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der Zeitung vollzogen hatte. Ein Kammerdiener in Schwarz schlug die Türflügel eines großen Speisesaals zurück, wo jeder ohne weitere Umstände seinen Platz an der riesigen Tafel fand. Ehe Raphael die Salons verließ, warf er einen letzten Blick darauf. Sein Wunsch war ohne Frage vollständig in Erfüllung gegangen. Seide und Gold prangte in den Gemächern. Die unzähligen Kerzen der prächtigen Kandelaber ließen die geringsten Einzelheiten der vergoldeten Friese, die feinen Ziselierungen der Bronze und die satten Farben der Möbel in hellem Lichte erstrahlen. Seltene Blumen auf Gestellen, die kunstreich aus Bambus hergestellt waren, verbreiteten liebliche Wohlgerüche. Alles, bis hin zu den Vorhängen, war von einer unaufdringlichen Eleganz; über allem lag ein gewisser poetischer Zauber, der eine starke Wirkung auf die Phantasie eines jungen mittellosen Mannes ausüben mußte.

      »100000 Livres Rente sind kein schlechter Kommentar des Katechismus und helfen uns wunderbar, die Moral in Handlungen umzusetzen!« sagte er seufzend. »Wahr und wahrhaftig, meine Tugend mag nicht zu Fuß gehen. Für mich besteht das Laster in einer Dachstube, einem abgeschabten Rock, einem grauen Hut im Winter und Schulden beim Portier. Ah! ich will in diesem Luxus ein Jahr, sechs Monate nur leben, gleichviel! Und dann – sterben! Wenigstens werde ich dann tausend Leben gekannt, erschöpft, genossen haben!«

      »Oh!« sagte Emile, der ihm zugehört hatte, »du hältst das Coupé eines Wechselmaklers für Glück. Ach! du wärest des Goldes bald überdrüssig, wenn du sähest, daß es dir die Möglichkeit raubt, ein überragender Mensch zu sein. Hat der Künstler zwischen der Armut des Reichtums und den Reichtümern der Armut je geschwankt? Braucht unsereins denn nicht immer Kämpfe? Übrigens, rüste deinen Magen zum Angriff!« fügte er hinzu und wies ihm mit einer heroischen Gebärde den majestätischen, dreimal gebenedeiten und verheißungsvollen Anblick, den der Speisesaal des gesegneten Kapitalisten darbot. »Dieser Mensch da«, fuhr er fort, »hat sich doch wahrhaftig Mühe gegeben, sein Geld nur um unsretwillen zusammenzuscharren. Ist er nicht eine Art Schwamm von der Gattung der Polypen, einer, der von den Naturforschern übersehen worden ist und den es mit Raffinesse auszuquetschen gilt, bevor ihn die Erben aussaugen? Findest du nicht, daß die Basreliefs an den Wänden Stil haben? Und die Lüster, die Gemälde, welch geschmackvoller Luxus! Wenn man den Neidern und denjenigen, die hinter die Kulissen gucken, Glauben schenken darf, so hätte dieser Mann während der Revolution einen Deutschen und noch einige andere Personen, seinen besten Freund – so sagt man – und die Mutter dieses Freundes, umgebracht. Kannst du solchen Verbrechen unter den ergrauenden Haaren dieses ehrwürdigen Taillefer Platz einräumen? Er sieht wie ein sehr gutmütiger Mensch aus. Sieh nur, wie das Silbergeschirr funkelt; und jeder glänzende Strahl sollte für ihn ein Dolchstoß sein?… Nicht doch! Ebensogut könnte man an Mohammed glauben. Wenn jene Leute recht hätten, so würden sich hier dreißig edelgeartete Männer anschicken, die Eingeweide einer Familie zu verspeisen und ihr Blut zu trinken. Und wir beiden jungen treuherzigen Enthusiasten sollten an diesem Greuel teilhaben! Ich habe große Lust, unsern Kapitalisten zu fragen, ob er ein anständiger Mensch ist.« »Nein, nicht jetzt!« rief Raphael, »erst wenn er volltrunken ist; dann werden wir zumindest schon gespeist haben.«

