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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
Читать онлайн.Название Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962814601
Автор произведения Eduard von Keyserling
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
»Bist du noch böse, weil du nicht Weib sagen sollst?« fragte Doralice und versuchte zu lächeln. Hans hob schnell den Kopf, er begann zu sprechen, aber er musste einige Male dazu ansetzen, denn eine Erregung schnürte ihm die Kehle zusammen. »Weib oder nicht Weib, das ist doch gleich, der Ton ist es, der Ton. Wenn du den hast, dann bist du mir plötzlich ganz weit, ganz fremd, der streicht plötzlich alles aus, was wir miteinander erlebt haben. Ich freue mich darauf, dass es gemütlich sein wird, man wird beieinander sitzen, man wird lachen, man wird glücklich sein und dann sagst du etwas und dieser Ton ist da und es wird sofort kalt und fremd und peinlich, als setzten wir uns drüben im Schloss vor den weißen Serviettenzeltchen mit dem alten Grafen zum Frühstück nieder.«
Doralice hörte ihm gespannt zu, diese erregte Stimme, die sich überstürzenden Worte erwärmten sie. Er sollte weiter sprechen. »Wie ist dieser Ton?« fragte sie.
»Wie? Wie?« fuhr Hans leidenschaftlich fort. »Wenn dir etwas nicht schmeckt, dann schiebst du den Teller fort und sagst feindselig: ›Das will ich nicht.‹ So, so ist dieser Ton, als ob du mich und unsere ganze gemeinsame Geschichte fortschiebst. Das kannst du ja auch, es ist ja auch dein Recht, sag es doch.«
Doralice lächelte jetzt ihr hübsches, strahlendes Lächeln. Sie hob die Arme in die Höhe und reckte sich: »Ach, Hans, das ist ja Unsinn, ich bin einfach müde. Glaubst du, das strengt nicht an, so zwischen Himmel und Meer zu schweben?«
Hans schaute sie erstaunt an, dann begann auch er zu lachen, sein lautes, ein wenig unerzogenes Lachen. »Also das strengt dich an und ich – glaubst du, es ist leicht, fest im Wasser zu stehen und eine Frau über den Wellen zu halten, die Hängematte zu spielen?«
»Du«, meinte Doralice, »du bist ja so stark.«
Befriedigt lehnte Hans sich in seinen Stuhl zurück, goss sich Wein ein, er schüttelte sich vor Gemütlichkeit, als sei eine Gefahr glücklich vorübergegangen.
»Und all das kommt daher«, erklärte Hans und stach dozierend mit seiner Pfeife in die Luft hinein, »uns fehlt eine gewisse Enge, eine Gebundenheit, Form, Form, Form, das ist es, das macht reizbar und unsicher. Von Unendlichkeiten kann man nicht leben. Immer kann der eine nicht stehen und den anderen zwischen Himmel und Meer in den Mondschein hineinhalten. Also wir müssen unser Leben einteilen, regelmäßige Beschäftigung, Haushalt, eine Alltäglichkeit müssen wir haben, der ewige Feiertag macht uns krank.«
»Du könntest ja wieder malen«, warf Doralice hin.
»Das werde ich auch«, rief Hans hitzig, »glaubst du, ich werde ruhig dasitzen und von deinem Gelde leben?«
»Ach was, das dumme Geld.«
»Gleichviel, ich werde arbeiten, ich weiß auch, was ich zu malen habe, ich studiere meine Modelle, euch beide.«
»Uns beide?«
»Ja, dich und das Meer. Ihr beide müsst zusammen auf ein Bild und eine Synthese von dir und dem Meer, verstehst du?«
»Ja so«, bemerkte Doralice, »ob du nicht versuchst, zuerst das Meer zu malen. Du sagtest doch, dass du mich nicht malen kannst.«
Das ärgerte Hans wieder. »Ja dort, dort konnte ich dich allerdings nicht malen. Ich war berauscht von dir. Man muss doch seinem Modell auch einigermaßen objektiv gegenüberstehen.«
»Stehst du mir jetzt objektiv gegenüber?« fragte Doralice verwundert.
»Ja«, meinte Hans, »es kommt wenigstens allmählich und das haben wir nötig, etwas Nüchternheit, so eine selbstgeschaffene Bürgerlichkeit, in die man sich fest einschließt. Du sprachst da vorhin wegwerfend von Kartoffelsuppe, ich möchte sagen, kein Leben, auch das idealste, ist möglich, in dem es nicht einige Stunden am Tage nach Kartoffelsuppe riecht.« Er lachte und sah Doralice triumphierend an, stolz auf seine Bemerkung.
Doralice seufzte: »Uff, wenn man da nur atmen kann, ganz eng, fest eingesperrt und riecht nach Kartoffelsuppe. Eine Welt, als ob Agnes sie geschaffen hätte.«
»Bitte«, sagte Hans empfindlich, »wer da nicht atmen kann, darf hinaus, wir sind freie Menschen, dass wir uns selbst binden, ist unsere Freiheit, aber keiner von uns ist gebunden.«
Doralice zog die Augenbrauen in die Höhe und sagte ziemlich schläfrig: »Ach, lassen wir doch die alte Freiheit. Es ist ja ganz hübsch, wenn eine Tür immer offen steht, aber man braucht doch nicht beständig drauf hinzuweisen. Die Freiheit wird dann fast ebenso langweilig wie das ›tenue ma chère‹3 dort, du weißt.«
Hans schaute Doralice bestürzt an. Er wollte etwas sagen, verschluckte es jedoch. Er erhob sich und begann im Zimmer auf- und abzugehen, er ging schnell, stapfte stark mit seinen Filzschuhen auf den Boden. Doralice folgte ihm neugierig mit den Blicken. Jetzt war er zornig, jetzt würde er leidenschaftlich losbrechen, sie freute sich darauf, sie liebte es, wenn er die Worte so heiß hervorsprudelte und ein Gesicht machte wie ein zorniger Knabe. Das hatte ihr an ihm gefallen dort in der Welt der beständigen Selbstbeherrschung. Aber es wollte nicht kommen, immer noch ging er schnell und schweigend in dem engen Raum umher. Plötzlich blieb er vor Doralice stehen, kniete nieder mit beiden Knien hart auf den Boden schlagend und legte seinen Kopf auf Doralicens Knie und so begann er zu sprechen leise und klagend: »Wie kannst du das sagen, ich … ich … ich weise auf die Tür hin. Aber wenn du zu dieser Tür hinausgingst, dann wäre es aus, dann hätte nichts mehr einen Sinn, dann hätte ich keinen Sinn, dann hätte die ganze Welt keinen Sinn.«
Doralice strich mit der Hand ihm leicht über das krause Haar. »Nein, nein«, sagte sie und das klang müde und mitleidig zugleich, »zusammen, wir bleiben zusammen, wir beide sind ja doch miteinander ganz allein.«
Hans richtete sich auf, er lachte wieder, zuversichtlich und triumphierend, indem er Doralicens Arm fasste und ihn schüttelte: »Das will ich meinen und ich werde auch dafür sorgen, dass