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Hände ab und eilte die Treppe hinauf. Nachdem sie verschwunden war, wies Prudence die Köchin an: »Tee und ein wenig Gebäck, Agatha. Wir haben Besuch. Aber seien Sie nicht zu verschwenderisch mit allem.«

      Die Köchin sagte nichts, sie sparte sich ihren Kommentar auf, bis die Hausherrin ihr Reich verlassen hatte. Dann meinte sie ironisch zu Laura: »Vielleicht möchte der Besucher den Baumkuchen mit nach Hause nehmen und dort backen. Dann sparen wir das Reisig für den Ofen.«

      Das Küchenmädchen kicherte albern, Agatha bedeutete ihr, den Wasserkessel aufzusetzen und murmelte dabei: »Das werden die Herrschaften sich gewiss nicht gefallen lassen. Das arme Mädchen weiß noch nicht, was ihm blüht …«

      Heather war so aufgeregt, dass sie es kaum schaffte, sich umzuziehen. Als Prudence gegen ihre Zimmertür klopfte, rief sie fahrig: »Ich bin gleich fertig, nur noch einen Moment.«

      »Mach dir bloß keine falschen Hoffnungen«, bremste Prudence Heathers Enthusiasmus, während sie zusammen in die Halle gingen. »Ein junger Mann, der einfach so ins Haus kommt, ist ganz gewiss keine standesgemäße Partie für dich. Außerdem sind die Humberts indiskutabel.«

      »Aber, Tante Pru, ich wollte doch nur …«

      »Deine naiven Absichten sind nicht von Belang. Erinnere dich jetzt bitte an deine gute Erziehung und benimm dich wie eine Dame. Und eines sollte dir von vornherein klar sein: Der heutige Besuch wird der erste und letzte dieses Humbert sein.«

      Heather wagte nicht, ihr zu widersprechen, auch wenn sie ganz anders empfand. Dann aber stand Timothy vor ihr, küsste ihr galant die Hand und begrüßte sie mit warmer Herzlichkeit. Ihr Herz flog ihm zu, sie merkte aber auch, wie deplatziert er in diesem düsteren Zimmer war und wie lauernd ihre Verwandten ihn im Auge behielten. Sie schienen ihn tatsächlich nicht zu mögen, obwohl sie dies einfach nicht verstehen konnte. So fiel gleich ein Schatten über dieses Wiedersehen, das Heather im Stillen doch so sehr herbeigesehnt hatte.

      Timothy spürte ebenfalls die wenig freundliche Atmosphäre in Hanley-Hall. Ohne Heathers Anwesenheit hätte er dieses Haus ganz sicher nicht betreten. Seine Gastgeber wahrten nur oberflächlich den Schein der Freundlichkeit. Er fühlte sich ständig abtaxiert und belauert. Und er wurde das unangenehme Gefühl nicht los, dass er dabei gewogen und für zu leicht befunden wurde.

      Der junge Anwalt konzentrierte seine gesamte Aufmerksamkeit auf Heather. Sie blühte in seiner Nähe auf und er stellte beglückt fest, dass sie seinen Besuch ebenso genoss wie er das Wiedersehen mit ihr. Leider konnten sie nur oberflächlich plaudern, zudem mischte sich Reginald ständig in das Gespräch ein und seine Frau beendete den Besuch schließlich mit dem Hinweis auf Heathers häusliche Pflichten, die diese niemals vernachlässigen würde.

      »Melden Sie sich doch beim nächsten Mal an, dann werden wir etwas mehr Zeit miteinander verbringen können«, schlug Reginald begütigend vor.

      Der junge Mann versprach es. Beim Abschied tauschte er einen langen, ausdrucksvollen Blick mit Heather und mochte ihre schmale Hand dabei gar nicht loslassen.

      Als er auf seinem Rappen davon ritt, wurde dem jungen Mädchen das Herz sehr schwer. Doch das war nichts im Vergleich zu den Vorhaltungen, die nun folgen sollten. Prudence sagte mit leiser Stimme etwas zu ihrem Mann, der Heather bat, sich noch einmal zu setzen und ihm gut zuzuhören. Nun war nichts mehr von seiner aufgesetzten Freundlichkeit zu spüren. Seine Augen maßen das junge Mädchen kalt und sezierend, seine Stimme klang ebenso und was er sagte, das nahm Heather auf einen Schlag allen Mut.

      »Lass es dir nur nicht noch einmal einfallen, uns Fremde zu Haus zu schleppen, kleine Lady. Du hattest kein Recht, diesen jungen Mann einzuladen, denn du bist hier selbst nur Gast. Solltest du mit diesem Zustand unzufrieden sein und den Wunsch nach Veränderung verspüren, kannst du uns gerne jederzeit wieder verlassen. Bis zu deiner Volljährigkeit findet sich gewiss ein Platz im Mädchenheim in Plymouth. Allerdings ist nicht damit zu rechnen, dass du dort heimisch wirst.«

      »Aber ich … habe mir gar nichts dabei gedacht«, flüsterte das Mädchen verängstigt.

