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wenig Ruhe und Hoffnung. So war es auch jetzt.

      Trotzdem konnte sie nicht begreifen, woher diese schrecklichen Träume kamen. Sicher, Timothy hatte am Nachmittag von der Geisterlady mit den zwei großen, schwarzen Hunden gesprochen. Da war es nicht verwunderlich, dass ihre Phantasie dieses Motiv aufgenommen und in einen Traum eingebaut hatte. Doch es war ja nicht das erste Mal, dass sie von der schrecklichen Erscheinung träumte. Schon in London war sie regelmäßig von ihr heimgesucht worden. Heather seufzte zittrig auf. Verlor sie den Verstand? Bildete sie sich Dinge ein, die … Ihre bedrückenden Gedanken zerfaserten, als sie unten im Park eine Bewegung wahrnahm. Jemand spazierte über den Kiesweg, eine schmale Gestalt. Und sie war nicht allein. Zu beiden Seiten der schemenhaften Person bewegten sich zwei große, schwarze Schatten, wie Hunde …

      Heather hatte das Gefühl, zu erstarren. Erschien ihr diese Geisterlady nicht nur im Traum, sondern jetzt auch noch im Wachzustand? Das war doch nicht möglich!

      In diesem Moment drehte die Person unten im Park den Kopf und blickte zu Heather hinauf. Diese hatte den Eindruck, dass die Unheimliche sie direkt anschaute. Sie meinte sogar, das schwache rote Glosen zu sehen, dort, wo die Augen waren …

      Heather stieß einen entsetzten Schrei aus und sprang mit einem Satz zurück in ihr Bett, das bedenklich ächzte und stöhnte, dann aber doch Stand hielt. Das junge Mädchen zog die Decke über den Kopf und presste die Augen fest zusammen. Heather wollte die schreckliche Gestalt nicht mehr sehen! Doch so sehr sie sich auch bemühte, vor ihrem geistigen Auge spazierte die Geisterlady weiter gelassen dahin, begleitet von ihren schwarzen Hunden wie das Fanal kommenden Unheils …

      *

      »Du willst sie tatsächlich besuchen? Junge, ich muss an deinem Verstand zweifeln.« Lord Cyrus kniff die Augen leicht zusammen, was er immer tat, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. »Oder ist dein Entschluss weniger vom Verstand als vom Gefühl geprägt? Dieses Mädchen scheint Eindruck auf dich gemacht zu haben …«

      Sein Neffe lächelte vielsagend. »Ich kann es nicht bestreiten. Heather ist ein zauberhaftes Geschöpf. Um sie wiederzusehen wage ich mich sozusagen in die Höhle des Löwen.«

      »Nicht schlecht formuliert. Sie hat diese Einladung ausgesprochen?«, erkundigte der Lord sich.

      Timothy nickte, woraufhin sein Onkel leise lachte. Und der junge Mann hatte dabei das unangenehme Gefühl, gerade ausgelacht zu werden. »Sie werden dich nicht ins Haus lassen, diese Hanleys«, prophezeite er seinem Neffen. »Die geizige Bohnenstange müsste eine Woche sparen, um die Tasse Tee, die du trinken könntest, zu verschmerzen. Und ihr Mann, dieser verschlagene Nichtsnutz …«

      »Onkel, ich bitte dich!« Der junge Anwalt schüttelte leicht verstimmt den Kopf. »Die Hanleys sind das notwendige Übel für mich. Sie müssen mich nicht mit offenen Armen empfangen, ich möchte ja nur Heather wiedersehen.«

      »Und eben das könnte zum Problem werden«, sinnierte der Lord. »Was man so hört, bringt sie kein Erbe mit, abgesehen von ihrer Schönheit. Ich wette, die werden diese Aasgeier gewinnbringend verscherbeln wollen. Ein liquider Bräutigam muss her. Und du, mein Junge, fällst leider nicht in diese Kategorie.«

      »Kann es nicht sein, dass dein Urteil über diese Leute von einer allzu starken Voreingenommenheit geprägt ist? Du magst die Hanleys nicht, deshalb traust du ihnen alles Schlechte zu.«

      »Und damit liege ich richtig, glaub mir. Trotzdem will ich dir den Tag nicht verderben, mein Junge. Falls es dir tatsächlich gelingen sollte, das zauberhafte Mädchen wiederzusehen, sollte mich das allerdings sehr wundern …«

      Als Timothy sich wenig später zu Pferde auf den Weg nach Hanley-Hall machte, hatte er noch die spöttischen Bemerkungen seines Onkels im Ohr. Doch er wollte sich nicht von vornherein entmutigen lassen, denn ihm lag wirklich viel daran, Heather an diesem schönen Frühlingstag zu besuchen.

