Скачать книгу

die Liebe eines Jünglings dar, die über Täuschungen erhaben ist. In manchen Augenblicken hätte ich mein Leben für eine einzige Nacht hingegeben. Aber nie fand ich Ohren, in die ich meine leidenschaftlichen Worte stammeln, nie ein Auge, in das mein Blick sich senken konnte, nie ein Herz für mein Herz, und so durchlebte ich alle Qualen einer ohnmächtigen Glut, die sich selbst verzehrte; sei es aus Mangel an Kühnheit oder an Gelegenheiten, oder sei es aus Unerfahrenheit. Vielleicht verzweifelte ich daran, daß ich mich nicht verständlich machen könnte, oder ich fürchtete, zu gut verstanden zu werden. Und dabei drohte jeder freundliche Blick, den man mir gönnte, einen Sturm in mir zu entfesseln. Doch trotz meiner Bereitschaft, einen solchen Blick oder scheinbar herzliche Worte als zarte Aufforderung zu deuten, wagte ich nie, zur rechten Zeit zu sprechen oder zu schweigen. Allzu starkes Gefühl ließ meine Worte nichtssagend werden und mein Schweigen albern. Fraglos war ich zu naiv für eine derart überfeinerte Gesellschaft, die in Glanz und Herrlichkeit lebt und alle ihre Gedanken in konventionelle Phrasen oder Modewörter kleidet. Ich verstand weder beredt zu schweigen, noch redend zu verschweigen. Kurz, ich trug ein Feuer in mir, das mich verbrannte; ich hatte ein Herz, wie es die Frauen zu finden wünschen, war so glühend und hingebungsvoll, wie sie es ersehnen; ich besaß die Energie, deren die Tröpfe sich nur rühmen – und doch haben mich alle Frauen aufs grausamste verraten. Kein Wunder, daß ich die Helden jener Clique ganz naiv bewunderte, wenn sie mit ihren Triumphen prahlten, und keineswegs argwöhnte, daß sie lügen könnten. Es war ohne Zweifel töricht von mir, auf bloße Worte hin Liebe zu begehren, im Herzen einer frivolen und leichtsinnigen, auf Luxus erpichten, von Eitelkeit trunkenen Frau, die gewaltige Leidenschaft zu erhoffen, den stürmischen Ozean, der in meinem eigenen Herzen brandete. Oh, sich geboren fühlen, um zu lieben, um eine Frau glücklich zu machen, und keine finden, nicht einmal eine mutige und edle Marcèline oder irgendeine alte Marquise! Wenn man Schätze in einem Bettelsack trägt und kein Kind, kein neugieriges Mädchen findet, das sie bewundern will! Ich habe mich oft aus Verzweiflung umbringen wollen.«

      »Du bist ja hübsch tragisch heute abend!« rief Émile.

      »Laß mich, laß mich mein Leben verdammen«, erwiderte Raphael. »Wenn deine Freundschaft nicht so stark ist, meine Klagelieder anzuhören, wenn du nicht um meinetwillen eine halbe Stunde Langeweile ertragen kannst, dann schlafe! Aber verlange dann keine Erklärung mehr von mir für meinen Selbstmord, der in mir grollt, sich erhebt, mich ruft und den ich grüße. Wenn man jemanden beurteilen will, muß man zumindest die Geheimnisse seiner Gedanken, seiner Nöte, seiner Gefühle kennen. Ein Leben bloß nach den äußeren Ereignissen beurteilen zu wollen, heißt eine Chronologie abfassen – was Dummköpfe Geschichte nennen!«

      Der bittere Ton, in dem diese Worte gesprochen wurden, machte Émile so betroffen, daß er Raphael von nun an aufmerksam lauschte, wobei er ihn fassungslos ansah.

