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–« Er warf sei­nen Hut fort und eil­te zur Türe. Ag­nes hielt ihn je­doch mit ei­nem kur­z­en »Ge­hen Sie bes­ser nicht« zu­rück. Herr Herz blieb ste­hen, pro­tes­tier­te: »Wa­rum nicht?« Was wa­ren das für neue Ein­rich­tun­gen. Er muss­te Rosa be­rich­ten, was die Schank ge­sagt hat­te; aber wäh­rend er so vor sich hin­zank­te, ward ihm un­be­hag­lich zu­mut. Ag­nes sah so fei­er­lich aus – wisch­te eif­rig und un­nah­bar den Staub von der Kom­mo­de – und mach­te ihr erns­tes Ge­sicht, zog den Mund aus­ein­an­der, so dass an den Mund­win­keln große Fal­ten ent­stan­den; eine Mie­ne, die sie nur dann auf­setz­te, wenn sie Kopf­weh hat­te oder wenn et­was vor­ge­fal­len war.

      »Was ist denn ge­sche­hen?« frag­te Herr Herz plötz­lich.

      »We­gen der Rei­se«, ver­setz­te Ag­nes, »brau­chen Sie der Rosa nichts zu sa­gen. Jetzt kann sie nicht rei­sen.«

      »Nicht?« Herr Herz stand mit­ten im Zim­mer und mach­te ein sehr ver­wirr­tes Ge­sicht.

      »Nein«, fuhr Ag­nes fort, has­tig die Plat­te der Kom­mo­de rei­bend: »Wir ha­ben ge­dacht, sie soll nach Ti­glau – – für ei­ni­ge Zeit – – zu mei­ner Schwes­ter. Wenn auch nicht gleich – –« Sie bog den Kopf zur Sei­te, um zu se­hen, ob die Po­li­tur nicht einen Fle­cken be­hielt.

      »Nach Ti­glau, sagst du?« Herr Herz ver­stand nicht, was vor­ging. »So? – Du meinst der Land­luft we­gen – was?« Ag­nes zuck­te die Ach­seln und ord­ne­te die Bän­de der il­lus­trier­ten Zeit­schrift. »Was? – So sprich doch –« wie­der­hol­te Herr Herz lei­se und drin­gend. Da wand­te sich Ag­nes ihm zu und sag­te lang­sam: »Nach Ti­glau – muss sie; zu mei­ner Schwes­ter – Böhk.«

      »Zu dei­ner Schwes­ter Böhk«, sprach er ihr sin­nend nach. – »Nach Ti­glau – ja – ja –« Und als er auf­schau­te, be­geg­ne­te er den fest auf ihn ge­rich­te­ten Bli­cken sei­ner al­ten Die­ne­rin. Sie sa­hen sich schwei­gend an. Herr Herz er­rö­te­te, um gleich wie­der ganz bleich zu wer­den. Ag­nes wand­te sich ih­rer Ar­beit zu. Sie wuss­te es: jetzt hat­te er ver­stan­den.

      Der Bal­let­tän­zer stand noch eine Wei­le re­gungs­los mit­ten im Zim­mer, dann ging er mit zit­tern­den Bei­nen zum Schrank, um sei­nen Hut ein­zu­schlie­ßen, wie er es stets tat. »Also nach Ti­glau! So – so«, mur­mel­te er, »je nun! – Das geht –« me­cha­nisch, in gleich­gül­ti­gem Ton hin­ge­wor­fe­ne Wor­te, die er selbst nicht hör­te. Er setz­te sich, schlug die Bei­ne über­ein­an­der, steck­te die Hän­de un­ter das Knie.

      Als Ag­nes das Zim­mer ver­las­sen woll­te, schau­te sie sich nach ih­rem Herrn um und fand, dass er selt­sam ver­fal­len und grau da­saß. »Sie soll­ten ein we­nig an die Luft ge­hen«, warf sie hin. »An die Luft«, ant­wor­te­te er. »Ja, das kann nichts scha­den.« Ag­nes half ihm den Über­rock an­zie­hen, reich­te ihm den Hut, wäh­rend er im­mer halb­laut wie­der­hol­te: »Ja, das kann nichts scha­den!«

      Im Stadt­gar­ten kam ihm der Dok­tor ent­ge­gen und rief ihn an: »Hal­lo – Herz! Was lau­fen Sie denn da her­um!« – »Ich ma­che mir Be­we­gung«, ant­wor­te­te Herr Herz. Ja, er mach­te sich sehr hef­tig Be­we­gung! Den Hut im Na­cken, den Über­rock of­fen, ging er mit Fie­ber­hast die Kies­we­ge auf und ab. Die grei­sen Au­gen­brau­en zuck­ten, und er sprach eif­rig mit sich selbst: »Nein, das habe ich nicht er­war­tet – das nicht! Ich mein­te, das Schlimms­te sei vor­über, nun kommt so et­was! Jahr um Jahr hat man ge­ar­bei­tet, um dem Kin­de eine Zu­kunft zu ver­schaf­fen – und al­les um­sonst!«

      Die Schan­de, das Elend, die er als Ko­mö­di­ant hin­un­ter­ge­würgt hat­te, sie ka­men, wie eine böse Krank­heit, bei sei­nem Kin­de wie­der zum Vor­schein. Rosa muss­te es bü­ßen, dass er – Herz – nicht von je­her ein or­dent­li­cher Bür­ger ge­we­sen war. – Zu­wei­len blieb er ste­hen, stemm­te einen Arm in die Sei­te – ver­such­te sich wie­der zu den leicht­fer­ti­gen Bal­let­tän­zer­an­schau­un­gen zu über­re­den: Was ist da­bei? Kann­te denn je­mand all die Ge­schich­ten, die Zer­li­ne aus­ge­führt hat­te? Ach, was die Leu­te nicht se­hen…! Und den­noch – den­noch – es war schreck­lich! Was soll­te er Rosa sa­gen. Er zürn­te ihr und war es doch so un­ge­wohnt, ihr zu zür­nen.

