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      Seufzend und mit verzweifelter Miene nahm er auf dem Besucherstuhl neben dem Bett Platz, um die schlafende Geliebte zu beobachten. Da erst fiel ihm auf, dass er nach wie vor den Strauß dunkelroter langstieliger Edelrosen in der Hand hielt, den er ihr mitgebracht hatte, nachdem gestern das alte Gebinde mit den bunten Gerberas, die sie auch besonders liebte, zu welken begonnen hatte.

      Ratlos schaute er sich in dem Einzelzimmer nach einer Vase um. Da hörte er hinter sich die Tür klappen und er konnte Schwester Hildegards Stimme vernehmen:

      »Ich stelle Ihren wunderschönen Rosenstrauß ins Wasser. Geben Sie nur her! Die Gerberas sind nicht mehr frisch und gehören ausgetauscht!«

      Er bedankte sich und schlug auch das Angebot von Kaffee und einem Stück Apfelkuchen nicht aus. Kuchen in jeder Form nahm er stets gerne an.

      Auf der Station wussten mittlerweile alle, dass er mindestens zwei Stunden am Bett der Verletzten ausharren würde, ehe er sich mit einem Kuss von seiner Liebsten verabschiedete – und ein weiteres Mal niedergeschlagen den Heimweg anträte.

      Den Aufenthalt in der Klinik teilte er sich stets so ein, dass er während der nachmittäglichen Visite anwesend sein konnte. Bisher waren die Auskünfte der Ärzte für seinen Geschmack sehr hinhaltend ausgefallen – kein gutes Zeichen nach seiner

      Ansicht.

      Natürlich verstand er, dass kein verantwortungsvoller Mediziner es sich leisten konnte, vorschnelle Prognosen in Bezug auf Heilungschancen abzugeben. Festnageln ließen sich die Ärzte nicht gerne.

      »Aber allmählich sollten die Weißkittel schon zu Potte kommen«, überlegte er zum hundertsten Mal. ‚In zwei Tagen werden es drei Wochen sein, dass mein Liebling den ­tragischen Unfall hatte. Und die ­Verschlechterung nach der minimalen Besserung ist auch bereits vor beinah vierzehn Tagen eingetreten! Allmählich wäre es an der Zeit, eine etwas genauere Vorhersage abzugeben!«

      *

      Die junge Lernschwester Veronika hatte längst das Tablett mit dem Kaffeegeschirr abgeholt. Der gebeugte Mann kauerte immer noch neben dem Bett seiner Geliebten. Eine ihrer Hände hielt er seit etwa einer Stunde in der seinen, um sie hin und wieder leicht zu drücken.

      Die Hoffnung, irgendwann einen leisen Gegendruck von ihr zu spüren, als Indiz ihrer Wahrnehmung, hatte sich bisher leider noch nicht erfüllt. Er würde jedoch hartnäckig bleiben und es immer wieder aufs Neue versuchen – solange, bis sie endlich ein Zeichen von sich gab, das ihm bewies, dass sie noch einen Funken Erinnerung an ihn und ihre gemeinsame Zeit besaß …

      Er wünschte sich doch nur, dass sie ihn anschaute mit Augen, die ihn erkannten und als ihren Geliebten annahmen und dass sie ihn fragte, wann er sie wieder nach Hause nehmen dürfe.

      *

      »Ich bin wahnsinnig stolz auf dich, Tantchen! Wer dich so sieht, käme niemals auf den Gedanken, du hättest vor kurzem einen Schlag erlitten! Wenn du so weitermachst, wirst du im Winter wieder Skifahren gehen!«

      Beide setzten sich an einen schattigen leeren Tisch vor dem Chinesischen Turm.

      Claudia Ritter wehrte lächelnd ab. »Wir wollen mal nicht übertreiben. Ich glaube, ich darf froh sein, wenn ich an Silvester wieder tanzen kann! Das ist mir wichtiger als der Wintersport.«

      Maja horchte auf.

      »Oh! Das klingt ja nach einem Partner, der mit dir das Tanzbein schwingen möchte! Habe ich da vielleicht etwas verpasst? Oder ist die Bekanntschaft erst neueren Datums?«

      »Ganz neuen, meine Liebe!«, gestand Claudia und wurde sogar ein bisschen rot. »Es lässt sich noch nicht allzu viel dazu sagen, aber ich hoffe und glaube, es könnte sich mehr daraus entwickeln!«

      »Wer ist denn der große Unbekannte? Erzähl’ mir von ihm!«

      Maja brannte vor Neugierde. Claudia hatte nach dem Tod ihres Ehemanns so viele Jahre allein verbracht, dass ihr Maja eine neue Liebesbeziehung von Herzen gönnte. Leider erschien in diesem Augenblick eine freundliche Bedienung an ihrem Tisch, um sich nach den Wünschen der beiden Damen zu erkundigen.

