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      Werther tötet sich selbst; Faust sucht zunächst noch einen Ausweg, um zu seinem Ziele zu gelangen: er ergibt sich der Magie, wie es die Sage vorgezeichnet hatte. Was hofft er durch sie zu erlangen? Erkenntnis dessen, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält, d.h. also das geistige Band der Schöpfung, das schöpferisch fortwirkend das Geschaffene zu einem Ganzen vereint, ferner alle wirkende Kraft und, wie er in der Sprache der Alchemisten fortfährt, Samen, d.h. die jene hervorbringenden Ursachen. Man vergleiche dazu folgende Stelle in den Aufsätzen Nach Falkonet und über Falkonet[23], wo er von der Gewalt der Zauberei spricht, die den Künstler allgegenwärtig faßt, dadurch ihm die Welt ringsumher belebt wird: »Davon fühlt nun der Künstler nicht allein die Wirkungen, er dringt bis in die Ursachen hinein, die sie hervorbringen.« Faust will also nicht allein die wirkenden Kräfte der Natur schauen, sondern auch die sie erzeugenden Ursachen[24]. Wozu aber, wenn nicht, um selbst zu schaffen? Ihn verlangt es also nach einer schöpferischen Erkenntnis der Natur, um gleich ihr schaffen zu können; dagegen drängt es ihn fort von einer unfruchtbaren Wissenschaft, die sich mit Worten ohne lebendige Kraft und lebendigen Sinn begnügt. Von dem Drang nach solchem Wissen ist er also von Anfang an geheilt. Ihm kommt es allein auf eine schöpferische Erkenntnis der Natur an, die, wie er einsieht, durch Wissen nicht erlangt werden kann. Wir befinden uns damit in dem Gedankenkreise, in dem sich der junge Goethe besonders in den Jahren 1773 und 1774 bewegte, da er lebhaft nach Erkenntnis der Natur und ihrer schöpferischen Kräfte verlangte, um so in das Geheimnis lebendiger künstlerischer Darstellung einzudringen. Vor allem ist es das Jahr 1774, jene herrliche Zeit mit mächtiger Lebenskraft hervorquellender Genialität, da er in den Gedichten über Kunstnatur und Naturkunst seinem gewaltigen Streben nach künstlerischer Thätigkeit und zugleich dem Zweifel, der Unruhe, den Fragen und Klagen, wie und ob eine der schaffenden Natur ähnliche Schöpfungskraft auch bei ihm lebendig werden könnte, wechselnden Ausdruck gibt. Eine Art von Antwort auf Fausts erste Frage nach dem inneren Zusammenhalt der Welt erteilt dabei eines von ihnen[25], das wohl mit Recht dem Jahr 1774 zugeschrieben werden darf:

      Und fühle, wie die ganze Welt

      Der große Himmel zusammenhält.[26]

      Diese Andeutungen mögen hier genügen, denn wir werden bei Besprechung des 3. Theils des ersten Monologs noch einmal auf des jungen Goethe Natur- und Kunstanschauungen im Zusammenhange zurückkommen müssen. Nur auf eins sei noch hingewiesen, was wir auch im weiteren Gang der Betrachtung noch öfter bemerken werden; es ist die Art, wie der Dichter überlieferten Begriffen und Anschauungen aus seinem eigenen Inneren neuen Lebensgehalt gibt, wie sie ihm erst dadurch lebendig werden, daß sie in Beziehung zu seinem eigenen Fühlen und Denken treten. So verbündet sich in ihm der Begriff mittelalterlicher Magie, die ja auch in das schöpferische Geheimnis der Natur eindringen wollte, um selbst, allerdings in anderem Sinne, zu schaffen, mit jener Magie des Künstlers, die er als Dichter oft genug gefühlt hatte und die er als bildender Künstler mehr und mehr in ihrer Zaubergewalt zu empfinden hoffte.

      Der zweite Teil des Monologs (V. 33-65 = 386-418—Scherer in den Betrachtungen über Faust[118]) faßt verkehrt V. 33-74 = 386-427 zusammen, obwohl mit der Angabe des Themas: Flieh! Auf! Hinaus ins weite Land! ein deutlicher und bestimmter Abschluß gegeben ist, und mit dem folgenden Verse offenbar ein neuer Gedankengang sich eröffnet[27] unterscheidet sich von dem ersten zunächst in der Art des Ausdrucks. Ist der erste Teil mehr episch gehalten, indem er auf Empfindungen zurückgeht, die Faust nicht zum ersten Mal bewegen, so gibt der zweite solche, die ihn mit aller Gewalt im Augenblick ergreifen. Der Übergang zu dieser daher lyrisch gehaltenen Partie geschieht anscheinend ganz äußerlich dadurch, daß das Mondlicht in Fausts Zimmer fällt. Man hat nun bei diesen beiden Teilen von einer Verschiedenheit des Stils und der Metrik gesprochen und nicht nur angenommen, sie seien zu verschiedenen Zeiten gedichtet, sondern sogar, daß der zweite zum vorhergehenden wie zu dem folgenden in unlösbarem Widerspruch stünde.[28] Ehe man jedoch von Stilverschiedenheit reden darf und daraus solche Schlüsse zieht, ist die Frage zu stellen, ob sie vielleicht nicht innerlich durch die Verschiedenheit des Inhalts notwendig begründet sei. Mußte nicht etwa der Dichter von selbst für seine Empfindung eine andere Ausdrucksweise wählen, mußte nicht wiederum diese das für sie geeignete Metrum sich selbst schaffen? Betrachten wir aber die beiden ersten Teile, so ergibt sich deutlich, daß unmöglich der Eingang, der uns zur Aufklärung der Lage einen kurzen Bericht von etwas gibt, das Faust nicht zum ersten Mal empfindet, in gleichem Ton gehalten werden konnte als der darauf folgende unmittelbar aus der Seele quellende Erguß.