      Da­heim aber schmolz al­ler Zorn im über­großen Mit­leid da­hin vor der blas­sen Ge­stalt sei­ner Toch­ter. Rosa schau­te ih­rem Va­ter mit großen, angst­vol­len Au­gen ent­ge­gen und war­te­te, was er sa­gen wür­de. – Er je­doch ver­moch­te nichts zu sa­gen; beim ers­ten Wort wä­ren die Trä­nen ge­kom­men. Er küss­te Rosa auf den Schei­tel – strei­chel­te sanft ih­ren Arm.

      »Ar­mer Papa«, sag­te Rosa, ohne die Lieb­ko­sun­gen zu er­wi­dern, in­dem sie ru­hig sit­zen­blieb, die Hän­de im Schoß ge­fal­tet.

      »Lass es gut sein«, ver­setz­te Herr Herz mit be­ben­der Stim­me.

      »Habt ihr schon ge­ges­sen?«

      »Nein, Ag­nes war­tet.«

      Für die Fa­mi­lie Herz kam jetzt eine Zeit trü­ben, sel­ten un­ter­bro­che­nen Schwei­gens. Selbst Ag­nes fand nichts mehr zu sa­gen – von Ti­glau durf­te nicht ge­spro­chen wer­den. In den Zim­mern, die von der Ok­t­ober­son­ne mit nüch­ter­ner Klar­heit er­füllt wur­den, gin­gen die drei be­küm­mer­ten Men­schen still und in sich ge­kehrt ne­ben­ein­an­der her, und über einen je­den von ih­nen kam oft ein tie­fes Sin­nen, das ihn auf den Fleck, auf dem er stand, die Hand an der Ar­beit, die er eben ver­rich­te­te, fest­bann­te.

      Rosa emp­fand an­fangs nur un­nenn­ba­res Stau­nen, das war nicht mög­lich! An so et­was hat­te sie nie ge­dacht. Es war zu un­ge­heu­er­lich und er­reg­te in ihr eine un­kla­re, un­gläu­bi­ge Furcht. Zwar, in den Ro­ma­nen, von de­nen Fräu­lein Schank sag­te, dass sie Gift für je­des jun­ge Mäd­chen sei­en, da pfleg­te wohl ein ar­mes, blei­ches Weib mit ei­nem Kin­de vor dem vor­neh­men jun­gen Mann zu er­schei­nen, der ge­ra­de mit sei­ner Braut spa­zie­ren­geht. Also – so et­was war’s, was ihr be­geg­ne­te. Ein großes Un­glück, na­tür­lich! Sie stand aber in ih­rer kin­di­schen Un­be­hol­fen­heit da­vor und ver­such­te es sich da­durch klarzu­ma­chen, dass sie an die heim­lich ge­le­se­nen Ro­ma­ne dach­te.

      Ag­nes hat­te ihr an je­nem Mor­gen, sehr er­schro­cken, sehr er­regt, aber klar und bar ge­sagt: »Lie­bes Kind, mit dir steht es so und so.« Gut, es war ent­setz­lich! Den­noch hät­te Rosa gern mehr dar­über er­fah­ren. End­lich – ei­nes mor­gens – trat sie, tief er­rö­tend, zu Ag­nes in die Kü­che, schloss die Türe hin­ter sich und ver­an­lass­te ein lan­ges, halb­laut ge­führ­tes Ge­spräch, das ihr vie­les klar­mach­te.

      Wun­der­bar blieb es im­mer­hin!

      Stun­den­lang saß sie in ih­rer Kam­mer, sah den röt­li­chen Zwei­gen der Kas­ta­nie zu, wie sie sich sach­te auf dem Hin­ter­grun­de des hart­blau­en Him­mels hin und her wieg­ten, und dach­te nach: Also – ganz ein­fach – einen Men­schen soll­te sie zur Welt brin­gen, ein We­sen wie sie selbst, wie jene dort un­ten, de­ren Schrit­te zu ihr her­auf­tön­ten; nur dass die­ses We­sen ihr ge­hö­ren wür­de – ganz ihr, nicht wahr? So gut wie ihre Steck­na­deln und ihr Fin­ger­hut? Selt­sam! Und die­ses Ei­gen­tum wird es­sen und trin­ken und lie­ben und un­glück­lich sein wie sie – wie Am­bro­si­us –? Nein – schlecht und un­glück­lich soll­te es nicht wer­den! Es? – Was? – Wer war das? Ro­sas ar­mes Mäd­chen­hirn stand rat­los vor den großen Fra­gen des Le­bens. Sie schau­er­te in sich zu­sam­men. Sie fürch­te­te sich

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