      Das junge Mädchen hatte mit seinen Verwandten nicht über die Begegnung mit dem Nachbarn gesprochen. Heather spürte intuitiv, dass es besser war, dies zu verschweigen. Als Butler Simon dann die Ankunft Timothy Humberts meldete, reagierte Reginald entsprechend überrascht. Im Gegensatz zu seiner Frau hatte er allerdings nichts gegen Besuch und empfing den jungen Mann mit falscher Freundlichkeit. Im Grunde war er nur daran interessiert zu erfahren, was dieser im Schilde führte, denn er unterstellte jedem zunächst einmal unlautere Absichten.

      »Junger Mann, ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, behauptete er jovial. »Man sieht sich viel zu selten, Ihr von uns durchaus geschätzter Onkel macht sich gern rar, wie man sagt, nicht wahr?« Er lachte meckernd. »Es ist aber eine nette Geste von Ihnen, sich bei uns vorzustellen.«

      »Ich habe mich bereits mit Ihrer Nichte bekannt gemacht.«

      »So?« Reginalds tiefblaue Augen begannen, aufmerksam hinter seiner Brille zu funkeln. »Und wie ist das zugegangen, wenn ich fragen darf? Ich wusste davon nämlich bisher nichts.«

      »Nun, es ist schnell erzählt.« Der junge Anwalt blieb höflich, auch wenn sein Gegenüber ihm tatsächlich immer unsympathischer wurde. Die lauernde Art, hinter allem etwas zu vermuten, stieß ihn ab. »Auf meinem gestrigen Ausritt ist Heather mir durch Zufall begegnet. Wir kamen ins Gespräch, und sie lud mich ein, sie zu besuchen. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, Mister Hanley, denn ich möchte mich Ihnen natürlich nicht aufdrängen.«

      Der Hausherr hatte schnell geschaltet und gab sich nun wieder geschmeidig. »Sie drängen sich in keiner Weise auf, im Gegenteil. Unsere kleine Heather ist ja noch ein wenig fremd hier bei uns und vermisst Gesellschaft. Sie ist übrigens nicht meine Nichte, ihre Mutter und meine Gattin waren Kusinen. Sie sehen, die Verwandtschaft ist eher weitläufig. Doch wenn ein solch junges Menschenkind von einem derart schweren Schicksal ereilt ist, ist es selbstverständlich unsere Pflicht als gute Christenmenschen, ihr beizustehen. Ihre Eltern starben bei dem Schiffsunglück mit der Titanic.«

      »Heather sprach es an. Sie besitzt mein tiefes Mitgefühl.«

      »Ach ja? Sie scheinen sich länger unterhalten zu haben.«

      »Ich erwähnte nur die Kanzlei, in der ich in absehbarer Zeit als Anwalt tätig sein werde. Und wir stellten fest, dass ihr verstorbener Vater dort ebenso angestellt gewesen war.«

      Reginald nickte nur, sagte aber weiter nichts. Er klingelte dem Butler und wies ihn an, Tee und Gebäck zu servieren. »Und sagen Sie meiner Frau und Miss Heather, dass ich sie im Nachmittagszimmer erwarte. Wir haben Besuch.«

      Timothy wollte etwas einwenden, doch der Hausherr winkte ab.

      »Ihr Besuch hat mich daran erinnert, dass wir viel zu selten gesellschaftlichen Umgang pflegen. Sie sollen sich bei uns wohl fühlen, Mister Humbert. Und ich würde mich freuen, wenn Ihr heutiger Besuch nicht der letzte bei uns sein sollte …«

      Timothy lächelte säuerlich. Die Aussicht auf einen regen Besuchsverkehr mit dem Hanleys erschien ihm alles andere als erstrebenswert. Und er dachte erst gar nicht darüber nach, was sein Onkel dazu wohl sagen würde …

      »Kommen Sie, mein lieber Freund«, bat der Hausherr ihn mit unterwürfiger Freundlichkeit. »Gehen wir hinüber und warten auf die Damen. Heather wird entzückt sein, Sie zu sehen.«

      *

      Heather war gerade damit beschäftigt, einen Baumkuchen zu backen, als Prudence wie ein finsterer Racheengel in der Küche erschien und sie anfuhr: »Was fällt dir ein, dich einfach von wildfremden Männern ansprechen zu lassen? Wo bleibt deine gute Erziehung, Heather Somersby? Und diesen Fremden dann auch noch zu uns einzuladen, das ist wohl der Gipfel der Unverfrorenheit. Anders kann ich es nicht bezeichnen!«

      Das junge Mädchen fuhr erschrocken zurück und wurde blass. Gleich darauf stieg aber eine verdächtige Röte in Heathers Wangen, denn ihr wurde nun klar, was der Auftritt ihrer Verwandten zu bedeuten hatte: Timothy war da! Ihr Herz begann, unruhig zu klopfen und ein sehnsüchtiges Gefühl, das zugleich süß und schmerzlich war, erfüllte sie.

      »Ich weiß gar nicht …«, setzte sie verschüchtert an, wurde jedoch sogleich unterbrochen.

      »Zieh ein gutes Kleid an und ­beeile dich

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