      »Deshalb wird es Zeit, einmal deutlich zu werden. In nächster Zeit wirst du dieses Haus nicht verlassen. Spaziergänge scheinen dir nicht gut zu bekommen. Und du wirst Timothy Humbert nicht wiedersehen, verstanden?«

      Heather nickte nur, sie brachte kein Wort mehr heraus. Reginald hatte sie so eingeschüchtert, dass sie mit den Tränen kämpfte. Schließlich stand sie ganz allein und hatte nicht die Mittel, für sich selbst zu sorgen. Wenn sie ihre Verwandten verärgerte, sah ihre Zukunft düster aus. Doch die Vorstellung, Timothy nicht mehr sehen zu dürfen, presste ihr das Herzblut ab.

      »Du solltest das, was Onkel Reginald gesagt hat, beherzigen, dann ist alles gut«, mischte sich Prudence nun begütigend ein. »Wir wollen schließlich nur dein Bestes, Kind. Du bist oft zu vertrauensselig deinen Mitmenschen gegenüber. Und mit den Humberts wollen wir aus berechtigten Gründen nichts zu tun haben. Ich hoffe, du hast das verstanden und wirst dich in Zukunft entsprechend verhalten. Dann kannst du auch gerne wieder spazieren gehen oder ausfahren.« Sie lächelte falsch. »Denn immerhin soll Hanley-Hall dein Daheim sein, kein Gefängnis.«

      Heather hätte gerne gefragt, was die Humberts sich denn zu Schulden hatten kommen lassen, doch sie wollte ihre Verwandten nicht wieder gegen sich aufbringen und schwieg deshalb lieber.

      Als sie am Abend noch eine Tasse Tee mit Agatha trank, erkundigte Heather sich bei der Köchin, zu der sie Zutrauen gefasst hatte, wieso ihre Verwandten die Nachbarn ablehnten.

      Agatha lächelte schmal. »Das ist durchaus eine gegenseitige Abneigung, Miss Heather. In früheren Zeiten waren die Familien sogar durch Heiraten verbunden. Aber dann geschah etwas und seither gibt es diese Feindschaft.«

      »Und was geschah?«

      Die Köchin machte ein ernstes Gesicht. »Es hat etwas mit der Geisterlady zu tun, glaube ich. Aber Genaueres weiß wohl niemand. Außerdem ist es besser, sich nicht mit solchen Dingen zu beschäftigen.«

      »Gibt es diese Geisterlady wirklich?«, fragte Heather mit einem heftigen Schaudern.

      »Ich habe sie nie gesehen und bete, dass es so bleibt. Aber es gibt Menschen, die ihr begegnet sind. Und die waren danach nie wieder die Alten. Lee Wilkins zum Beispiel, der Gastwirt in Callington. Er schwört, sie eines Abends gesehen zu haben. Es hat ihm einen regelrechten Schock versetzt. Oder Ted Tomkins, er war Torfstecher, hatte hier ganz in der Nähe ein kleines Häuschen und sang auch im Kirchenchor, war ein Christenmensch.«

      »Das Haus im Birkenhain? Ich habe es gesehen.«

      Agatha nickte bedächtig. Sie stammte aus der Gegend und kannte alle Menschen in diesem Landstrich. »Er hat immer über die Geschichten gelacht, die man sich über die Geisterlady erzählt. Dann ist er über Nacht verschwunden. Eine Weile später hat er mir einen Brief geschrieben und alles erklärt. Er hat die Geisterlady gesehen und wollte nie wieder hierher zurückkommen. Ich denke, das beantwortet Ihre Frage, Miss Heather, oder?«

      Sie nickte. »Aber was will diese Geisterlady?«

      »Das weiß niemand. Und wir können auch keinen fragen. Der Pastor sagt, an Geister zu glauben, ist eine Sünde. Deshalb denkt man besser nicht daran und bleibt daheim, wenn es dunkel wird. Dann kann einem auch nichts geschehen.«

      Heather wollte das gerne glauben, doch wenn sie an all die unheimlichen Träume dachte, die sie seit ihrem Umzug nach Dartmoor quälten, an die seltsamen Erscheinungen, dann ahnte sie, dass es in der Dunkelheit nirgends wirklichen Schutz gab vor der Geisterlady …

      *

      Lord Cyrus krauste nachdenklich die Stirn und beobachtete Timothy, der voller Unruhe im Raum auf und ab schritt. Sie befanden sich in der Bibliothek von Ivy Grove. Durch die bodentiefen, bleiverglasten Fenster hatte man einen weiten Blick in die Landschaft hinein, im Westen bis zu den Dächern von Callington, in entgegengesetzter Richtung bis zu den hohen Blutbuchen, hinter deren undurchdringlichen, ausladenden Kronen Hanley-Hall lag. Immer wieder blieb der junge Anwalt stehen und schaute nach Osten. Und dabei verriet seine Miene eine innere Anspannung, wie sein Onkel sie an ihm nicht kannte. Etwas schien seinen Neffen völlig

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