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Be­richt. »Wir wer­den alle un­se­re Kräf­te nö­tig ha­ben.«

      Am Vor­mit­tage des fol­gen­den Ta­ges saß Rosa, wie sie es lieb­te, im Gar­ten auf der Schau­kel­bank und be­trach­te­te die son­nen­be­schie­ne­nen Nar­zis­sen­bee­te. Am ge­öff­ne­ten Fens­ter des Wohn­zim­mers sa­ßen Frau Böhk und Ag­nes, steck­ten die Köp­fe zu­sam­men und flüs­ter­ten. Ab und zu drang ein lau­ter ge­spro­che­nes Wort bis zu Rosa – eine Zahl oder Frau Böhks mit sü­ßer Stim­me ab­ge­ge­be­ner Pro­test. »Nein, Schwes­ter, nein. Ich hab’s so wohl­feil wie mög­lich ein­ge­rich­tet.« – »Sie be­rech­nen sich«, dach­te Rosa.

      Jetzt er­zähl­te Ag­nes et­was, nick­te mit dem Kop­fe, wisch­te sich die Au­gen. »Wenn wir die Sa­chen auch ver­kau­fen«, hör­te Rosa sie sa­gen, »wie­viel kann denn doch da­bei her­aus­kom­men? Bei all die­sen Krank­hei­ten kön­nen wir Gott dan­ken, dass wir nicht in Schul­den hin­ein­ge­ra­ten sind. Nun – und wenn ich auch mit ihr hier­her­zie­he – dort kann sie na­tür­lich nicht blei­ben –, auch dann reicht das Geld nicht. Ich habe nicht viel, sie hat we­nig. Gott – Gott, wie soll das wer­den!«

      »Wie ist das?« sag­te sich Rosa, bog den Kopf zu­rück, blin­zel­te in die Son­ne und über­leg­te: »Ich habe kein Geld, und Ag­nes will mich er­hal­ten, so meint sie es doch? Ja, das darf aber nicht sein; na­tür­lich nicht!… Was dann?« Die Bon­ne der Schank war die ein­zi­ge Aus­hil­fe, das war klar. »Mor­gen fah­ren wir heim«, be­schloss Rosa. Ein Be­dürf­nis zu han­deln er­griff sie. Sie ging in das Wohn­zim­mer und sag­te: »Mor­gen, Ag­nes, fah­ren wir heim.«

      »Mor­gen?« rie­fen die bei­den Schwes­tern er­staunt aus.

      »Ja, Ag­nes – es muss et­was ge­sche­hen.«

      Da blick­ten sich die bei­den Frau­en ver­ständ­nis­in­nig an und mein­ten: »Recht hat das Kind.«

      Siebentes Kapitel

      Rosa hat­te ge­glaubt, die Rück­kehr in ihre Hei­mat­stadt wür­de sie er­grei­fen. Als sie je­doch bei ein­bre­chen­der Dun­kel­heit durch die wohl­be­kann­ten Stra­ßen fuhr, fühl­te sie kei­ner­lei Er­re­gung. Al­les war un­ver­än­dert. Ein je­des stand auf sei­nem al­ten Platz, und Rosa schau­te ru­hig dar­auf hin, als wäre sie nie fort ge­we­sen.

      In der Herz­schen Woh­nung war eine dump­fe, hei­ße Luft ein­ge­schlos­sen. Der Lehn­stuhl am Tisch stand ein we­nig schief, als hät­te je­mand ihn eben ver­las­sen, auf dem Fens­ter­brett lag ein Ta­schen­tuch. Nur eins war un­ge­wöhn­lich. Im Flur und im Wohn­zim­mer la­gen Tan­nen­na­deln über den Fuß­bo­den ver­streut. Ag­nes hat­te ver­ges­sen, sie nach der Lei­chen­fei­er fort­zu­keh­ren, nun ver­brei­te­ten sie einen schar­fen Duft, der Rosa mit Un­be­ha­gen er­füll­te. Sie ging in ihr Zim­mer hin­über. Auf dem Tisch, dem Bett, dem Ro­sen­stock am Fens­ter lag Staub; der trau­te Raum schau­te sie heu­te so tot und nichts­sa­gend an und mach­te sie trau­rig; es war je­doch kei­ne Trau­rig­keit, die uns wei­nen lässt, son­dern ein miss­mu­ti­ges, ödes sich in sich selbst Ver­krie­chen. Ag­nes war viel ge­rühr­ter. Mit feuch­ten Au­gen sah sie Rosa an und klag­te: »Ach Kind, wenn ich den­ke, dass du wie­der hier bist und dass dein Papa das nicht mehr er­lebt! Wie hübsch hät­ten wir drei wie­der bei­ein­an­der ge­lebt. Nun ist al­les aus!«

      »Ach ja!« er­wi­der­te Rosa, aber der Schmerz um ein an­de­res Gut war noch zu mäch­tig in ihr, als dass sie um die stil­len Tage der Ver­gan­gen­heit trau­ern konn­te.

      Den­sel­ben Abend noch schrieb Rosa an Fräu­lein Schank und bat sie, ihr bei­zu­ste­hen. Fräu­lein Schank ant­wor­te­te, sie wol­le sich nach et­was Pas­sen­dem um­schau­en und es Rosa dann mel­den.

