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zu begründen. Schon vor der Brautnacht läßt er den Paris das Versprechen des Vaters erhalten, auch diesen dunkeln Schatten wollte er noch über die große Liebesscene werfen, und er wollte das einbrechende Verhängniß recht deutlich und gemeinverständlich erklären.

      Jetzt ist das Schicksal der Liebenden in die schwachen Hände des Pater Lorenzo gegeben. Bis dahin hat das Drama sorgfältig jedes Eindringen eines Zufalls ausgeschlossen, bis auf die kleinste Nebensache ist Alles aus den Charakteren und Situationen erklärt. Jetzt lastet bereits ein ungeheures Geschick auf zwei Unglücklichen: vergossenes Blut, tötliche Familienfeindschaft, die heimliche Ehe, die Verbannung, die neue Brautwerbung; das Alles drängt in der Empfindung den Hörer mit einem gewissen Zwange abwärts. Das Einführen kleiner erklärender Motive ist nicht mehr wirksam und nicht mehr nöthig. So darf jetzt die List des kopflosen und unpraktischen Paters durch einen Zufall scheitern. Denn die Empfindung, daß es verzweifelt und höchst vermessen war, eine Lebende den unberechenbaren Zufällen eines Schlaftrunks und Begrabens auszusetzen, ist im Hörer so lebendig geworden, daß derselbe jetzt bereits einen unglücklichen Fall als das Wahrscheinliche betrachtet.

      So wird die Katastrophe eingeleitet und begründet. Aber damit dem Hörer die Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang völlig schwinde, und damit die innere Nothwendigkeit des Untergangs noch im letzten Augenblick die Bedeutung der unvermeidlichen Zufälle in der Totengruft überwachse, muß Romeo noch vor der Gruft den Paris erschlagen.

      Der Tod dieses fremden Mannes ist das letzte Motiv für den traurigen Ausgang der Liebenden. Selbst wenn Julia jetzt im günstigen Augenblick erwachte, der Pfad der Liebenden ist so mit Blut überflossen, daß ihnen ein Glück und Leben sehr unwahrscheinlich geworden ist.

      Es war hier nur die Aufgabe, an wenigen Hauptsachen den Gegensatz zwischen innerer dramatischer Verbindung und epischem Bericht zu zeigen. Das Stück enthält noch eine Fülle anderer Motive und ist bis ins Kleinste hinab zweckvoll gefügt und durch feste Klammern verbunden.

      Die innere Einheit einer dramatischen Handlung wird aber nicht dadurch hervorgebracht, daß irgend eine Reihenfolge von Begebenheiten als Thaten und Leiden desselben Helden erscheint. Nie ist gegen ein großes Grundgesetz des dramatischen Schaffens öfter gefehlt worden als gegen dieses, auch von großen Dichtern. Und immer hat diese Mißachtung die Wirkungen auch genialer Kraft beeinträchtigt. Schon die Bühne der Athener litt darunter und schon Aristoteles suchte diesem Unrecht entgegen zu treten, indem er in seiner festen Weise aussprach: „die Handlung ist das Erste und Wichtigste, die Charaktere erst das Zweite” — und: „die Handlung wird nicht dadurch einig, daß sie um Einen geht.” — Vollends wir Neueren, welche am häufigsten durch das Reizvolle geschichtlicher Stoffe angezogen werden, haben dringende Veranlassung, an dem Satze festzuhalten, daß die Personalunion allein nicht genüge, die Begebenheiten in eine Einheit zu schließen.

      Noch immer geschieht es, daß ein Dichter unternimmt, das Leben eines heldenhaften Fürsten vorzuführen, wie dieser sich mit seinen Vasallen entzweit, mit seinen Nachbarn und der Kirche herumschlägt und versöhnt, zuletzt in einem solchen Kampfe untergeht; der Dichter vertheilt die Hauptmomente des historischen Lebens in die fünf Akte und drei Stunden eines Bühnendramas, setzt in Reden und Gegenreden politische Interessen und Parteistandpunkte auseinander, flicht wohl oder übel eine Liebesepisode ein, und meint das geschichtliche Bild in ein poetisches verwandelt zu haben. Er ist zuverlässig nur ein mattherziger Verderber der Geschichte, kein Priester seiner stolzen Göttin. Was er geschaffen, ist nicht Geschichte, nicht Drama. Denn er hat allerdings einigen Forderungen seiner Kunst nachgegeben, er hat wichtige Ereignisse weggelassen, die ihm nicht paßten, hat den Charakter des Helden sich einfach und kunstgemäß zugerichtet, ist mit kleiner und großer Zuthat nicht sparsam gewesen, hat auch dem verwickelten Zusammenhang der historischen Begebenheiten hier und da einen erfundenen untergeschoben. Aber er hat durch alles dies eine Gesammtwirkung erreicht, welche in gutem Falle ein schwacher Abglanz jener erhabenen Wirkung ist, die das Leben des Helden bei guter Darstellung durch den Historiker hervorgebracht hätte. Und sein Irrthum war, daß er die historische Idee an die Stelle der dramatischen gesetzt hat.