      »Aber jetzt«, fuhr der Erzähler fort, »erscheinen diese Ereignisse in einem ganz anderen, ganz neuen Licht. Die Ordnung der Dinge, die ich früher als Unglück betrachtete, hat vielleicht die schönen Fähigkeiten gezeitigt, auf die ich später so stolz war. Waren es nicht die philosophische Neugier, das rastlose Arbeiten, die Liebe zum Leben, die von meinem siebenten Jahre an bis zu meinem Eintritt in die Gesellschaft mein Leben beständig erfüllten, welche mich jener Leichtigkeit fähig gemacht haben, mit der ich, wenn man euch glauben darf, meine Ideen auszudrücken und auf dem weiten Feld menschlichen Wissens voranzuschreiten vermag? Waren es nicht die Verlassenheit, zu der ich verurteilt war, die Gewohnheit, meine Gefühle zu unterdrücken und einsam in meinem Herzen zu leben, die mir die Gabe verliehen, zu vergleichen und in tiefes Nachdenken zu versinken? Hat sich mein Empfindungsvermögen nicht gerade dadurch, daß es sich nicht im Dienste mondäner Reize verlor, welche die schönste Seele erniedrigen und sie herunterbringen, bis nur mehr Plunder von ihr bleibt, im stillen sammeln können, um das vollendete Werkzeug eines Willens zu werden, höher als dem der Leidenschaft? Da die Frauen mich verkannten, habe ich sie – ich erinnere mich wohl – mit dem scharfen Blick der verschmähten Liebe aufs Korn genommen. Jetzt sehe ich wohl ein, daß mein aufrichtiger Charakter ihnen mißfallen mußte! Ob die Frauen nicht ein bißchen Heuchelei wollen? Mußten sie nicht bei einem wie mir, der zur selben Stunde mal Mann; mal Kind, mal Flattergeist, mal Denker, ohne Vorurteile und voller Aberglauben und zu alledem oft Weib wie sie ist – mußten sie da nicht Naivität für Zynismus und sogar die Lauterkeit der Gedanken für Frivolität halten? Wissenschaft bedeutete ihnen Langeweile, weibliches Schmachten Schwäche. Die überschwengliche Beweglichkeit meiner Phantasie, das Unglück der Dichter, machte mich in ihren Augen unbestritten zu einem, der zur Liebe unfähig, dessen Sinn unbeständig, der bar jeder Energie ist. Schwieg ich, hielt man mich für blöd, strengte ich mich an, ihnen zu gefallen, erschreckte ich sie wahrscheinlich, und so haben die Frauen mich verdammt. Ich habe das Urteil der Welt in Tränen und Kummer hingenommen. Diese Qual trug Früchte. Ich wollte mich an der Gesellschaft rächen, wollte die Seele aller Frauen besitzen, indem ich mir die Köpfe unterwarf, wollte aller Augen auf mich gerichtet sehen, wenn ein Diener an der Tür irgendeines Salons meinen Namen meldete. Ich beschloß, ein großer Mann zu werden. Schon als Kind hatte ich an meine Stirn geklopft und wie André de Chénier zu mir gesagt: Dahinter steckt etwas! Ich spürte, es lebte in mir ein Gedanke, der nach Ausdruck rang, ein System, das aufgestellt, das kundgetan werden wollte. Ach, mein lieber Émile, heute, da ich kaum sechsundzwanzig Jahre alt und gewiß bin, unbekannt in den Tod zu gehen, ohne daß ich je die Frau umfangen habe, die zu besitzen ich träumte; laß mich dir all meine Torheiten erzählen! Haben wir nicht alle mehr oder weniger unsere Wünsche für Wirklichkeiten gehalten? Wahrhaftig, ich möchte keinen Jüngling zum Freund, der sich nicht in seinen Träumen Kränze geflochten, ein Postament erbaut oder willfährige Geliebte besessen hätte. Ich war oft General, Kaiser; ich war Byron und dann wieder nichts. Und nachdem ich mich spielerisch über alle menschlichen Dinge erhoben hatte, mußte ich gewahren, daß alle Berge und alle Schwierigkeiten noch zu überwinden blieben. Die maßlose Eigenliebe, die in mir gärte, der unbeirrbare Glaube an ein Schicksal, der den Menschen völlig durchdringen kann, wenn er durch die Berührung mit Geschäften seine Seele nicht so leicht zerfetzen läßt wie das Schaf seine Wolle im Dorngebüsch, durch das es streift, das alles hat mich gerettet. Ich wollte mich mit Ruhm bedecken und in aller Stille für die Geliebte arbeiten, die ich eines Tages zu erringen hoffte. Alle Frauen verschmolzen sich mir zu einer einzigen, und dieses Idealgeschöpf glaubte ich in der erstbesten zu finden, die mir unter die Augen kam. Da ich aber in jeder von ihnen eine Königin erblickte, mußten sie mir armem, gepeinigtem, schüchternen Tropf eben entgegenkommen, wie Königinnen ihren Liebhabern ein erstes verheißungsvolles Zeichen geben müssen. Ach, jener einen, die Mitgefühl mit mir empfunden, hätte ich neben der Liebe ein so dankerfülltes Herz dargebracht, daß ich sie ihr ganzes Leben lang angebetet hätte. Später lehrten mich meine Beobachtungen grausame Wahrheiten. Solcherart, lieber Émile, lief ich Gefahr, ewig allein zu bleiben. Irgendeiner Geistesneigung folgend, sehen die Frauen an einem Mann von Talent nur seine Fehler und an einem Dummkopf nur seine guten Eigenschaften; sie empfinden große Sympathie für die Vorzüge eines Hohlkopfs, weil sie ihren eigenen Fehlern unaufhörlich schmeicheln, während der bedeutende Mann ihnen nicht so viel Befriedigung gewährt, daß dadurch seine Unvollkommenheit aufgewogen wäre. Das Talent ist ein Wechselfieber, und keine Frau hat Lust, nur dessen Mißhelligkeiten zu teilen; alle erwarten sie von ihren Liebhabern, daß diese ihrer Eitelkeit huldigen. Was lieben sie in uns? Lediglich sich selber noch einmal! Hüllt sich aber ein armer stolzer, mit schöpferischer Kraft begabter Künstler nicht in einen verletzenden Egoismus? Ihn umgibt ein eigenartiger Wirbel von Ideen, in den er alles, selbst seine Geliebte hineinzieht, die deren Bewegung folgen muß. Kann eine umworbene, umschmeichelte Frau an die Liebe eines solchen Mannes glauben? Kann sie eine solche Liebe suchen? Ein solcher Liebhaber hat nicht die Muße, sich vor einem Diwan all den äffischen Sentimentalitäten zu überlassen, auf die die Frauen so großen Wert legen und die gerade die falschen und herzlosen Männer beispiellos beherrschen. Er hat für seine Arbeit nicht Zeit genug, wie sollte er sie damit vergeuden, sich zu erniedrigen und den Gecken zu spielen? Ich war bereit, mein Leben auf einmal hinzugeben, nie aber stückweise wegzuwerfen. Außerdem liegt in dem diensteifrigen Gebaren eines Wechselmaklers, der für so eine blasse Zierpuppe den Laufburschen spielt, etwas derart Erbärmliches, daß es dem Künstler ein Greuel ist. Die abstrakte Liebe genügt einem armen großen Mann nicht, er verlangt alle Hingabe. Die seelenlosen Geschöpfe, die ihr Leben damit verbringen, Kaschmirschals zu probieren oder

Скачать книгу