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nur ein paar Schritte bis zum Schwabinger Elisabethplatz, wo am Vormittag regelmäßig Markt abgehalten wurde. Nach dem Mittagsläuten wurde nichts mehr verkauft. Ein paar Händler und Gemüsefrauen waren noch dabei, die letzten Aufräumarbeiten zu erledigen, den Gehsteig zu fegen, das restliche Obst und Gemüse einzupacken, in den Anhängern ihrer Lieferwägen zu verstauen, sowie die Stände abzuschließen, um endlich wieder nach Hause zu fahren.

      Die Marktfrauen, die ihre nicht verkauften Salatköpfe und Gurken einpackten, schienen erfreut, Majas Tante wieder einmal zu Gesicht zu bekommen.

      »Grüß Gott, Frau Ritter! Auch wieder a’ mal da?«, schallte es den beiden entgegen. »Wo waren S’ denn so lang? Hab’ Sie scho’ ewig nimmer g’seh’n!« »War’n ma verreist, gell?«, wollte es eine der Frauen ganz genau wissen.

      »I’ hab’ g’hört, Sie waren krank! Stimmt das?«, erkundigte sich eine andere besorgt.

      Überhaupt gewann Maja den Eindruck, ihre Tante erfreue sich in dem Viertel, wo sie lebte, großer Beliebtheit. Auf der wirklich kurzen Strecke bis zu diesem Platz waren sie mindestens ein Dutzend Mal angehalten worden, um sich mit Bekannten und Geschäftsleuten zu unterhalten.

      Für die junge Lehrerin war es nicht sehr spannend, immer wieder fremden Menschen vorgestellt zu werden und sich x-mal Claudias Schilderung ihres Gesundheitszustands anzuhören. Dazu kam, dass sie sich selbst zunehmend unwohl fühlte. Es war ihr geradeso, als würde sie von irgendetwas (oder irgendwem?) fremdgesteuert. Und immer wieder hatte sie damit zu kämpfen, »bei der Sache zu bleiben« und nicht wieder abzuschweifen in Gefilde, in denen es für sie im Augenblick eigentlich unmöglich war, sich aufzuhalten.

      Aber natürlich ließ sie sich ihren Überdruss nicht anmerken. Schließlich ging es nicht um ihre Person, sondern es handelte sich um ihre Lieblingsverwandte, der sie die Abwechslung von Herzen gönnte und der man ansah, wie sehr sie die Anteilnahme der Menschen, die sie seit Jahren kannten und offenbar schätzten, ­genoss; bewies diese doch ihr Ansehen bei den Leuten. Insgeheim war Maja sogar mächtig stolz auf ihre Tante, die es kraft ihrer Persönlichkeit verstand, sich die Herzen aller, die mit ihr zu tun hatten, geneigt zu machen.

      Erst nach längerer Zeit schafften es beide Frauen, sich loszueisen und in die Franz-Joseph-Straße einzubiegen. Bis vor zur Leopoldstraße war es noch ein ganzes Stück für jemand, der am Stock ging und erst kürzlich einen Schlaganfall erlitten hatte.

      »Sag Bescheid, Tantchen, wenn es dir zu mühselig wird! Dann kehren wir einfach um!« Maja wollte unbedingt vermeiden, dass Claudia aus lauter Begeisterung den Bogen überspannte und sich zu viel zumutete.

      Claudia Ritter lachte bloß.

      »Aber, Kind! Wo denkst du denn hin? Ich hab’ doch erst ein paar Meter geschafft! Ich habe mir vorgenommen, mit dir zum »Englischen Garten« zu spazieren. Das ist schon seit Tagen mein größter Wunsch!«

      »Das ist ja großartig! Das freut mich, Claudia! Aber übernimm’ dich bitte nicht.«

      Während sie gemächlich die Straße entlang schlenderten, musste Maja unwillkürlich an Bernd denken. Auf einmal verspürte sie eine riesengroße Sehnsucht nach ihm. Wie gut ihr Verlobter doch aussah!

      Sein attraktives männliches Äußeres war ihr seinerzeit als erstes aufgefallen, als sie ihm in einer lauen Sommernacht anlässlich eines Open-air-Konzerts beim »Monopteros«, einem Aussichtsturm im Englischen Garten und Vorzugstreffpunkt junger Leute, begegnet war.

      Mit seiner Länge von einem Meter fünfundneunzig hatte er die meisten Leute überragt, aber es hatte ihr überhaupt nichts ausgemacht, dass sie mit ihren gerade mal ein Meter fünfundsechzig wahrhaftig zu ihm »aufschauen« hatte müssen …

      »Bernd ist treu und verlässlich, ein Typ zum Anlehnen, der einer Frau das Gefühl vermittelt, sie allezeit beschützen zu können«, überlegte sie und ein angenehm warmes Gefühl durchströmte sie.

