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lebensfroher Pelagianismus, der mehr und mehr nach der düsteren Leidenszeit der zweiten Hälfte des Jahres 1772 in ihm erstarkt war, schüttelte unwillig die Fesseln des alten Glaubens ab. In prometheischem Übermut stellte er sich als selbständig der Gottheit gegenüber. In einer solchen Zeit kam ihm das »leider« aus vollem Herzen, wenn er auf frühere Bestrebungen und Meinungen zurückschaute.

      Daß Faust überhaupt aber seine Studien als einen auf ihm lastenden Druck empfindet, dessen er nur seufzend gedenken mag, paßt weniger für den Gelehrten des 16. als für den Menschen des 18. Jahrhunderts, der sich grade von jener unfruchtbaren, starren, kleinlich polyhistorischen Gelehrsamkeit mehr und mehr zu befreien strebte[10]. Auch er hatte sich, wie der Dichter später erklärt, in allem Wissen herumgetrieben und war früh genug auf die Eitelkeit desselben hingewiesen worden.[11] Doch bewahrte ihn sein Lebensgang in der Jugend davor, allzusehr mit der Schulweisheit seiner Zeit in Berührung zu kommen, sodaß er etwa ihren lebenhemmenden Einfluß so empfunden hätte, wie z.B. Lessing und Herder. Der junge Lessing mußte sich erst durch den Wust der Excerptengelehrsamkeit und Collektaneenweisheit durcharbeiten zu der Erkenntnis, daß ihn die Bücher wohl gelehrt aber nimmermehr zu einem Menschen machen würden; und so ward aus dem Theologus ein Weltmensch, wie einst Dr. Faust. Herder aber trieb es gar hinaus aus der engen, eingeschränkten Sphäre in die Welt, das Leben. Wie beweglich klagt er im Journal seiner Reise vom Jahre 1769 über die verlorenen Jahre: »Ich wäre nicht ein Tintenfaß von gelehrter Schriftstellerei, nicht ein Wörterbuch von Künsten und Wissenschaften geworden, die ich nicht gesehen habe und nicht verstehe: ich wäre nicht ein Repositorium voll Papiere und Bücher geworden, das nur in die Studierstube gehört.«[12] Man sieht, Fausts Unbehagen und Unbefriedigung über das Unfruchtbare seiner Studien waren die des Jahrhunderts seines jungen Dichters[13].

      Dagegen fehlt der Hinweis auf die wissenschaftlichen Grade (V. 7.-360.) nicht in der Überlieferung; bezeichnend hat jedoch der Dichter im ältesten Faust mit ihr eine kleine Änderung vorgenommen, während er im Fragment und der Ausgabe von 1808 wieder zu ihr zurückgekehrt ist. Statt des mittelalterlichen Magistertitels wird ursprünglich der mehr moderne Professortitel gebraucht. Denn offenbar hatte kurz nach den akademischen Jahren der junge Dichter noch mehr, als später ausgeführt wurde, die Absicht, auf das akademische Leben und Treiben grade seiner Zeit satirische Streiflichter zu werfen, was ja auch das Thema der zweiten Hauptmasse von Scenen ist. Daher ward von vornherein mehr Gewicht auf Fausts akademische Lehrthätigkeit gelegt. Das Treiben auf einer Universität, an der Faust wirkte, bildete einen Hintergrund, von dem der Held sich mehr und mehr loslösen, zu dem er in Gegensatz treten sollte. Die eigenen Erfahrungen des Dichters aus seinem Universitätsleben, vor allem aus dem Kampfjahr 1772, da er in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen gegen trockene Schulweisheit und tote Buchstabengelehrsamkeit, gegen unhistorische Auffassung und lebenbeengende Spekulation unter Herders Fahnen gefochten, mit einer Scholastik, die wir uns gewöhnt haben, mittelalterlich zu nennen, obwohl sie nie ausstirbt, einen frischen, fröhlichen Krieg geführt hatte, verliehen diesem Teil seines Gemäldes kräftige, lebenswahre Farben.

      Für Fausts Entschluß endlich, sich der Magie zu ergeben, bot ihm ebenfalls sein früheres Leben Beziehungen[14]. Hatte doch er, in dessen Geiste sich zwei Zeitalter bekämpften, sich selbst noch einst mit magischen Versuchen befaßt und sich ganz im Sinne der Alchemisten eine Weltanschauung gebildet.

      Wir sehen danach, wie in diesem ersten Teile das vom Dichter Erlebte mit den überlieferten Zügen der Sage wohl in Einklang gebracht werden konnte. Wie gut die Verschmelzung gelungen sei, zeigt auch der ganze Charakter des kurzen Prologs; mehr altertümlich-kräftig mutet er uns an, besonders im Gegensatz zu der folgenden ganz modern-weichen Partie, als sollte sich gleich von Anfang der durchgehende grundsätzliche Unterschied zwischen dem Faust der Sage und dem des Dichters in zwei verschieden angeschlagenen Grundtönen offenbaren.

