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geworden ist. Und ich will Dir bekennen, daß ich hier in Saumur bei meinem Onkel eine Cousine gefunden habe, deren Wesen und Gestalt, Gemüt und Herz Dir wohl gefallen würden und die außerdem, wie mir scheint . . .‹

      ›Er muß recht müde gewesen sein, daß er nicht zu Ende geschrieben hat‹, sagte sich Eugénie, als sie sah, daß der Brief mitten im Satz abbrach.

      Sie rechtfertigte ihn. Es war also möglich, daß das junge Mädchen die Kälte nicht empfand, die aus diesem Schreiben sprach. Wenn junge, fromm erzogene Mädchen den Fuß ins Zauberreich der Liebe setzen, so ist ihnen, den Unschuldigen und Unwissenden, alles lauter Liebe. Sie gehen dahin, umhüllt von dem himmlischen Licht, das ihrer Seele entströmt und das den geliebten Mann mit seinen Strahlen umschmeichelt. Sie kleiden ihn in das Feuer ihres eigenen Liebefühlens und leihen ihm ihre lieblichsten Gedanken. Die Irrtümer der Frau entspringen fast stets ihrem Glauben an das Gute oder ihrem Vertrauen auf das Wahre. Eugénie klangen die Worte ›Meine liebe Annette, meine Herzgeliebte‹ wie die süßeste Sprache der Liebe; sie kosten ihre Seele, wie einst das Ohr des Kindes geliebkost wurde von den göttlichen Klängen des ›Venite adoremus‹. Auch redeten die Tränen, die noch an Charles' Wimpern hingen, zu ihr vom Edelsinn des jungen Mannes – und was könnte ein junges Mädchen mehr betören? Konnte sie wissen, daß, wenn Charles seinen Vater so sehr liebte und so aufrichtig beweinte, diese Zärtlichkeit weniger seiner Herzensgüte, als vielmehr dem gütigen Wesen seiner Eltern entsprang?

      Monsieur und Madame Guillaume Grandet hatten stets die Wünsche ihres Sohnes erfüllt, hatten ihm alle Freuden des Reichtums gewährt und hatten ihm dadurch keine Veranlassung gegeben, die herzlosen Berechnungen anzustellen, deren in Paris die meisten Kinder fähig sind, wenn der Luxus der Großstadt in ihnen Wünsche weckt, deren Erfüllung durch die Lebensdauer der Eltern immer und immer sich verzögert. Die Freigebigkeit des Vaters war so groß gewesen, daß sie in das Herz des Sohnes eine wahre Kindesliebe säte, eine Liebe ohne Hintergedanken. Dennoch war Charles als ein Pariser Kind durch das Pariser Leben und durch Annette selber daran gewöhnt worden, allem nachzurechnen, war ein Greis in der Maske des Jünglings. Er war aufgewachsen in einer Welt, die an einem einzigen Gesellschaftsabend in Gedanken und Worten mehr Verbrechen begeht, als die Justiz jemals bestraft; in einer Welt, wo ein Witz die größten Ideen vernichtet; wo man nur dann für stark gilt, wenn man ein klares Auge hat. Ein klares Auge haben aber heißt: an nichts glauben, weder an Gefühle noch an Menschen – noch an Begebenheiten: man fälscht sogar die Ereignisse. Hier heißt es, um klar zu sehen, jeden Morgen die Geldbörse des besten Freundes abwägen; sich mit List und Kaltblütigkeit über alles hinwegsetzen, was einem begegnet; niemals Bewunderung zeigen für irgend etwas, weder für ein Kunstwerk noch für eine edle Tat, und den Beweggrund zu jeder Handlung im persönlichen Interesse des einzelnen erblicken. Diese große Dame, die schöne Annette, die tausend Scherze mit ihm trieb, sie lehrte Charles nüchtern denken: sie sprach ihm von seiner zukünftigen Lebensstellung, während ihre duftende Hand sein Haar streichelte; während sie ihm zierliche Löckchen drehte, lehrte sie ihn den Ernst des Lebens erfassen: sie verweichlichte ihn und lehrte ihn dabei praktisch denken. Es war eine doppelte Verderbnis, aber eine Verderbnis, die vornehm und geschmackvoll wirkte.

      »Sie sind unbeholfen, Charles«, sagte sie zu ihm; »Sie werden mir rechte Mühe machen, bis Sie weltgewandt sind. Sie waren recht unfreundlich zu Monsieur des Lupeaulx. Ich weiß wohl, daß er kein großer Ehrenmann ist; aber warten Sie, bis er machtlos ist, dann können Sie ihn nach Herzenslust verachten.

      Wissen Sie wohl, was Madame Campan uns lehrt? ›Meine Kinder, solange ein Mann im Ministerium ist, betet ihn an; fällt er, so helft ihn auf den Schindanger werfen. Solange er Macht hat, ist er wie ein Gott; hat man ihn vernichtet, so ist er weniger als Marat im Rinnstein, denn er lebt noch, Marat hingegen ist tot. Das Leben ist eine Reihe von Kombinationen, und man muß diese studieren, ihnen folgen, um sich stets in einer guten Position erhalten zu können.‹«