      »Dass unsere gegenseitigen Liebesbezeigungen in letzter Zeit ein wenig nachgelassen haben, ist gewiss zum Teil auch meine eigene Schuld! Ich nehme manches inzwischen für selbstverständlich hin … Die weise Erkenntnis, dass sich um das zarte Pflänzchen Liebe immer beide zu kümmern haben, das habe auch ich mit den Jahren etwas vernachlässigt.

      »Ich werde mich bessern«, nahm Maja sich fest vor. »Bernd ist es wert, dass man ihn als etwas ganz Besonderes behandelt …«

      *

      Die auffallend modisch gekleidete und sorgfältig geschminkte junge Dame, welche pünktlich jeden Vormittag an Majas Krankenbett auftauchte, um dort eine Stunde zu verbringen, fiel dem Krankenhauspersonal und den Ärzten schon gar nicht mehr auf.

      Sie alle hatten sich an die Anwesenheit einer vermeintlich treuen Freundin, die es sich nicht nehmen ließ, persönlich und intensiv am Genesungsprozess einer Patientin teilzunehmen, gewöhnt. Es wäre eher aufgefallen, falls Tina es unterlassen hätte, einmal nicht zu erscheinen …

      Sie sprach zwar wenig mit dem Pflegepersonal – was hätte sie auch sagen sollen, ohne sich womöglich zu verraten? – aber insgeheim bewunderten eigentlich alle ihre Ausdauer.

      Lediglich Schwester Hildegard Pleitgen, eine handfeste Frau mit viel Erfahrung und dem untrüglichen Instinkt für menschliche Charaktere, hatte so ihre Zweifel, was die angebliche Anhänglichkeit der »treuen Besucherin« anbelangte. Ohne genau definieren zu können, was nun eigentlich geeignet war, sie stutzig zu machen, äußerte sie des Öfteren im Schwesternzimmer ihre Skepsis.

      »Ihr könnt mir sagen, was ihr wollt, meine Lieben«, sagte sie auch jetzt wieder zu ihren jüngeren Kolleginnen, die alle ganz gerührt waren, von Tina Maurers »selbstlosem Liebesdienst«, »ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass mit dieser angemalten Modepuppe was nicht stimmt!«

      Die übrigen Schwestern, die gerade ihre kurze übliche Kaffeepause absolvierten, lachten gutmütig. Hildegard war bekannt für ihre oft misstrauische Ader, die sie dazu brachte, gelegentlich als »Unke« oder »Schwarzseherin« aufzutreten, wenn alle anderen noch in den höchsten Tönen von irgendetwas oder jemandem schwärmten. Aber meistens lag sie richtig …

      »Was ihren Verlobten anbelangt, so glaube ich ihm seine ehrliche Betroffenheit! Der Mann ist wirklich am Boden zerstört und ihm nehme ich es ab, dass er die Patientin von Nummer 7 wirklich liebt! Bei ihm habe ich auch keineswegs dieses dumpfe Gefühl, dass er uns allen nur etwas vorspielen will; der Ärmste ist im Gegenteil tatsächlich mit seinen Nerven bald am Ende.

      Aber, wie gesagt, bei der angeblich »besten Freundin« von Frau Steinmetz spüre ich diese Empfindungen überhaupt nicht! Im Gegenteil! Sie erscheint mir weniger betroffen zu sein als es bei vielen Kolleginnen und sonstigen Bekannten der Patientin der Fall war, die bisher an ihrem Krankenbett aufgetaucht sind.

      Würde mich nicht wundern, falls sich am Ende noch rausstellt, dass die aufgestylte Modetante es gewesen ist, die das Opfer mit dem Auto angefahren hat und feig davon gefahren ist«, setzte Schwester Hildegard noch ganz leise eins drauf – aber erst, nachdem sich nur noch eine der jungen Lernschwestern im Gemeinschaftsraum des Pflegepersonals aufhielt.

      Das junge Ding machte große Augen und verschluckte sich beinah an einem Hefeteilchen, das sie sich jeden Tag aus der Kantine holte – um sich hinterher über die wachsenden Speckröllchen auf ihren Hüften zu beklagen.

      »Aber, Frau Pleitgen«, wollte sie anfangen zu protestieren, jedoch die Oberschwester winkte ab.

      »Schon gut, Schwester Veronika! Ich sag’ ja schon nichts mehr! War ja auch nur eine ganz vage Vermutung von mir und eine vermutlich sehr ungerechte noch dazu. Vergessen Sie’s!«

      Bei sich allerdings beschloss die resolute Person, auf die »treue Freundin« ab sofort ein ganz scharfes Auge zu haben. Ja, sie würde es sich zur Aufgabe machen, auch während der Besuchszeit dieser Modepuppe hin und wieder ganz unvermittelt und unter einem Vorwand ins Krankenzimmer hinein zu platzen, um dieser ja kein Gefühl zu vermitteln, sie könne ungestraft irgendetwas »unternehmen«.

      Wobei Hildegard Pleitgen allerdings nicht die leiseste Vorstellung davon hatte, wie so eine »Unternehmung« aussehen

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