      Keinen Anhalt dagegen gibt die Sage, wenn Faust es empfindet und ausspricht, daß er über die große Masse der Gelehrten weit hinausrage[15], ihm aber dafür auch fehle, woran sie sich freuen, nämlich bei aller Beschränkung der Glaube, sie wüßten etwas Rechtes, vermöchten die Menschen zu bessern und bekehren. Wie Sokrates den Sophisten gegenüber, die da glaubten, etwas zu sein ohne es zu sein, zu der Erkenntnis gekommen war, daß wir nichts wissen können, so auch hier Faust. Für ihn ist sie zunächst niederschmetternd, für den Philosophen des Altertums ward sie die erste Stufe, von ihr aus zu klaren Begriffen aufzusteigen. Sein Charakter hatte schon den jungen Goethe frühe zu dichterischer Darstellung gereizt. Die Lektüre von Platons Apologie, Hamanns Sokratischen Denkwürdigkeiten[16] hatten ihn ihm näher gebracht. Die Geschichte Gottfriedens von Berlichingen, in der er seinen Helden in mutigem, aber vergeblichem Kampfe gegen eine neue Zeit dargestellt hatte, war eben vollendet worden; da drängte sich ihm am Ende des Jahres 1771 der Plan zu einem Sokrates auf; nach dem Götz zog ihn das Bild eines Geisteshelden, von welchem Schlage ja auch Faust war, an; der heldenmütige Kampf gegen die feindlichen Mächte des Unverstands und des Scheins, gegen das »pharisäische Philistertum« sollte vorgeführt werden[17]. Es ward nicht ausgeführt. Was dem Dichter daraus lebendig blieb, ward von dem mächtigen Strom des Hauptwerkes aufgenommen, diente dem hierin mit Sokrates geistesverwandten Faust zur Charakteristik.

      Faust entbehrt aber nicht nur der Freude, die die große Menge bei ihren Beschäftigungen empfindet, auch sonst mangelt seinem Leben jede äußere Zierde und jeder Glanz, die ihm, da er die Schranken seiner inneren Menschheit fühlt, eine Art von Ersatz bieten könnten für die innere Einschränkung des Menschen[18]; auch in seinem äußeren Leben ist ihm eine gewisse Freiheit der Bewegung nicht vergönnt: So empfindet er tief in seinem Inneren die Grenzen der Menschheit, und blickt er nach außen, so fühlt er sich auch hier in der Enge. »Es möcht kein Hund so länger leben!«—Der Vergleich mit Werther drängt sich hier von selbst auf. Was ihn kennzeichnet, ist das Gefühl, nie Befriedigung finden zu können. Ahnungen und Begierden sieht er in seinem Inneren, die in keinem Verhältnis stehen zu der Einschränkung der thätigen und forschenden Kräfte des Menschen. Als sich aber auch keine Aussicht zeigt, eine mächtige Leidenschaft, die ihn ganz erfüllt, zu befriedigen, vermag er nicht mehr länger zu leben und gibt sich den Tod.

      Er hat jedoch ebenfalls bei seinem mächtigen inneren Ringen das deutliche Gefühl, daß er sich dadurch grade von der großen Masse der Menschen unterscheide, nicht minder aber sieht er ein, daß jenen dafür auch die Erkenntnis ihrer Eingeschränktheit abgehe, und sie sich darum in den engen Grenzen ihres Daseins glücklich fühlen und es, so gut es geht, ausschmücken und verzieren, eine Freude, die ihm nie werden kann. Darum gibt es für den kranken Werther von Anfang an für all das nur einen Trost, im Herzen das süße Gefühl der Freiheit, und daß er diesen Kerker verlassen kann, wann er will[19].

      Nicht Befriedigung finden zu können und endlich sogar da nicht, wo sie doch anderen gegeben ist, dazu die Enge des bürgerlichen Lebens, ein Motiv, das der Dichter noch weiter ausgestattet und verstärkt hat, um ausdrücklich damit die That seines Helden zu begründen, treiben Werther in den Tod. Daß für beides das Leben des Dichters reichlichen Stoff lieferte, braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. Am schärfsten ausgeprägt erscheint der Gegensatz zwischen menschlichem Streben und den Kümmerlichkeiten und Plagen des gewöhnlichen Lebens noch einmal in Künstlers Erdenwallen vom Sommer 1774, hier aber, sehr bezeichnend für den durch den Werther innerlich befreiten Dichter, ausklingend in kräftige Trostworte an den klagenden und verzagenden Künstler[20].

      Ausgangspunkt ist also im Werther wie im Faust das tiefe Problem von der Bedingtheit der menschlichen Natur gegenüber seinem unendlichen Streben, von dem daraus sich ergebenden inneren Freiheitsdrange; im Werther geht dieses Streben jedoch schließlich in die Form einer endlosen Leidenschaft über, die sich ein bestimmtes, einzelnes Ziel gesteckt hat: im Faust bleibt es auf das Höchste im Leben gerichtet; er findet die Kraft durch eine auf das Gebiet des Erreichbaren sich beschränkende, immer bedeutender werdende Thätigkeit Befriedigung zu suchen und das Unerforschliche für sich bestehen zu lassen. »Ich hatte nie die Idee, aus dem Sujet ein einzelnes Ganze zu machen,« schreibt er an S. Laroche[21], da er Mitte Februar 1774 am Werther arbeitete. Allerdings nicht: denn sie war damals schon in seinem Geiste als der Keim vorhanden, aus dem sich der Faust bilden sollte. So deutet es nicht bloß auf einen äußeren Zusammenhang, sondern

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