt. »Ein treffliches Geschöpf,« fuhr der Baron fort, »ich könnte Ihnen von Wohltaten erzählen, von in der Stille verübten trefflichen Handlungen, doch lassen wir das, man muß seinem Nebenmenschen auch nichts Gutes hinter dem Rücken nachsagen.« Er schwieg und Eduard empfand durchaus keine Neigung, den Diskurs fortzusetzen; in dem Augenblick holte sie ein Diener vom Schlosse ein, und brachte von der Fürstin eine Einladung an Eduard, aufs Schloß zu kommen. Der Alte trennte sich von ihm, und sobald er fort war, erschien Sophie mit dem Bündel gepflückter Kräuter. »Nicht wahr,« sagte sie, »der treffliche Alte hat schon wieder über mich gelästert? o ich bin oft der Verzweiflung nahe; wie schwer wird es uns doch, den Schatz zu verbergen, den wir über Nacht gehoben haben! Er will mich nun einem vernünftigen kalten Mann verbinden, einem eingefleischten Altgläubigen, der sich nicht scheut, noch eine Perücke zu tragen und den Uz und Gleim zu lesen, mit einem Worte, er will mich einem Pfarrer vermählen, der im nächsten Städtchen wohnt, und von Zeit zu Zeit seine dürren aristokratischen Beine hierher in Bewegung setzt, um mir seine Person anzutragen. Wahrlich, man kann einen Abscheu gegen jede Verbindung bekommen, wenn man sieht, wie Ihr Geschlecht sich vereinigt, das unserige in ein unbedeutendes läppisches Nichts hinab zu drücken. Kindische Tändeleien füllen unsere Jugend, Sitte, Vorurteil, Männerstolz beraubt uns nach und nach jeder höhern Wirksamkeit, und indem die Eitelkeit Ihres Geschlechts einen Kitzel darin findet, mit unserer Erscheinung wie mit einer geputzten Puppe zu spielen, so lange dieser der Flitter vergänglicher Jugend und Schönheit anklebt, so findet zugleich der Stolz der Männer seine Berechnung dabei, durch eine so unwürdige Verweichlichung unsere Teilnahme den Angelegenheiten des Gemeinwesens zu entziehen, und unsern Geist zur Führung der Staatsgeschäfte untauglich zu machen. Was sind wir Weiber jetzt und was könnten wir sein? Wer mag heutzutage an Thusnelden erinnern, ohne fürchten zu müssen, lächerlich zu werden? und doch ist nicht Liebe, Vaterland, Freiheit ein und dasselbe im Busen eines jeden edleren Weibes, kann sie den Mann lieben, der unwürdigem Joche seinen Nacken beugt?« – Aus ihrem Auge stürzten, als sie dieses sprach, Tränen, zugleich entfielen ihr die Küchenkräuter, und ein Hündchen, welches sie begleitete, stürzte sogleich über den grünen Haufen her, und verschleppte unter Gebell und Sprüngen die farbigen Wurzeln; die neue Thusnelde hatte Mühe, indem sie ihm nachjagte, ihre Schätze wieder zu erlangen, als sie zurückkehrte, war Eduard schon auf dem Wege nach dem Schlosse begriffen, ein Diener trug ihm das Malergerät nach.

      Eine Woche war vergangen, während er ziemlich eifrig an dem Bilde arbeitete, doch mit innerem Widerstreben. Magdalena schien seine eisige Kälte zu empfinden, manchmal zog sich ein bittendes Lächeln über ihre Züge, doch lag sie stumm in ihrem samtnen Lehnsessel. Die Fürstin ging ab und zu, die Oberhofmeisterin las zuweilen ein kleines französisches Lustspiel vor. Eduard hatte nie eine ähnliche Qual empfunden; er sah, wie unter seinen Händen die Arbeit verkümmerte, wie jede volle Linie, jede warme Form ermattete und erstarrte, dennoch konnte er sich einen gewissen Triumph nicht verhehlen, der in der Überzeugung bestand, daß es ihm gelungen sei, auch jeden Reiz aus einer Gestalt zu verbannen, den diese nur anwendete, um verderblich zu wirken. Er bat sich jetzt eine Ruhezeit aus, und das Bild wurde auf sein einsames Zimmer gebracht, wo er es verhüllte und tief in einen Winkel stellte, dann riß er das Fenster auf und lehnte sich weit in die Dämmerung des Abends hinaus. Der Holunder hing seine Blüte dicht am Fenster nieder und flüsternde Pappeln ragten in den rosigen Schein hinein. In seltsame Träume versenkt, griff er nach dem Papier und entwarf eine Zeichnung, welche er, durch die eintretende Dunkelheit verhindert, liegen lassen mußte; er lehnte wieder zum Fenster hinaus, und sein Blick verlor sich in der unermeßlichen Bläue über ihm, dann sah er am Gebirge den ersten Stern mit rätselhaftem Glanze aufgehen. Es war ihm unmöglich, in dieser Stimmung zur Gesellschaft hinabzugehen oder überhaupt Menschen aufzusuchen; seine Türe verschließend, warf er sich aufs Lager und in wunderbaren Bildern zog eine ferne Zeit an seiner Seele vorüber; ein nagender Schmerz bemächtigte sich seiner, zugleich gab ihm das Bewußtsein dieses Schmerzes ein seliges Gefühl, das er in diesem Grade noch nie empfunden hatte; so sank er zuletzt in einen wohltätigen Schlummer, durch das offengebliebene Fenster strömte Kühlung über seine heiße Stirne.

