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hätte schon letzte Woche fahren sollen, dachte Lord Melburne und trieb die Pferde an.

      Ohne in Melburne zu halten, begab er sich nach Priory. Die Auffahrt bildete eine Allee mit sehr alten Eichen, deren Zweige einen grünen Tunnel formten.

      Plötzlich bemerkte Lord Melburne, daß ihm jemand entgegenkam. Es handelte sich um eine Frau zu Pferde, die ausgezeichnet ritt und keinerlei Anstalten machte, ihm auszuweichen.

      Zu seiner Überraschung zügelte sie sogar ihr Pferd und wartete auf ihn, ohne auch nur die Hand zu heben, in einer Art, die ihn irritierte. Nachdem er dem Impuls, einfach über den Rasen an ihr vorbeizufahren, nicht stattgegeben hatte, brachte er seinen Wagen ebenfalls zum Stehen.

      Ohne Hast ritt sie nun auf ihn zu.

      Auf den ersten Blick erstaunte ihn ihre Schönheit. Ihm fiel auf, daß sie ein altmodisches Kleid trug, das trotz seines verblichenen grünen Samtes das reine Weiß ihrer Haut hervorhob.

      Lord Melburne dachte, daß er noch nie eine Frau mit solch weißer Haut gesehen hatte, doch nach einem Blick auf ihr Haar verstand er. Es war rot oder nein, es war golden - er war nicht sicher. Er hatte eine solche Farbe noch nie zuvor gesehen. Es war die Farbe reifen Korns, durchsetzt mit dem lebhaften Rot der Flammen eines Holzfeuers - es schien in der Sonne zu leuchten. Im Nacken war es zu einem schweren Knoten zusammengefaßt. Sie trug keinen Hut.

      Sie ist reizend, unglaublich reizend, sagte sich Lord Melburne und zog seinen Hut.

      Mit kalter Stimme und ohne zu lächeln, fragte sie: „Lord Melburne?“

      „ Ja.“

      „Ich bin Clarinda Vernon. Ich habe Ihnen geschrieben.“

      „Ich habe Ihren Brief erhalten“, erwiderte Lord Melburne.

      „Ich erwartete Sie schon letzte Woche.“

      Ihre Worte klangen wie ein Vorwurf, und Lord Melburne fühlte, wie sich sein Körper spannte.

      „Ich muß allein mit Ihnen sprechen.“

      Überrascht sah er sie an. Dann fiel ihm der Diener ein, der hinter ihm auf dem Kutschbock stand.

      „Jason“, sagte er, „geh nach vorne zu den Pferden.“

      „Sehr wohl, Mylord.“

      „Wollen wir hier reden, oder soll ich absteigen?“ fragte Lord Melburne.

      „Was ich zu sagen habe, ist nicht für die Ohren eines Dieners bestimmt“, bemerkte Clarinda Vernon.

      „Dann ist es wohl besser, ich komme herunter.“

      Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang Lord Melburne auf den Boden.

      Clarinda folgte seinem Beispiel, und sie traten in den Schatten einer alten Eiche.

      Sie war sehr klein, kleiner, als sie ausgesehen hatte, solange sie zu Pferd saß. Zwei Männerhände konnten ihre Taille leicht umfassen, und ihr Haar war wie Licht - ein Irrlicht, das die Männer ins Moor lockte.

      Er lächelte über sich selbst.

      Verflucht, ich werde romantisch, dachte er.

      Er hatte wirklich nicht erwartet, eine solche Schönheit auf Priory vorzufinden.

      „Ich muß mit Ihnen sprechen, bevor Sie meinen Onkel sehen. Er liegt im Sterben und ist nur noch von dem Gedanken beseelt, Sie zu sehen und Sie um etwas zu bitten“, sagte sie mit nervöser Stimme.

      „Was wünscht er?“ fragte Lord Melburne.

      „Mein Onkel hat seinen Sohn Nicholas enterbt. Er hinterläßt Priory und die Ländereien - mir. Und weil ihm sein Besitz so viel bedeutet und er nun im Sterben liegt, hat er nur noch einen Gedanken, von dem ihn niemand abbringen kann.“

      „Und der ist?“

      „Daß Sie - mich - heiraten.“

      Ihre Wangen färbten sich rot, und ihre Stimme zitterte vor Nervosität. Lord Melburne war zu überrascht, um etwas zu antworten, und sofort fuhr Clarinda fort: „Alles, was ich von Ihnen verlange, ist, daß Sie ja sagen. Onkel Roderick stirbt vielleicht noch heute nacht. Sagen Sie ja. Das macht ihn glücklich, und für Sie - für Sie bedeutet es nichts.“

      „Ich glaube nicht, daß das eine Sache ist, die man so leicht entscheiden kann“, bemerkte Lord Melburne, dem zum ersten Mal in seinem Leben die Worte fehlten.