      Charles war eine viel zu oberflächliche Natur, war viel zu verhätschelt von seinen Eltern und viel zu verwöhnt von der Gesellschaft, als daß er ein tiefes Gefühlsleben hätte haben können. Das Goldkörnchen, das seine Mutter in sein Herz gesenkt hatte, war in der Schule des Pariser Lebens längst zu einem dünnen Plättchen verschabt worden, zu einer spärlichen Vergoldung, die bald gänzlich abgenutzt sein würde. Aber Charles war erst zweiundzwanzig Jahre alt. In diesem Alter sind Lebensfrische und Reinheit der Seele noch etwas Selbstverständliches. Stimme, Blick und Mienenspiel scheinen in Harmonie zu stehen mit den Empfindungen des Herzens. Auch dem hartherzigsten Richter, dem ungläubigsten Sachwalter, dem mißtrauischsten Wucherer wird es schwer, an kalte Berechnung, an die Verderbtheit der Seele zu glauben, solange die Augen des Verdächtigten noch in reinem Glanze schwimmen und die Stirn keine Runzeln trägt. Charles hatte noch nie Gelegenheit gehabt, die Regeln des Pariser Sittenkodex praktisch anzuwenden, und bis heute war er schön, weil er unerfahren war. Aber der Egoismus war ihm schon frühzeitig eingeimpft worden – er wußte es nur nicht. Die Keime zu einer rücksichtslosen Lebensführung, wie sie dem Pariser selbstverständlich ist, ruhten noch verborgen in ihm; aber sie würden nicht zögern, in seinem Herzen aufzublühen, sobald er, bisher ein müßiger Zuschauer, selbst mitspielen würde im Drama des wirklichen Lebens.

      Fast alle jungen Mädchen werden hingerissen von den süßen Versprechungen eines anmutigen Äußeren; aber wäre auch Eugénie klug und beobachtend gewesen wie so manche Provinzmädchen – hätte sie wohl ihrem Cousin mißtrauen können, bei dem Manieren, Worte und Handlungen noch so völlig mit den Regungen des Herzens übereinstimmten? Ein schicksalsschwerer Zufall fügte es, daß sie die letzten Ausflüsse echten Gefühls, die noch in seinem jungen Herzen lebten, erleben mußte, daß sie gewissermaßen die letzten Seufzer seines sterbenden Gewissens hörte.

      Sie ließ ab von diesem Brief, der ihr so voll von Liebe schien, und betrachtete mit inniger Teilnahme den Schlafenden. Sie sah auf diesen Wangen noch die Farbe der Jugendfrische, der Verheißung; sie gab sich selbst den heiligen Schwur, ihn immer, immer zu lieben. Dann wandte sie sich dem zweiten Brief zu, und ihre Indiskretion bedrückte sie nicht mehr; wenn sie auch diesen Brief las, so geschah es, um noch weitere Beweise zu sammeln für die edlen Eigenschaften, die sie – wie das alle Frauen tun – dem Manne zu verleihen liebte, den sie erwählt hatte.

      ›Mein lieber Alphonse! Wenn Du diesen Brief erhältst, werde ich nicht einen Freund mehr besitzen; doch ich gestehe Dir: wenn ich auch an allen zweifle, die gewohnt sind, dies Wort im Munde zu führen, so habe ich doch an Deiner Freundschaft nie gezweifelt. Ich ersuche Dich daher, meine Angelegenheiten zu ordnen, und ich zähle darauf, daß Du aus allem, was ich besitze, so viel als möglich herausschlägst. Ich muß Dir nun meine Lage eingestehen: ich habe nichts, nichts mehr und will mich nach Indien einschiffen. Ich habe soeben an alle Leute geschrieben, bei denen ich noch Schulden zu haben glaube, und Du findest hier die Liste der Betreffenden beigefügt, so gut ich mich ihrer erinnern konnte. Meine Bibliothek, meine Möbel, meine Wagen und Pferde usw. werden wohl genügen, um meine Schulden zu bezahlen. Ich will nur einige wertlose Kleinigkeiten behalten, die mir zum Beginn einer Warenkollektion dienlich scheinen. Mein lieber Alphonse, ich schicke Dir hier eine regelrechte Vollmacht, die Dich zu dem Verkauf ermächtigt, so daß Du keine Schwierigkeiten haben wirst. Alle meine Waffen schicke mir bitte zu. Briton behalte für Dich. Niemand würde den Preis für das herrliche Tier bezahlen, so will ich es lieber Dir zum Geschenk machen, gleichwie ein Sterbender seinem Testamentsvollstrecker wohl einen Ring vermacht. Man hat mir bei Farry, Breilmann & Co. einen sehr schönen Reisewagen gebaut; er ist jedoch noch nicht geliefert worden. Versuche von ihnen zu erreichen, daß sie ihn behalten, ohne eine Entschädigungssumme zu verlangen; wenn sie sich aber weigern sollten, so vermeide alles, was in meiner jetzigen traurigen Lage ein schlechtes Licht auf mich werfen könnte. Ich habe beim Insulaner sechs Louis Spielschulden, vergiß nicht, sie ihm . . .‹

      ›Lieber, lieber Cousin‹, flüsterte Eugénie, als sie jetzt leise und eilig mit einer der brennenden Kerzen in ihr Zimmer zurückkehrte. Dort öffnete sie mit inniger Freude das Schubfach der alten Eichenkommode, einer prächtigen Arbeit aus der Renaissancezeit, auf der noch, halb verwischt, der berühmte königliche Salamander zu sehen war. Sie entnahm dem Fach eine große rote Samtbörse mit Goldquasten und verschabter Kantillenstickerei, die aus dem Nachlaß ihrer Großmutter stammte. Mit glücklichem Stolz wog sie die Börse in der Hand und machte sich nun daran, ihr kleines Vermögen nachzuzählen.

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