      Doch auch der Dichter, welcher würdiger von seiner Kunst denkt, ist vor geschichtlichen Stoffen in der Gefahr, eine falsche Einheit zu suchen. Der Geschichtschreiber hat ihn belehrt, daß die wechselnden Ereignisse des geschichtlichen Lebens oft durch Charaktereigenthümlichkeiten erklärt werden, welche Erfolge sichern, ein Verhängniß heraufbeschwören. Gewaltig und Staunen erregend ist die Wirkung, welche der innere Zusammenhang eines geschichtlichen Lebens hervorbringt. Durch solche Gewalt des Wirklichen bestimmt, sucht der Dichter den innern Zusammenhang der Begebenheiten in dem charakteristischen Grundzuge des Heldenlebens zusammenzufassen. Der Charakter des Helden wird ihm das letzte Motiv zur Begründung der verschiedenen Wechselfälle eines thatenreichen Daseins. Ein deutscher Fürst z. B., der bei großer Kraft und hochsinnigem Wesen durch jähe Heftigkeit in Kämpfe und Niederlagen getrieben wird, der in herzfressenden Demüthigungen, in der tiefsten Erniedrigung sein besseres Selbst wiederfindet, sich maßvoll erhebt, seinen hochfahrenden Stolz bändigt u. s. w., ein solcher Charakter mag an sich alle Eigenschaften eines dramatischen Helden haben, das allgemein Verständliche, Bedeutsame dringt vielleicht aus dem Zufälligen seines irdischen Daseins gewaltig hervor, auch das Geschick seines Lebens zeigt ein das menschliche Gemüth ergreifendes Verhältniß von Schuld und Strafe, er erscheint in der That als der hämmernde Schmied seines Glücks und Unglücks, Kern und Inhalt seines wirklichen Lebens mag einer poetischen Idee sehr ähnlich sein. Aber gerade vor solcher Aehnlichkeit soll der Dichter mißtrauisch anhalten. Er hat sich zunächst zu fragen, ob er denn Gewaltigeres und Wirksameres durch seine Kunst geben könne, als die Geschichte selbst bietet. Ja, ob er überhaupt in der Lage sei, durch die Mittel seiner Kunst auch nur einen Theil der Wirkungen herauszubilden, welche er in dem historischen Stoffe vorausfühlend bewundert. Allerdings, er vermag den Charakter seines Helden zu vertiefen. Was in der Seele Heinrich's IV. arbeitete, als er nach Canossa zog und im Büßerhemd an der Schloßmauer stand, ist Geheimniß des Dichters, der Historiker weiß darüber wenig zu erzählen. Und auf solche Momente eines wirklichen Lebens hat der Dichter ein unveräußerliches Recht. Aber Wesen und Wandlungen des historischen Helden vollziehen sich nicht vorzugsweise in Momenten der persönlichen Vereinsamung, und was den Dichter gelockt hat, war gerade ein heldenhaftes Wesen, dessen ureigenes Gefüge an verschiedenen Ereignissen sich darstellte. Nun sind diese Ereignisse, welche der Historiker berichtet, sehr zahlreich. Der Dichter wird sich auf wenige der wichtigsten beschränken müssen. Er wird diese wenigen umformen müssen, um die Bedeutung hineinzulegen, die in Wirklichkeit der Zug des ganzen Lebens hat. Mit Erstaunen wird er sehen, wie schwer das ist, und wie sein Held selbst dadurch kleiner und schwächer wird, daß seine historische Idee sich an so Wenigem vollendet. Aber auch in der Darstellung dieser ausgewählten Ereignisse ist der Dichter wieder unendlich ärmer als der Geschichtschreiber. Für jedes seiner Momente braucht er eine erklärende Einleitung, er muß die Hannos und Ottos, die Rudolfe und Heinriche dem Zuhörer vorstellen, er muß ihre Angelegenheiten bis zu gewissem Grade anziehend machen, er wird zwei-, dreimal im Stück anspannen und abwickeln, die Personen drängen und decken einander auf dem engen Raum, die aufschießende Theilnahme der Hörer wird immer wieder geknickt. Er wird mit Erstaunen die Erfahrung machen, daß Spannung des Hörers überhaupt nicht durch die Charaktere hervorgebracht wird, wie interessant diese sein mögen, sondern nur durch das Gefüge der Handlung. Und er wird im besten Fall nichts weiter erreichen, als eine und die andere groß ausgeführte Scene mit echtem dramatischen Leben, welche einzeln steht in einer Oede von skizzenhaften kurzen Andeutungen, von verstümmelter Historie, schwungloser Erfindung. Das ist das gewöhnliche Aussehen moderner historischer Dramen.

      Und wahrscheinlich ist der Dichter bei solcher Arbeit über zahlreiche schöne Stoffe, die in dem geschichtlichen Material lagen, hinweggefahren, ohne sie zu sehen. Ein ganzes politisches Menschenleben zu idealisiren, ist eine riesige Arbeit. Auch cyklische Dramen, Trilogie, Tetralogie mögen in den meisten Fällen dafür schwerlich genügen. Ein einziges historisches Moment vermag dem Dichter überreichen Stoff zu geben. Denn wie der Glaube da beginnt, wo das Wissen endet, so fängt die Poesie da an, wo die Geschichte aufhört. Was die Geschichte zu melden weiß, darf dem Dichter nichts sein als der Rahmen, in welchem er seine glänzenden Farben, die geheimsten Offenbarungen der Menschennatur hineinmalt; wie soll ihm

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