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Gesammelte Werke. Isolde Kurz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962812515
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Er fühlte den Widerstand und schlug mir nun bei der nächsten Begegnung einen ihm befreundeten Salon in Florenz vor, wo viele angesehene Fremde verkehrten und wo ich mich leicht hätte einführen lassen können. Dort meinte er, würde sich bei seiner Hinkunft ein Wiederbegegnen am zwanglosesten einleiten lassen. Ich schwieg. Ich sah da keine Brücke und es gab auch keine. Vor allem war schon mein Stolz viel zu groß, um anders denn als gleiche vor einem Werber stehen zu wollen; ich glaubte ja auch gar nicht, dass ein Mann mich durch Namen und Stellung zu mehr machen könnte, als ich mich von Geburt aus fühlte. Und zu dem allem noch Mamas Abscheu vor dem Soldatenstand. Ich freilich dachte auf diesem Punkt wie auf so vielen Punkten anders: hatte doch sie selbst, die Soldatentochter, mir, o Widersinn! aus ihrem väterlichen Blut ein Wohlgefallen an militärischen Schauspielen, an Waffenübungen und Reiterzügen und eine wahre Lust an der Darstellung kriegerischer Abenteuer vererbt. Mehr Eindruck machte mir ein Wink der welterfahrenen Sonja: in der Uniform liege die Begrenzung, die das Wort selber aussagt. Die Begrenzung, das traf! Gebundenheit an unverwischbare Prägungen und nicht zu entwurzelnde Anschauungen, die den Einzelnen zur Gattung machen, war mir immer tief unheimlich. Wie viel besser der Wildwest und das Reiten auf Präriepferden, das einmal meine Jugendhoffnung gewesen war! Es machte mich wohl glücklich, meine alte Sehnsucht nach lebendiger hoher Kulturform und Schönheit auf dem klassischen Boden gestillt zu sehen und mich darin wie mitgeboren zu bewegen, aber es war nur eine Gastrolle die ich spielte; dauernd hätte ich nicht in ihren Bindungen und Schranken leben können. Dem Dichter ist das Gehen von Sphäre zu Sphäre nicht zu persönlichen Zwecken gegeben: er muss als Bruder neben dem König und dem Bettler stehen, von keiner Daseinsform sich verwirren lassen und in allen heimisch sein, er selber aber darf keinen Stand haben. Das lag mir im Gefühl, bevor es in mein Bewusstsein trat. Meist empfand ich mich ja nicht einmal als Zeitgenossin sondern als Bürgerin einer Welt, die erst kommen würde, wenn ich nicht mehr war. Aber vielleicht waren diese Tage doch die schönsten meiner Jugend, gerade weil sie so unwirklich waren, und ich sie so ganz nur als Poesie genoss, deren Erinnerung ich vor jeder späteren Dissonanz bewahren wollte. Wenn ich neben dem ritterlichen Mann durch die Säle ging an der spalierbildenden Jugend vorüber und uns ein Beifallsmurmeln durch die Reihen folgte, so freute ich mich, weil er es mitvernahm; und wenn die jungen Offiziere mit liebevoller Verehrung ihren früh zu hoher Stellung gelangten Kommandeur nannten, so freute ich mich wieder. Eines war es, was mich vor allem an der edlen Erscheinung anzog und was die innige Bezauberung nährte: dass in seiner Haltung nicht eine Spur von Leichtfertigkeit lag und mehr Ehrfurcht vor dem weiblichen Geschlecht, als ich sie sonst bei romanischen Männern gefunden hatte. Nur den augenscheinlichen Sinn, der sich hinter seinen Worten barg, musste ich mir gewaltsam fernhalten.
Noch erinnere ich mich einer gemeinsamen Meerfahrt am letzten Abend, wo der Liebenswürdige beim Aussteigen meine Hand festhielt und etwas abseits von den anderen schnell und dringend abermals die Frage stellte: Wo also sehen wir uns wieder?
Im Paradies, antwortete ich leichthin, in dem angenommenen Tone bleibend – ein verhängnisvolles Wort, bei dem mir gleich selber nicht wohl war und das mir später erst recht aufs Herz fiel. – Nein, so lange werde er nicht warten, – mehr konnte er nicht mehr sagen, weil die Gesellschaft sich abschiednehmend dazwischendrängte. Nur noch ein stummer Händedruck und ein langer Blick, dann gingen wir auseinander, und am nächsten Morgen war die Fantasmagorie zerstoben, die Gegend leer.
Der Besuch, den ich weit mehr fürchtete als wünschte, wurde nicht zur Wahrheit. Nur einmal, bald nach der Heimkehr, erreichte mich noch ein flüchtiger Beweis, dass ich nicht vergessen war. Der Winter ging hin und das Frühjahr brachte die Nachricht von seinem Tode.
Es war ein wiederkehrender Zug in meinem Leben, dass in das »Neigen von Herzen zu Herzen« sich der Tod mischte. Hatte ich ihn in früher Jugend zu zärtlich angeblickt, als ich ihn so schön und ernst neben meinen frühsterbenden Lieblingshelden stehen sah, dass er nun immer in meiner Nähe sein wollte? Aber er suchte nicht mich, er wollte nur von mir verherrlicht sein. Und ich stand jedem dieser Toten mit einem bangen Schuldgefühl gegenüber, weil ich noch hatte, was er nicht mehr besaß, das atmende Leben. So als ob ich bei der Geburt von dem pulsenden Lebenselement mehr für mich gefasst hätte, als mir zukam, und es nun denen, die ich liebte, die mich liebten, immer wieder daran fehlen müsse.
An jenem Maitag, als ich über der Traueranzeige Ströme von Tränen weinte, legte Tatjana ihre Wange an die meine und weinte innig mit: Vous ne savez pas - je l’ai aimé aussi. Das edle Herz hatte sich von meiner Hinneigung mitreißen lassen, war aber liebevoll wie immer in den Hintergrund getreten.
Ein Menschenalter sollte vergehen, bis ich noch einmal den Namen nennen hörte, der in Rimini mein Herz bewegt hatte. Zugleich erfuhr ich auch von der Wirrung, die nach