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dicht zusammen und schlummerten ein wie Tiere in der Wildnis, die nach der Wärme des Rudels suchten.

      Sebastian hatte nie erfahren, was Glück bedeutete. Nun, da Sheba zu Besuch kam, gab es jemanden, der ihn verstand, jemanden, der ihm verzieh, wer er war. Als kastrierter Kater, der seit seiner Geburt keinen Kontakt zu Artgenossen hatte, stellte das Kuscheln mit Sheba die intimste körperliche Erfahrung seines Lebens dar. Und sie genügte. Der simple Vorgang, sich für eine Schlafhaltung zu entscheiden, wurde zu einem tiefen, fast heiligen Akt, in jeder Hinsicht so komplex wie eine unverblümte Paarung. Sheba bevorzugte typischerweise den großen Löffel, da Sebastian so viel kleiner war. Während ihrer Stunden mussten sie mehrfach die Position wechseln, um Atmung und Kreislauf zu erleichtern. Bisweilen genügte es ihnen, wenn sich nur ihre Stirnen berührten oder er seinen Kopf mittig gegen Shebas Rücken schmiegte. An besonders langen Tagen begegneten sie einander mit dem Gesicht in einer Art Umarmung. Da Sheba die Zappligere der beiden war, brach sie gewöhnlich als Erste die Haltung auf. Manchmal mussten Tristan und Janet sie wecken. Das Paar schien glücklich, ihre beiden Haustiere so freundschaftlich miteinander zu sehen.

      Nach einiger Überzeugung begleitete sie Sebastian auf seinen regelmäßigen Hauspatrouillen. Sie erkundeten gemeinsam den Keller und schnüffelten zwischen alten Werkzeugen und Sportgeräten herum. Einmal, als Tristan Shebas Leine nicht sorgfältig befestigt hatte, riss sie sich los und folgte Sebastian nach oben, durch die vielen Räume des zweiten Stocks, unter Tische, hinter Regale, in offenstehende Schränke. Er führte sie am Schlafzimmer seiner Herren vorbei und hinein in die Weiten des verbotenen Dachbodens. Zunächst ängstlich, fand sie den Ort jedoch bald ebenso unwiderstehlich wie er. Es war ihre geheime Welt, ein erobertes Land. Shebas Anwesenheit machte es wieder neu.

      Es gab einen Moment während des Untergangs der Sommersonne, an dem Sebastian an einen schrecklichen Gedanken erinnert wurde, der ihm vor langer Zeit mal kam, nämlich dass er eines Tages in diesem Haus sterben würde. Er hätte mit den Schultern gezuckt, wenn es möglich gewesen wäre. Es spielte keine Rolle mehr, ob er hier starb, ob es in zehn Jahren oder diesem Augenblick geschah. Shebas Atem drückte gegen seinen Hals. Sein Kopf ruhte auf ihren ausgestreckten Beinen. Alles war gegenwärtig, und es war perfekt.

      Sebastian lernte, den Klang von Shebas Pfoten auf Gras zu erkennen, wenn sie in Tristans Garten hinter dem Haus spielte. Dort stand ein großer Baum mit von Bienenstöcken summenden Zweigen und erstickenden Kletterpflanzen um den Stamm. Es schien Shebas liebster Platz auf der Welt zu sein. War sie dort, bemerkte sie Sebastian nicht einmal immer. Wenn sie es tat, bellte sie ein paarmal, um Hallo zu sagen. Gelegentlich ärgerten sie Streunerkatzen, aber sie jagte sie fort, ehe sie ihre Krallen ausfahren konnten.

      Eines Tages war Sebastian überrascht, Hank, den Hund von gegenüber, in der Einfahrt der Martinis zu sehen. Er ging langsam, erschöpft. Spürend, dass etwas schrecklich falsch lief, suchte er den hinteren Garten nach Sheba ab. Er entdeckte sie im Schatten des Baumes liegend. Auf Sebastian fixiert, trottete Hank davon. Der Gesichtsausdruck des Hundes verriet, dass er froh war, unbescholten davongekommen zu sein.

      In gewisser Weise war Sebastian glücklich, nicht zu verstehen, dass nichts ewig währte. Er blieb dem anbahnenden Krieg gegenüber ahnungslos, während er und Sheba aneinander festhielten. Als sie begann, ihr Verhalten zu ändern, bemerkte er es zunächst nicht. Nach einer Weile schien es, als schliefe sie nur noch. Sie führten nicht länger ihr Kuschelritual durch und Sebastian fand sie oft schon bewusstlos vor. Er kroch dann neben sie. Mehr als einmal wachte sie auf und schob ihn gereizt weg. Er ignorierte es, positionierte sich und schlief wieder ein.

      Auch anderes lief falsch. Wann immer Janet allein war, kauerte sie vor dem Fernseher und beobachtete die geisterhaften Gestalten auf dem Bildschirm. Er zeigte stets einen Textfluss unter Explosionen, rennenden Personen, brennenden Gebäuden, grünen Trucks entlang des Highways und behelmten Männern und Frauen, die Brücken bauten, Dinge niederrissen und Flammenwerfer gegen gewaltige Erdhügel einsetzten. Und zwischen all den Bildern waren Videos von Kreaturen, die Sebastian schon draußen im Gras hatte krabbeln sehen: Ameisen. Sie beherrschten das Fernsehprogramm, marschierten immer in einer Reihe, bedeckten manchmal ganze Felder und nahmen tote Farmtiere auseinander. Sebastian sah Menschen vor autogroßen Ameisen fliehen. Diese Monster standen auf ihren Hinterbeinen und ihre Kiefer waren stark genug, um jemanden an der Taille hochzuheben. Das Filmmaterial wiederholte sich ein paar Tage, bis Daniel nach Hause kam und das Gerät abschaltete, noch während seine Frau schaute. Sie schrien einander an. Danach blieb Janet allein zurück und weinte. Fortan machte sie den Fernseher nur an, wenn ihr Mann außer Haus war.