      Rosa war­te­te ge­dul­dig meh­re­re Tage. Ei­nes Abends ging sie zum Fried­hof hin­aus, um das Grab ih­res Va­ters zu be­su­chen. Die Stadt hat­te das bun­te, lus­ti­ge Aus­se­hen der Som­mer­aben­de. In der Lin­den­al­lee, die zum Fried­hof führ­te, be­geg­ne­te Rosa vie­len Men­schen, die lang­sam mit be­staub­ten Schu­hen, die Hän­de vol­ler Feld­blu­men, heim­zo­gen. Auch das Ehe­paar Tod­dels ging an Rosa vor­über. Sal­ly trug ein hel­les Som­mer­kleid und einen ro­sa­seid­nen Hut. Sie schiel­te zu Rosa hin­über und dräng­te sich schüch­tern an ih­ren Mann her­an, als fürch­te­te sie sich. Die­ser wuss­te nicht recht, was er tun soll­te, und küss­te flüch­tig und lin­kisch den ro­sa­seid­nen Hut.

      Auf dem Fried­hof war es so still, dass man die Schrit­te der we­ni­gen Be­su­cher deut­lich auf dem Kies knir­schen hör­te. Über dem Gra­be des Bal­let­tän­zers er­hob sich ein schwar­zes Kreuz, und vie­le As­tern blüh­ten dort. Nach­denk­lich stand Rosa da­vor. End­lich knie­te sie nie­der und be­te­te; sie konn­te aber nicht wei­nen, und das miss­fiel ihr. Hat­te sie denn ih­ren Va­ter nicht ge­liebt? Wie sie je­doch so vor dem Grab­hü­gel knie­te, er­griff sie ein tie­fes Mit­leid ih­rer selbst, sie beug­te ihre Stirn in die As­tern hin­ein und wein­te bit­ter­lich über sich selbst. –

      End­lich ei­nes Ta­ges be­schied Fräu­lein Schank Rosa zu sich. Rosa fand sich pünkt­lich ein. Fräu­lein Schank hat­te so­eben zu Mit­tag ge­ges­sen und eil­te ih­rer frü­he­ren Schü­le­rin mit ro­ter Nase und ge­röte­tem Kinn ent­ge­gen.

      »Gu­ten Tag. Komm, bit­te, hier her­ein«, sag­te sie has­tig und auf­ge­regt und führ­te Rosa in das Wohn­zim­mer.

      In ei­ner Ecke die­ses Zim­mers saß auf ei­nem ge­räu­mi­gen Lehn­ses­sel Fräu­lein Schanks Mut­ter, eine sehr alte, ge­lähm­te Frau. Mit trü­ben gel­ben Au­gen starr­te sie vor sich hin und ver­zog die Un­ter­lip­pe, was ih­rem Ge­sicht einen bö­sen, höh­ni­schen Aus­druck ver­lieh.

      »Rosa Herz, Mut­ter«, mel­de­te Fräu­lein Schank. »Nimm Platz, Rosa«, fuhr sie in stren­gem Gou­ver­nan­ten­ton fort, ihre gelb­li­chen Wan­gen wur­den je­doch ganz rot, und sie woll­te die Un­ter­re­dung durch eine zweck­lo­se Ge­schäf­tig­keit noch hin­aus­schie­ben. Das Er­schei­nen ih­rer frü­he­ren Schü­le­rin mach­te sie ver­le­gen. Statt der durch­trie­be­nen Rosa stand eine Frau vor ihr, die we­der zer­knirscht noch de­mü­tig aus­sah, son­dern nur ernst und sehr schön, mit ih­rer vol­len Ge­stalt im schwar­zen Klei­de, mit den leuch­ten­d­ro­ten Lip­pen im blei­chen Ge­sicht und den feuch­ten großen Au­gen, die tiefer in das Le­ben hin­ein­ge­schaut hat­ten als Fräu­lein Schank – trotz ih­rer drei­ßig Jah­re keu­scher Schul­weis­heit.

      »So – so! Du sitzt schon? Ich bin auch da«, sag­te sie und setz­te sich ge­ra­de auf ih­rem Stuhl; da­bei ver­such­te sie die be­trüb­te, miss­bil­li­gen­de Mie­ne an­zu­neh­men, die sie auf­zu­set­zen pfleg­te, wenn eine Schü­le­rin »wie­der nicht prä­pa­riert« war; sie ge­lang ihr je­doch nicht. Mit ih­ren spit­zen ro­ten Bäck­chen sah Fräu­lein Schank so be­fan­gen und hilf­los aus, dass Rosa sich frag­te: Was hat sie nur?

      »Du siehst an­ge­grif­fen aus«, be­gann Fräu­lein Schank und strich sich ihr Ban­deau glatt. »Nicht wahr, Mut­ter, die Rosa sieht an­ge­grif­fen aus?«

      »Ja – ja«, er­wi­der­te die Alte, »das ist die Stre­ber.«

      »Rosa Herz, Mut­ter – Herz –« ver­bes­ser­te Fräu­lein Schank, die wie­der ihre schar­fe Art fand.

      »Gute Toch­ter«, ent­geg­ne­te die Alte und ver­zog höh­nisch die Un­ter­lip­pe, »ich weiß ja, dass der Stre­ber weg­lief. Als ob ich das nicht wüss­te!«

      Fräu­lein Schank zuck­te die Ach­seln, sie woll­te ihre Mut­ter lie­ber

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