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als erinnere sie sich ihrer Erziehung, wandte sie sich Lord Melburne zu.

      „Darf ich Ihnen Mr. Julien Wilsdon vorstellen, Mylord. Julien, dies ist Lord Melburne, unser nächster Nachbar, wie Sie wohl wissen.“

      Der junge Mann hatte Lord Melburne offensichtlich noch nicht gesehen, da er nur Augen für Clarinda hatte. Nun starrte er ihn ungläubig an.

      „Was tut dieser Mann hier? Haben Sie nicht immer gesagt, Sie würden ihn nie in diesem Hause dulden? Hat er Sie verärgert?“

      „Nein, nein“, erwiderte sie schnell. „Er ist auf Onkel Rodericks Wunsch hier. Ich werde Ihnen später alles erklären. Bitte, gehen Sie jetzt und kommen Sie heute nachmittag wieder.“

      „Hätten Sie die Freundlichkeit, mir zu erklären, um was es hier geht? Es scheint doch auch mich zu betreffen. Vielleicht sollte ich Ihnen sagen, daß über eine Verlobung zwischen Miss Vernon und mir verhandelt wird.“

      „Verlobung!“ stieß Julien Wilsdon hervor. „Das ist nicht wahr! Das darf einfach nicht sein. Wie können Sie es wagen, den guten Namen von Miss Vernon in so etwas hineinzuziehen? Ich schwöre Ihnen, Mylord, wenn Sie sich über sie lustig machen, fordere ich Sie zum Duell.“

      Der Spott in Lord Melburnes Augen vertiefte sich, als er an den Unterschied zwischen dem dünnen, jungen Mann und seinen eigenen breiten Schultern, seiner Größe und Stärke dachte.

      Als hätte Clarinda dies ebenfalls gesehen, schob sie ihren Arm unter den Juliens und führte ihn aus dem Salon.

      Nach einigen Minuten kam sie zurück und entschuldigte sich.

      „Ein feuriger Bewunderer, wie ich sehe, und ein sehr gefährlicher Rivale“, meinte Lord Melburne.

      „Versuchen Sie nicht, mich zu beleidigen, Mylord“, entgegnete sie scharf. „Es wäre nicht richtig gewesen, Julien ins Vertrauen zu ziehen, bevor Sie mit meinem Onkel gesprochen hatten. Nun ist er verletzt, und es wird schwer sein, ihn zu trösten. Aber solange mein Onkel lebt, darf niemand erfahren, daß wir nur vorgeben, heiraten zu wollen. Nach seinem Tode brauchen Sie mich dann nie wieder zu sehen.“

      „Das ist eine drastische Bedingung, Miss Vernon. Ich muß zugeben, daß ich unsere Bekanntschaft sehr erfreulich finde. - Und das bringt uns zu unserem Thema zurück. Warum hassen Sie mich so sehr, daß Sie sogar mit anderen Leuten darüber sprechen?“

      „Das war falsch, ich gebe es zu. Aber ich war allein mit meinem Onkel, und Julien war der einzige, mit dem ich in den letzten Monaten reden konnte. Anfangs lebte noch Onkel Rodericks Schwester, aber sie starb, und niemand trat an ihre Stelle. Ich beklage mich aber ganz und gar nicht, denn mit Onkel Roderick war es sehr interessant. Ich habe ihm geholfen und glaube, daß ich nun in der Landwirtschaft ebenso gut Bescheid weiß wie er. Er hat sein Land geliebt, jeder Pfennig wurde für das Gut ausgegeben, für neue Saaten, Bewässerungsanlagen und so weiter“, sagte sie leidenschaftlich. „Aber das wird Seine Lordschaft schwerlich interessieren. Mein Onkel hat allerdings höchstens noch zwei Tage zu leben. Danach können Sie zu Ihren Vergnügen nach London zurückkehren.“

      „Danke für die freundliche Erlaubnis“, antwortete Lord Melburne spöttisch. „Soll ich Ihnen vielleicht ein volles Geständnis meiner Sünden ablegen?“

      Er sah den plötzlichen Ärger in ihren Augen.

      „Lassen Sie mich eines ganz klar sagen, Mylord: Ich beabsichtige weder jetzt noch später, über Ihr Verhalten zu sprechen. Das müssen Sie mit Ihrem Gewissen abmachen. Ich hatte auch nie das Verlangen nach Ihrer Gesellschaft, denn - das gebe ich offen zu - Sie sind der von mir meistgehaßte Mann der Welt. Trotzdem bin ich Ihnen dankbar für Ihre Hilfe.“

      „Über die ich noch nachzudenken habe. Vielleicht sollten wir diese Angelegenheit vorher besprechen.“

      „Ich will nicht darüber sprechen“, erklärte Clarinda trotzig.