      Clarinda sah ihn mit haßerfüllten Augen an.

      „Keine Angst, Mylord. Sie müssen Ihr Versprechen nach dem Tode meines Onkels nicht erfüllen. Ich kann Ihnen versichern, daß ich Sie nie heiraten werde, und wären Sie der letzte Mann auf der Welt.“

      Ihre Stimme war leidenschaftlich, und noch bevor Lord Melburne etwas erwidern konnte, rief sie ihr Pferd, bestieg es ohne Hilfe und galoppierte davon, als sei ihr der Teufel auf den Fersen.

      2.

      Sir Rodericks müde, alte Stimme verstummte, und er schlief ein.

      Der Arzt fühlte seinen Puls und meinte leise: „Er wird nun einige Stunden schlafen.“

      „Ich komme später wieder“, sagte Lord Melburne.

      Als er leise das Zimmer verließ, fand er sich zu seiner Überraschung einem Lakaien gegenüber, der am Schlüsselloch horchte. Beim Anblick Lord Melburnes richtete er sich auf, starrte ihn einen Moment unverschämt an, drehte sich dann um und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen, den Korridor hinab.

      Lord Melburne ging langsam zum Salon, wobei er bemerkte, daß sich das Haus in sehr schlechtem Zustand befand. Während Bilder und Möbel äußerst wertvoll waren, erschienen die Teppiche abgenutzt, die Vorhänge fadenscheinig, und viele der Stühle hatten eine neue Polsterung dringend nötig.

      Clarinda saß an einem Schreibtisch vor dem Fenster. Bei seinem Eintritt sprang sie auf. Feindselig, aber auch fragend schaute sie ihn an.

      „Ihr Onkel schläft“, sagte Lord Melburne.

      „Haben Sie versprochen, worum er - gebeten hat?“

      „Wir haben die Angelegenheit besprochen.“

      Sie schien erleichtert zu sein, als hätte sie befürchtet, er könnte die Bitte ablehnen.

      „Ich weiß nun, daß Sie nicht wirklich Sir Rodericks Nichte sind“, bemerkte er.

      „Das stimmt. Mein Vater fiel schon vor meiner Geburt, und nachdem meine Mutter Sir Rodericks Bruder geheiratet hatte, adoptierte mich dieser. Ich hielt ihn für meinen Vater, und da er keine anderen Kinder hatte, vergaß er, glaube ich, oft, daß ich nicht wirklich seine Tochter war.“

      Als sie so sprach, war ihre Stimme sanft geworden.

      Doch plötzlich, als ärgere sie sich, daß Lord Melburne sie dazu gebracht hatte, so warm von ihrem Adoptivvater zu sprechen, sagte sie scharf: „Ich habe hier etwas für Eure Lordschaft.“

      Dabei nahm sie ein Blatt Papier vom Schreibtisch, auf das sie geschrieben hatte:

      „Ich, Clarinda Vernon, schwöre, daß ich unter keinen Umständen Lord Melburne dazu anhalten werde, Versprechungen, die er hinsichtlich Verlobung oder Ehe gegenüber meinem Onkel, Sir Roderick Vernon, gemacht hat, zu halten. Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte zeichne ich am Dienstag, 2. Mai 1802.“

      Darunter folgte ihre Unterschrift und noch etwas tiefer, in unleserlichen Buchstaben, die Namen zweier Diener.

      „Das ist sehr geschäftsmäßig“, meinte Lord Melburne. „Und nun sollte ich nach dem Grund fragen, warum Sie mich so verabscheuen.“

      „Ich beabsichtige nicht, darüber zu sprechen, Mylord.“

      Noch während sie dies sagte öffnete sich die Tür, und ein sehr junger, jedoch nach dem letzten Stand der Mode gekleideter Mann trat ein. Er durchquerte den Raum und küßte Clarinda die Hand.

      „Ich bringe Ihnen

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