Скачать книгу

ja. Ich wollte nach Haus zurückkehren, nachdem ich einen Freund, der ins Ausland geht, zu den Messageries Royales begleitet hatte. Ich habe auf Vater Goriot gewartet, um zuzusehen. Es gab ja doch etwas zu lachen. Er ist durch die Rue des Grès hierher ins Viertel zurückgekehrt und zu dem bekannten Wucherer Gobseck gegangen, zu diesem schweren Jungen, der mit den Knochen seines eigenen Vaters Domino spielen würde: Das ist ein Jude, ein Araber, ein Grieche, ein Mann, bei dem sich nicht einmal ein Einbruch lohnt; er hat seine Taler hübsch auf der Bank.«

      »Was macht er denn bloß, der Vater Goriot?«

      »Och, er macht gar nichts«, meinte Vautrin, »er macht nur alles kaputt! Dieser Trottel ist blöde genug, sich für die Weiber zu ruinieren …«

      »Da kommt er!« rief Sylvia.

      »Christoph!« rief Vater Goriot, »komm mit mir nach oben!«

      Christoph folgte dem Vater Goriot und kam bald wieder herunter.

      »Wohin gehst du?« fragte Madame Vauquer ihren Hausdiener.

      »Ich mache einen Gang für Goriot.«

      »Was hast du da?« rief Vautrin, indem er Christoph einen Brief entriß, der die Aufschrift trug: An Gräfin Anastasie de Restaud. »Und wohin gehst du?« fragte er, als er Christoph den Brief zurückgab.

      »Rue du Helder. Ich darf den Brief nur an die Frau Gräfin persönlich abgeben.«

      »Was ist darin?« sagte Vautrin, indem er den Brief gegen das Licht hielt. »Eine Banknote? Nein!«

      Dann öffnete er den Umschlag ein wenig. »Ein eingelöster Wechsel!« rief er. »Verflucht nochmal, er ist galant, der alte Stockfisch. Na, alter Räuber«, sagte er, indem er Christoph mit seiner breiten Hand über die Haare fuhr und ihn wie einen Kreisel herumdrehte, »du wirst ein hübsches Trinkgeld bekommen.«

      Der Tisch war gedeckt, Sylvia ließ die Milch aufkochen, und Madame Vauquer machte im Ofen Feuer, wobei sie von Vautrin unterstützt wurde, der immer noch summte:

      »Überall bin ich zu Hause,

      Überall bin ich bekannt …«

      Als alles bereit war, kamen Madame Couture und Mademoiselle Taillefer zurück.

      »Woher kommen Sie denn so früh, meine Liebe?« fragte Madame Vauquer.

      »Wir haben in St-Étienne du Mont gebeichtet. Wir wollen doch heute zu Herrn Taillefer gehen. Das arme Mädchen zittert wie Espenlaub«, fuhr Madame Couture fort und setzte sich vor den Ofen, vor den sie ihre dampfenden Schuhe hielt.

      »Wärmen Sie sich doch auch ein wenig auf, Victorine«, sagte Madame Vauquer.

      »Es ist sehr schön, mein Fräulein, daß Sie zum lieben Gott beten, er möge das Herz Ihres Vaters erweichen«, meinte Vautrin, indem er der Waise einen Stuhl hinschob. »Aber das genügt nicht, Sie brauchen einen Freund, der diesem Schweinehund einmal den Standpunkt klarmacht, diesem Barbaren, der 3 Millionen haben soll und der Ihnen keine Mitgift gibt. Auch ein hübsches Mädchen braucht heutzutage eine Mitgift!«

      »Armes Kind!« sagte Madame Vauquer. »Warten Sie nur, mein Engel, dieses Ungeheuer von Vater wird sich noch selbst ins Unglück stürzen.«

      Bei diesen Worten füllten sich Victorines Augen mit Tränen, und auf ein Zeichen von Frau Couture verstummte die Witwe. »Wenn wir ihn nur mal sehen könnten, wenn ich ihn nur sprechen könnte, um ihm den letzten Brief seiner verstorbenen Frau zu zeigen«, seufzte die Witwe des Zahlmeisters. »Ich habe niemals gewagt, den Brief zur Post zu geben: Er kennt meine Handschrift …«

      »Oh, ihr unschuldigen, unglücklichen und verfolgten Frauen!« zitierte Vautrin, »so steht es also um euch? Nur noch einige Tage, dann nehme ich die Sache in die Hand, und alles geht gut.«

      »Ach!« rief Victorine, indem sie Vautrin einen innigen, tränenfeuchten Blick zuwarf, der ihn jedoch wenig zu berühren schien. »Wenn Sie ein Mittel wissen, um zu meinem Vater zu gelangen, so sagen Sie ihm doch, daß seine Liebe und die Ehre meiner Mutter für mich die kostbarsten Schätze der Welt sind. Wenn Sie seine Härte ein wenig mildern könnten, so will ich zu Gott für Sie beten. Seien Sie von meiner Dankbarkeit überzeugt!«