      Zu diesem Zeitpunkt konnte Michael bereits laufen. Einmal weigerte er sich, schlafen zu gehen, und sie willigte ein, ihn fernsehen zu lassen. Alle Sender berichteten dasselbe. Nichts als Ameisen und Feuer. Doch an jenem Abend zeigten sie etwas Neues. Ein Rudel Wölfe näherte sich auf ihren Hinterläufen der Kamera. Einer von ihnen hielt einen Knüppel in den Händen, wie Daniel einen Hammer. Dann folgten abgehackte Szenen von einer Gruppe Tiere, die neben den Riesenameisen marschierte. Sebastian konnte Menschen schreien hören. Michael weinte, als er das sah. Janet schaltete den Fernseher aus und wiegte das Kind, bis es sich beruhigt hatte.

      Bald darauf begann Daniel Kartons voller Wasserflaschen, Gemüsekonserven und Erdnussbuttergläser in den Keller zu tragen. Eines Nachts versteckte er ein seltsames Objekt hinter dem Werkzeugregal. Es war ein langes Metallrohr mit hölzernem Ende. Er platzierte einen schmalen, roten Zylinder in dessen Seite. Dann hob er den Holzsockel an seine Schulter, richtete das Rohr auf Sebastian und machte ein Knallgeräusch mit seinem Mund. Nachdem sein Herr ins Bett ging, beschnupperte er das Gerät einige Male, bevor er aufgab, herauszufinden, was es war.

      Einige Tage vergingen, in denen Daniel den Keller besetzte und in einer Wolke seines Körpergeruchs verweilte. Sebastian verkroch sich auf dem Dachboden. Dort gab es Pokale, Plattenspieler, Fotoalben und Winterjacken an Kleiderbügeln. All die Objekte reichten ihm für eine ganze Lebenszeit. Aber sie lagen hier so viele Jahre, waren zu muffig und alt. Sie konnten nicht mit Sheba konkurrieren. Für eine kurze Zeit hoffte er, dass sie sich irgendwo versteckte. Er miaute und wartete auf Antwort oder machte ein Nickerchen auf einer Steppdecke und rechnete mit ihrer Anwesenheit, sobald er aufwachte. Doch es geschah nicht.

      Ein paar Abende später, als Daniel weg war, kehrte Sheba endlich zurück. Das übliche Ritual folgte: Janet umarmte Tristan und gemeinsam brachten sie die Hündin in den Keller, bevor sie nach oben verschwanden.

      Sebastian wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Sheba kauerte und beanspruchte den Platz für sich allein. Sie knurrte ihn an. Er glaubte, dass es eine Art Spiel ihrerseits war, und trat weiter auf sie zu. Doch dann bellte sie und bleckte die Zähne.

      Sebastian rannte zum Dachboden. Er seufzte und maunzte in der Hoffnung, Sheba mochte es über das Gestöhne aus dem Schlafzimmer hören. Wieder dachte er ans Sterben, aber das Gefühl verflog bald.

      Eine Fülle ungewohnter Klänge vibrierte durch das Fenster. Als er hinaus spähte, sah er die Auffahrt des Highways von den gleichen Vehikeln blockiert wie im Fernsehen: große, grüne Trucks und bewegliche Metallkästen mit langen Rohren. Ihre Motoren rumpelten, Rauch entstieg den Auspuffen. Obwohl Shebas Baum die Sicht auf die andere Seite des Hauses verwehrte, war Sebastian sicher, dass die Fahrzeuge die Stadt umkreisten. Eine Sirene heulte in der Ferne. Der Alarm ähnelte Shebas Jaulen, war aber um ein Vielfaches lauter. Diese Eindringlinge hatten etwas mit ihrem Verhalten zu tun, ganz bestimmt. Sie beeinflussten die Dinge, brachten die Martinis gegeneinander auf und sorgten dafür, dass er nur noch ein- statt zweimal täglich aß. Die Kinder weinten häufiger, das Radio sendete keine Musik mehr, sondern wütende, angespannte Stimmen, und der Fernseher zeigte nur noch Monster. Janet schluchzte oft, während sie die Hände faltete und zu sich selbst flüsterte. Alles fiel auseinander.

      Dann kreischte sie auf einmal. Sebastian erreichte die Kellertreppe, als Tristan hochgelaufen kam. Der Mann schnappte sich eine Rolle Küchenpapier sowie ein Spültuch und ging wieder runter. Sebastian schlich ihm hinterher.

      Von der dritten Stufe aus überblickte er alles. Sheba lag auf dem Boden, keuchend und erschöpft. Vor ihr streckten drei zitternde Welpen ihre Glieder. Tristan versuchte verzweifelt, die Sauerei aufzuwischen, und schrie Janet an. Sebastian konnte die Angst im Schweiß der beiden riechen. Sie

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