      Als er sich am Morgen erhob, fühlte er sich abgespannt und verstört; einen Teil der Nacht hatten Träume gefüllt, die ihm durchaus kein klares Bild hinterließen. Mißmutig setzte er sich an den Tisch und wühlte unter den Papieren, da kam ihm das Blatt von gestern in die Hände, er betrachtete es aufmerksam und war nicht wenig verwundert über die Zeichnung, die es enthielt. Sie stellte einen Wald vor; ein Mann im Jägerkleide stand im Vorgrund, durch die Bäume wurde im Hintergrunde eine fliehende weibliche Gestalt bemerkbar, die das Antlitz mit einem schmerzlich fragenden Ausdruck umwandte und die Worte zu rufen schien: »Warum verfolgst du mich?« Er führte das Bild vollends aus, und schrieb jene Worte unter dasselbe.

      Als er in das Familienzimmer hinunter ging, fand er darin den Journalisten allein, der die Arme auf der Brust verschränkt mit langen Schritten auf und nieder ging und durch die Brillengläser feurige und unstete Blicke umherwarf. Als er Eduarden bemerkte, rief er freudig: »Schön, daß Sie kommen; ich muß meinen Geist, der unerhört glüht, durch einige heitere, gleichgültige Gespräche abkühlen, lassen Sie uns von Kunst, von Malerei sprechen. Sie malen jetzt das Fräulein; nicht wahr, eine geistreiche Physiognomie? o, das ist ein weiblicher Marquis Posa! Man sagt, Sie werden auch vielleicht die Prinzessin Braut malen – ein anderes Geschöpf! wert eine schlichte Bürgerin zu sein – und wie wird sie behandelt; doch klagt sie nicht, so gibt es andere Zungen, welche klagen, – es ist weit gekommen, sage ich Ihnen, das Land – die Stände –« Er hielt inne, schlug sich vor die Stirne und rief: »Doch wir wollten ja leichte und kühlende Dinge sprechen;« hiermit zog er einen Pack Zeitungen hervor und schrie Eduarden ins Ohr: »Haben Sie schon gelesen, Freund? – doch still, still.« Eduard mußte lächeln; er nahm einen Vorwand, sich zu entfernen und stieg in den Park hinab. Sein Wunsch war, Niemanden zu begegnen, dennoch verging keine halbe Stunde, als er einen Mann auf sich zu wandeln sah, der ihn durch ein Glas fixierte und endlich mit einem herzlichen Gruß zu ihm trat; es war Ottfried. »Oh, sieh da, unser Maler,« rief der freundliche Mann, »so bringt uns eine günstige Stunde im Tempel der schönen Natur zusammen.« Sie gingen jetzt beide den Gang hinab und über einen romantischen, hoch gelegenen Pfad, der zu einer einsamen Talmühle führte, welche im Gebüsche lieblich und idyllisch geschmückt da lag. Ottfried erzählte, wie er hier seine früheste Jugend verlebt, wie er alle Blumen und Bäume kenne und liebe; er sprach mit Wärme und Begeisterung von der Einsamkeit und jener Stille des Gemüts, in der es den süßesten, beglückendsten Gefühlen allein möglich werde, zu keimen. »Doch glaube ich,« fuhr er fort, »daß Beschaulichkeit und Andacht nicht allein den Dichter so wie den ächten Religiösen bilden; es gibt einen Zustand, der hier wie überall, wo etwas Tüchtiges sich gestalten soll, dem Menschen gleichsam die erste und heiligste Weihe gibt.« Eine Pause entstand und Eduard sah seinen Begleiter fragend an. »Es ist der Schmerz,« sagte dieser; »glauben Sie einem Manne, der aus Überzeugung spricht; der Schmerz, die Träne bringt uns dem Gott wieder nah, wenn wir durch Witz und Lachen uns von ihm entfernt haben; ebenso in der Poesie, ohne Unglück keine Größe, ohne Kampf kein Sieg, ohne Erniedrigung keine Erhöhung; wen die Musen lieben, den züchtigen sie. Wem nicht das Hindernis von Außen kommt, der findet im Innern eins. Eine große Seele findet überall Schmerz, weil sie groß ist, und der Kampf mit dem Schmerz ist Poesie.« Eduard sah dem

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