      Die beiden Freunde nahmen lachend Platz. Mit einem Blick, der dem Wort zuvorkam, entrichtete zuerst jeder Gast dem prächtigen Anblick seinen Tribut an Bewunderung; die lange Tafel war mit einem schneeweißen Tuch bedeckt, auf dem die Gedecke symmetrisch angeordnet und von goldbraunen Brötchen gekrönt waren. Die Kristallgläser spiegelten mit ihren glitzernden Reflexen die Farben des Regenbogens, die Kerzen zeichneten ein Kreuzfeuer bis ins Unendliche, die unter Silberdeckeln aufgetragenen Speisen reizten den Appetit und die Neugierde. Es wurde wenig gesprochen. Die Tischnachbarn sahen sich gegenseitig an. Der Madeira kreiste. Dann erschien der erste Gang in seiner ganzen Glorie; er hätte dem seligen Cambacérès zur Ehre gereicht, und Brillat-Savarin hätte ihn höchlich gepriesen. Bordeaux und Burgunder, weißer und roter, wurden mit königlicher Verschwendung ausgeschenkt. Der erste Teil dieses Festmahls war in jedem Punkt der Exposition einer klassischen Tragödie vergleichbar. Der zweite Akt wurde etwas geschwätzig. Die Gäste hatten gehörig getrunken, wobei sie die Weine je nach Laune wechselten, so daß sich in dem Augenblick, als man die Reste dieses lukullischen Mahles abtrug, bereits die lebhaftesten Auseinandersetzungen entsponnen hatten. Blasse Stirnen röteten sich, Nasen färbten sich purpurn, die Gesichter flammten, die Augen funkelten. Während dieser Morgenröte der Trunkenheit überschritt die Unterhaltung noch nicht die Grenzen des Anstands, aber Neckereien und Witzeleien entfuhren nach und nach jedem Munde; dann hob die Verleumdung ganz leise ihren kleinen Schlangenkopf und sprach mit flötender Stimme; ein paar Duckmäuser horchten gespannt auf und hofften, ihre Nüchternheit wahren zu können. Der zweite Gang fand die Geister also schon ganz erhitzt. Jeder aß beim Sprechen, sprach beim Essen, jeder trank, ohne der Menge zu achten, die ihm da durch die Kehle floß, so wohlschmeckend und aromatisch war der Wein, so ansteckend wirkte das Beispiel. Taillefer setzte seinen Stolz darein, die Gäste anzufeuern, und ließ nun die schweren Rhôneweine, den feurigen Tokaier, den berauschenden alten Roussillon auftragen. Wie frisch eingespannte Postpferde ließen dann alle diese Männer, von der prickelnden Glut des ungeduldig erwarteten, nun überreichlich genossenen Champagners aufgepeitscht, ihren Geist in leeres Gerede hineingaloppieren, auf das niemand hört; sie fingen an, jene Geschichten zu erzählen, die keine Zuhörer finden; wiederholten hundertmal jene Fragen, die unerwidert bleiben. Das Gelage allein entfaltete seine laute Stimme, eine Stimme aus hundertfältigem verworrenen Geschrei, die ins Grandiose anschwillt wie ein Crescendo von Rossini. Dann kamen die verfänglichen Tischreden, die Prahlereien, die Herausforderungen. Alle begaben sich ihrer geistigen Fähigkeiten, um dafür die von Fässern, Tonnen und Zubern anzunehmen. Scheinbar hatte jeder zwei Stimmen. Es kam ein Moment, wo die Herren alle auf einmal redeten und die Diener lächelten. Aber in diesem Wirrwarr von Worten, wo paradoxe Meinungen und grotesk kostümierte Wahrheiten durch das Geschrei, durch die unbewiesenen Behauptungen und selbstherrlichen Urteile hindurch aufeinanderprallten, wie im Schlachtgetümmel Kanonen-, Gewehr- und Kartätschenkugeln sich kreuzen, hätte sicherlich einen Philosophen der ausgefallenen Gedanken wegen interessiert, hätte einen Politiker durch die bizarren Ansichten überrascht. Das war ein Buch und ein Bild zugleich. Philosophien, Religionen, Moral, so verschieden von einem Breitengrad zum anderen, Regierungen, kurz, alle großen Betätigungen der menschlichen Vernunft fielen unter einer Sense, die so scharf hieb wie die der Zeit, und es wäre schwer zu entscheiden gewesen, ob sie von trunkener Weisheit oder von weise und hellsichtig gewordener Trunkenheit geschwungen wurde. Von einem Sturm fortgerissen, schienen diese Geister, gleich dem Meer, das gegen seine felsige Küste antobt, alle Gesetze, zwischen denen die Zivilisationen wogen, erschüttern zu wollen und entsprachen so unwissentlich dem Willen Gottes, der das Gute und Böse in der Natur geschehen läßt und das Geheimnis ihres immerwährenden Kampfes für sich behält. Der Streit, so grimmig und burlesk er war, wurde zu einer Art Hexensabbat der Geister. Die ganze Kluft, die das 19. Jahrhundert vom 16. trennt, klaffte zwischen den trübseligen Späßen dieser Kinder der Revolution bei der Entstehung einer Zeitung und den Reden der lustigen Zecher bei der Geburt des Gargantua. Jenes schickte sich lachend zu einer Zerstörung an, das unsere lacht inmitten eines Trümmerhaufens.

      »Wie heißt der junge Mann, den ich da unten sehe?« fragte der Notar und deutete auf Raphael. »Ich glaubte ihn Valentin nennen zu hören?« »Was reden Sie da kurzweg von Valentin?« rief Émile lachend. »Raphael de Valentin, wenn ich bitten darf! Wir tragen einen goldenen Adler im schwarzen Feld, mit einer silbernen Krone, Schnabel und Krallen rot, mit der schönen Devise: Non cecidit animus! Wir sind kein Findelkind, sondern der Abkömmling des Kaisers Valens, des Stammvaters der Valentinois, des Gründers der Städte Valencia in Spanien und Valence in Frankreich, rechtmäßiger Erbe des Oströmischen Reiches. Wenn wir Mahmud in Konstantinopel herrschen lassen, so aus reiner Gutmütigkeit und aus Mangel an Geld und Soldaten.«

      Émile beschrieb mit seiner Gabel in der Luft eine Krone über dem Kopf Raphaels. Der Notar besann sich eine Weile und machte sich dann wieder ans Trinken, indem er durch eine bezeichnende Gebärde andeutete, daß es ihm unmöglich sei, die Städte Valence und Valencia, Konstantinopel, Mahmud, Kaiser Valens und die Familie der Valentinois unter seine Klientel zu bringen.

      »Ist die Zerstörung dieser Ameisenhaufen, namens Babylon, Tyrus, Karthago oder Venedig, die unter den Füßen eines darüber hinwegschreitenden Riesen zertreten worden sind, nicht eine dem Menschen von einer spottliebenden Macht erteilte Mahnung?« fragte Claude Vignon,

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