      Es handelte sich um eine rundliche ältere Frau in einem leichten, ziemlich weit ausgeschnittenen Sommerdirndl mit weißer Spitzenbluse und einer passenden Schürze. Maja platzte heraus: »Ja, sowas! Sie kenne ich doch von früher! Immer wenn ich vor zwanzig Jahren mit meinen Eltern zum Chinesischen Turm gekommen bin, da waren Sie schon hier und haben uns bedient!«

      Die Kellnerin lachte. »Das ist sehr gut möglich! Ich arbeite nämlich schon seit dreißig Jahren im Englischen Garten und fünfundzwanzig davon beim Chinesischen Turm!«

      »Worauf hast du Lust, Schätzchen?« erkundigte sich Claudia bei ihrer Nichte. »Süß oder sauer? Du bist natürlich eingeladen!«

      Die junge Frau schaute sich um. Eine ganze Reihe von Besuchern saß noch vor ihrem Mittagessen, obwohl längst Kaffeezeit war.

      »Es gibt noch warmes Essen«, ermunterte sie die Bedienung und Maja verspürte plötzlich einen wahnsinnigen Hunger. »Ich glaube, ich nehme einen Schweinebraten mit Knödel und Weißkrautsalat«, sagte sie spontan.

      »Dem schließe ich mich gerne an«, entschied sich Tante Claudia. »Die Portion beim Nachbarn drüben am Nebentisch schaut doch zu verlockend aus! Diese braune, knusprig gebratene Schwarte, mmh!«

      »Ja, man glaubt direkt, die Kruste beim Reinbeißen krachen zu hören!« Maja grinste. »Vom Diäthalten hältst du wohl nichts mehr, Tantchen?«

      »Ach was, Diät!« Die Bedienung machte eine verächtliche Handbewegung. »Man sollt’ immer das essen, was einem schmeckt! Also, zweimal Schweinsbraten für die Damen! Und was trink’ ma dazu?«

      »Zwei Weizenbier alkoholfrei?«, schlug Maja vor. Und so machten sie es auch.

      Kaum war die Kellnerin in Richtung Restaurantküche verschwunden, kam Maja allerdings sogleich auf das vorige, total spannende Thema zurück.

      »Du wolltest mir doch was von einem Mann erzählen, den du neulich kennengelernt hast!«, erinnerte sie ihre Verwandte, die insgeheim gehofft hatte, ihre Nichte hätte es vergessen.

      »Nun, er ist Anfang fünfzig, zwei Jahre älter als ich, geschieden, hat eine erwachsene Tochter, die noch studiert und bei ihm lebt und er ist Arzt in einer Münchner Klinik.«

      »Was macht seine Ex?«, erkundigte Maja sich sofort. Sie hatte eine Kollegin in ähnlicher Lage wie ihre Tante. Dieser machte die seit Jahren schon getrennt lebende Exfrau das Leben allerdings zur Hölle, weil sie ihren ehemaligen Mann einfach nicht loslassen konnte. Er selber schien ein Weichei und unfähig zu sein, seine Ehemalige endgültig in die Wüste zu schicken und unter seine gescheiterte Ehe einen Schlussstrich zu ziehen – zu Lasten seiner neuen Gefährtin.

      »Die Exfrau lebt wieder in Amerika, wo sie auch geboren und aufgewachsen ist. Sie hat längst wieder geheiratet und kümmert sich auch nicht besonders um ihre Tochter, die damals nach der Scheidung ihrem Mann zugesprochen worden ist!«

      »Klingt soweit recht gut!«

      Maja hörte sich an, als sei sie langjährige Eheberaterin und das brachte Claudia Ritter zum Lachen.

      »Wer weiß«, meinte sie nach einer Weile des Nachdenkens, »womöglich könnten wir zwei irgendwann eine Doppelhochzeit feiern? Bei dir und Bernd wäre es auch nicht mehr allzu früh, wenn ihr mal zu einer Entscheidung kämt! Auch ihr Turteltäubchen werdet nicht jünger – und falls ihr mal Kinder haben wollt …« Das Ende des Satzes ließ die Tante offen.

      »Du meinst, wir sollten heiraten?«

      »Na, hör mal! Findest du den Gedanken etwa so absurd? Ihr seid schon ewig zusammen! Die meisten Bekannten glauben mittlerweile, ihr wärt schon längst heimlich auf dem Standesamt gewesen. Oder«, und jetzt kniff die Ältere die Augen zusammen und beäugte ihre Nichte misstrauisch, »stimmt’s bei euch nimmer? Habt ihr euch etwa zerstritten?«

      Maja erinnerte sich an die unangenehme Auseinandersetzung, die sie mit Bernd wegen ihres spontanen Urlaubsabruchs

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