      »Überall bin ich zu Hause. ..«, sang Vautrin ironisch. –

      In diesem Moment kamen Goriot, Mademoiselle Michonneau und Poiret herunter, vielleicht durch den Geruch der Soße angelockt, mit der Sylvia die Reste des Hammels anmachte. In dem Augenblick, als die sieben Tischgenossen sich unter gegenseitigen Begrüßungen niederließen, schlug es 10 Uhr. Von der Straße her hörte man die Schritte des Studenten.

      »Na, Monsieur Eugen«, sagte Sylvia, »heute frühstücken Sie mal mit der ganzen Gesellschaft zusammen.«

      Der Student begrüßte die Pensionäre und setzte sich neben Vater Goriot.

      »Mir ist ein seltsames Abenteuer zugestoßen«, sagte er, indem er sich eine gewaltige Portion Hammelfleisch auflegte und sich ein Stück Brot abschnitt, das Madame Vauquer wie gewöhnlich mit den Augen abwog. –

      »Ein Abenteuer?« fragte Poiret.

      »Nun, wieso erstaunt Sie das? Sie alte Schlafmütze?« fragte Vautrin Herrn Poiret. »Der junge Herr sieht doch wohl so aus, als wenn er schon mal ein Abenteuer haben könnte.«

      Fräulein Taillefer warf dem jungen Studenten einen furchtsamen Blick zu. »Also los, erzählen Sie uns Ihr Abenteuer!« sagte Madame Vauquer.

      »Gestern war ich auf dem Ball der Vicomtesse de Beauséant, meiner Cousine, die ein herrliches Haus besitzt. Salons mit Seidentapeten! Es war ein wundervolles Fest, und ich habe mich amüsiert wie ein König…«

      »Wie ein Zaunkönig«, unterbrach Vautrin.

      »Was wollen Sie damit sagen?« erwiderte Eugen heftig.

      »Ich sage Zaunkönig, weil Zaunkönige sich besser amüsieren als Könige.«

      »Das ist wahr, ich möchte auch lieber so ein kleiner Vogel ohne Sorgen sein als ein König, und zwar aus dem Grunde …«, meinte das Echo Poiret.

      Der Student schnitt ihm das Wort ab. »Ich tanzte also mit der schönsten Frau des Abends, einer entzückenden Gräfin, dem herrlichsten Geschöpf, das ich jemals gesehen habe. Ihr Kopfschmuck bestand aus Pfirsichblüten, sie hatte ein herrliches Blumenbukett angesteckt aus natürlichen Blüten, die einen betäubenden Duft ausströmten. Aber man müßte sie selbst sehen, es ist unmöglich, eine Frau zu schildern, die vom Tanz belebt wird. Und nun heute morgen treffe ich diese göttliche Frau in der Rue des Grès zu Fuß. Das Herz schlug mir, ich stellte mir vor …«

      »Sie käme hierher«, sagte Vautrin, indem er dem Studenten einen scharfen Blick zuwarf. »Sie ging sicher zu Papa Gobseck, dem Wucherer. Wenn man die Herzen der Pariserinnen prüft, so wird man darin eher den Wucherer als den Liebhaber finden. Ihre Gräfin heißt Anastasie de Restaud und wohnt Rue du Helder.«

      Der Student starrte Vautrin fassungslos an. Vater Goriot fuhr hoch und warf den beiden einen Blick voller Unruhe zu, der die Pensionäre überraschte.

      »Christoph wird zu spät kommen, sie ist doch schon hingegangen«, murmelte er traurig.

      »Ich habe richtig vermutet«, flüsterte Vautrin Madame Vauquer ins Ohr.

      Goriot aß mechanisch, ohne auf die Speisen zu achten. Niemals hatte er einen stumpfsinnigeren und versunkeneren Eindruck gemacht als in diesem Augenblick.

      »Wer in aller Welt, Monsieur Vautrin, hat Ihnen den Namen verraten?« fragte Eugen.

      »Na, was denn«, erwiderte Vautrin, »Vater Goriot kannte ihn doch auch, warum sollte ich ihn nicht kennen?«

      »Monsieur Goriot?« rief der Student.

      »Wie?« entgegnete der arme Greis »sie war also gestern abend sehr schön?«

      »Wer denn?«

      »Madame de Restaud!«

      »Nun sehen Sie diesen alten Lumpen!« meine Madame Vauquer zu Vautrin, »wie seine Augen leuchten!«

      »Er hält

Скачать книгу