      Einen Augenblick starrten sie einander an.

      Dann verbeugte sich Lord Melburne und sagte: „Wie Sie wollen. Ich bin äußerst gespannt, wann Sie mir die Geschichte freiwillig erzählen. Doch nun fahre ich nach Melburne. Ich werde am Nachmittag wiederkommen. Man sagte mir, daß dann auch der Rechtsanwalt Ihres Onkels anwesend wäre. Gehorsamster Diener.“

      Als er in die Halle ging, fiel ihm noch etwas ein.

      „Vielleicht sollte ich noch erwähnen, daß ein Diener an der Tür horchte, als ich das Zimmer Ihres Onkels verließ.“

      Clarinda erblaßte.

      „Bates, wo ist Walter?“

      Der alte Butler zögerte, bevor er antwortete: „Er hat sich ein Pferd aus dem Stall genommen und ist sehr schnell davongeritten.“

      „Glaubst du, er reitet zu Mr. Nicholas nach London?“

      „Ich fürchte, ja, Miss Clarinda.“

      Lord Melburne hatte den Eindruck, sie würde noch blasser.

      „Wir können nichts dagegen tun, aber eigentlich wollte ich nicht, daß Mr. Nicholas so bald davon erfährt.“

      Um Selbstbeherrschung bemüht, wandte sie sich dann wieder Lord Melburne zu. Als er ihre Hand nahm, merkte er, daß sie zitterte. In Anwesenheit des Butlers konnte er jedoch nichts sagen. So verabschiedete er sich nur und machte sich auf den Weg nach Melburne.

      Wie immer überwältigte ihn der Anblick des Herrenhauses. Das große, graue Steinhaus mit seiner Säulenfront und den schön geschwungenen Flügeln war wirklich herrlich.

      Wenn ich nur eine Frau fände, die so schön ist wie Melburne, dachte Seine Lordschaft. Dabei erschien vor seinem inneren Auge ein herzförmiges, von rotgoldenen Locken umrahmtes Gesicht.

      Warum, zum Teufel, mag sie mich nicht? fragte er sich.

      Als er die große Halle mit den griechischen Statuen vor den apfelgrünen Wänden betrat, wurde Lord Melburne von seinen Hunden lautstark begrüßt, und sein Majordomus empfing ihn mit wenigen, wohlgesetzten Worten.

      „Ich möchte in einer halben Stunde speisen; und schicke nach Major Foster.“

      „Major Foster erwartet Sie bereits, Mylord. Als wir durch Hawkins von Ihrem Besuch erfuhren, benachrichtigten wir ihn sofort, und er nahm an, daß Sie ihn zu sprechen wünschten.“

      „Das ist richtig“, antwortete Lord Melburne und begab sich zur Bibliothek, wo Major Foster auf ihn wartete.

      Er war ein etwa fünfzigjähriger Mann, der seine steile militärische Karriere aufgrund einer Verletzung leider aufgeben mußte und der - abgesehen von der Militärzeit - schon seit seiner Kindheit auf Melburne tätig war.

      „Ich freue mich, Eure Lordschaft zu sehen. Ihr letzter Besuch liegt schon zu lange zurück.“

      „Ich habe dasselbe gedacht, als ich vorhin die Auffahrt entlangfuhr. Der Besitz sieht besser aus als je zuvor. Aber heute muß ich mit Ihnen über Nicholas Vernon sprechen.“

      „Sie haben die Gerüchte gehört, Mylord?“

      „Ich komme gerade von Sir Roderick, der mir sagte, er hätte seinen Sohn enterbt.“

      „Das wundert mich nicht. Sie erinnern sich an die Höhlen auf Vernons Ländereien? Sie sind in die Chilton-Hügel gehauen und dienten ursprünglich den Römern. Im Laufe der Jahrhunderte wurden sie auf verschiedene Weise genutzt, doch heute sind sie in Vergessenheit geraten. - Soviel ich weiß, hat Mr. Vernon nun darin einen Teufelsklub gegründet.“

      „Du lieber Gott! Ich dachte, die seien schon vor elf Jahren, noch vor dem Tod von Sir Francis Dashwood, der den Teufelsklub in West Wycombe leitete, verboten worden.“

      „Das stimmt, und darum hat Nicholas Vernon seinen eigenen Club geheim gehalten. Ich hörte davon bereits vor einem Jahr, hielt es aber nur für dummes Geschwätz. Die Landleute erzählten, daß ehemalige Soldaten in den Höhlen beschäftigt würden. Man berichtete von Frauen, die in Planwagen dorthin gebracht würden, von Kutschen mit aufgemalten

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