      Trotzdem dürfen wir fragen: Warum hat der Dichter nicht unmittelbar an das: »Drum hab ich mich der Magie ergeben« angeknüpft? Wodurch ist diese lyrische Partie begründet, die anscheinend den Zusammenhang unterbricht?

      Faust hat sich der Magie ergeben, um auf unnatürlichem Wege zur Erkenntnis der Natur zu gelangen. Da kündet sich die Natur draußen selbst an, indem sie auf einmal bei diesen Worten ihr helles Licht in seinen düsteren Kerker wirft. Es ist eine Warnung der Natur; ihr Licht sucht einzudringen in das Dunkel der Beschwörungsnacht und möchte ihm zurufen: Nicht durch Magie gelangst du zur Erkenntnis meiner; nur durch die Natur führt der Weg zur Natur! Allein Faust versteht die Warnung nicht, und darf sie nicht verstehen. Sie wird ihm zu einer bloßen Mahnung an die Natur. Ein ossianisches Nachtbild[29] steht sie vor seinem Auge; sehnsuchtsvoll fühlt er sich zu ihr hingezogen; bei ihr möchte er, der sich endlich durch beklemmenden Wissensdurst durchgerungen hat, Erfrischung und Heilung der gelähmten Lebenskraft suchen.

      Allein die Erscheinung verschwindet, er sieht sich wieder in seinem grabähnlichen Kerker; aber nun kommt es ihm zum Bewußtsein, in welchem Gegensatz zur Natur er lebt, der doch die lebenschaffende Natur in ihren geheimsten Tiefen ergründen will; er hat sich selbst in diesen Kerker geschlossen, der ihn an alles andere gemahnt als an das tiefe Leben der Natur. Ist es da noch wunderbar, wenn er in seinem Inneren sich eingeengt fühlt, wenn in solcher Umgebung alle lebendige Kraft gehemmt wird? Darum fort aus dieser Enge, hinaus ins weite Land! Natur und Wissen als Gegensätze sind ihm aufgegangen; ebenso die Natur draußen und die für den Gelehrten so charakteristische Physiognomie seiner Umgebung[30]. Man stelle sich dagegen den jungen Dichter selbst vor, schaffend in seiner von Werken lebendiger Kunst geschmückten Künstlerwerkstätte!

      Allein der Gegensatz zwischen Natur und Magie wird ihm noch nicht klar, darf ihm nicht klar werden; hofft er doch bei ihr, wie wir sehen werden, die Natur zu finden und Belehrung von ihr zu erhalten! Warum hat nun der Dichter also hier die Natur warnend und mahnend eingeführt? Offenbar, weil er sich im Widerspruch zu der Überlieferung der Sage fühlt. Darum will er uns ahnen lassen und möchte auch seinen Helden ahnen lassen: durch Magie nicht zur Natur, allein durch die Natur! Der Mensch des 18. Jahrhunderts, der Zeitgenosse Rousseaus, dessen ganzes jugendliches Streben nach der Natur gerichtet war, tritt hier in Widerstreit mit dem düsteren Aberglauben einer vergangenen, aber immer noch nachwirkenden Zeit. Daher durchbricht er, nachdem er sich im Eingang im großen Ganzen an die Sage gehalten hatte, weil sie ihm Beziehungen zu seinem Leben bot, für einen Augenblick die den modernen Dichter beengenden Schranken der alten Sage, und um so mächtiger ergießt sich der Strom seiner eigensten Empfindung dahin. Der Zusammenhang zwischen den beiden ersten Teilen des Monologs ist also völlig klar und widerspruchslos. Ja, der scheinbare Widerspruch ist grade ein Beweis für die Einheit im Geiste des Dichters, aus der sie entsprungen sind. Er beruht nicht auf einem Gegensatze zwischen den beiden Teilen, sondern auf dem eigentümlichen Verhältnisse, das der moderne Dichter zu der alten Sage einnimmt; es ist dies gerade beim Faust der wichtigste Grund geworden, weshalb er nach dem Jahre 1775 die Arbeit so lange ruhen ließ. Dieser innere Widerspruch zwischen Sage und Dichter muß daher wohl beachtet werden; er ist stets fruchtbar zu machen, wenn wir das Werk eines Dichters betrachten, der eine alte Sage, deren im Lauf der Jahrhunderte fest gewordene Form er nicht völlig zerschlagen darf, ohne damit zugleich ihren eigentlichen Gehalt zu verflüchtigen, zum Stoff seiner Dichtung gewählt hat. Unter demselben Gesichtspunkt sind Homers Epen, unter demselben das Nibelungenlied zu betrachten; wer ihn nicht beachtet, wird dazu kommen gerade, was dem neuen Dichter gehört, im Gegensatz zu den unzerstörbaren Bestandteilen der Sage als spätere Zusätze und Einschiebsel anzusehen.[31]

      Auch mit dem dritten Teile des Monologs besteht, wie schon angedeutet, durchaus

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