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      »Bei Kindern ist man vor Überraschungen nie gefeit, egal wie sehr man sie behütet. Und es ist doch alles wieder gut. Freuen Sie sich nicht darüber?«

      »Doch, natürlich. Aber ich habe einfach keine Kraft mehr für noch mehr Aufregung.«

      »Das Leben hat doch auch viele schöne Seiten.«

      »Das bestreite ich gar nicht.«

      »Ich bitte Sie, Frau Wolrab. Versuchen Sie es noch einmal. Mir zuliebe«, bat Daniel sie lächelnd.

      Sie sah ihn an. »Sie sind ein sehr guter Arzt. Ich werde darüber nachdenken. Und jetzt bin ich müde.«

      Daniel stand noch eine Weile an ihrem Bett. Helene hatte die Augen geschlossen. Schließlich verabschiedete er sich leise und verließ das Krankenzimmer.

      »Was ist mit dir, Daniel?« fragte Jenny, als sie ihn mit ernster Miene auf dem Krankenhausflur traf.

      »Ich mache mir Sorgen um Frau Wolrab. Sie macht einen sehr müden Eindruck. Hoffentlich geht ihr die Energie zum Weiterleben nicht aus.«

      »Was fehlt ihr denn?«

      »Sie hatte einen schweren Schock. Christina und Muriel von Berg wohnen bei ihr und sind eine zweite Familie für sie geworden. Das Verschwinden von Muriel hat sie sehr mitgenommen.«

      »Muriel sollte sie so schnell wie möglich besuchen und ihr neuen Lebensmut machen.«

      »Du hast recht. Ich werde noch heute mit Frau Thaler sprechen. Sie soll mit Muriel hierher kommen.«

      Nachdem er sich von Jenny verabschiedet hatte, betrat Daniel leise Christinas Zimmer. Sie hatte in einem Buch gelesen, das sie jetzt aufs Bett sinken ließ.

      »Hallo, Herr Dr. Norden. Sie sind ja ganz schön früh auf den Beinen.«

      »Ich muß mich doch nach meinen Sorgenkindern erkundigen«, lächelte er.

      »Ich bin kein Sorgenkind mehr. Gestern abend haben mich Lisa und Muriel besucht. Den beiden scheint es prächtig zu gehen. Das beruhigt mich sehr.«

      »Es ist sehr wichtig für Ihre Genesung, daß Sie positiv in die Zukunft schauen. Haben Sie etwas von Michael Kunert gehört?«

      »Stellen Sie sich vor, Lisa bekam gestern abend einen Anruf von seiner Frau. Sie hat erzählt, daß er sie angelogen hat und sie mir das Kind niemals wegnehmen wollte. Sie hat ihn rausgeworfen«, berichtete Christina vergnügt.

      »Dann droht Muriel von ihm keine Gefahr mehr?«

      »Ich denke nicht. Er ist froh, wenn er keine Verantwortung übernehmen muß.«

      Dann verdunkelte sich ihre Miene. Offenbar war ihr etwas Unangenehmes eingefallen.

      »Woran denken Sie?«

      »In der Nacht bevor ich operiert wurde, hatte ich einen schrecklichen Traum, in dem Muriel von Michael entführt wurde. Es klingt vielleicht lächerlich, aber ich hatte das Gefühl, gewarnt worden zu sein. In den ersten Tagen hier in der Klinik war ich sehr verzweifelt, daß ich mein Kind nicht beschützen konnte. Aber der Traum hat sich ja Gott sei Dank nicht bewahrheitet.«

      »Trotzdem ist es gut, auf seine innere Stimme zu hören«, stellte Daniel fest.

      Christina bemerkte den ernsten Unterton in seiner Stimme. »Ist etwas geschehen, wovon ich nichts weiß?« fragte sie überrascht.

      »Sie haben sich jetzt soweit erholt, daß Sie ein Recht auf die Wahrheit haben.«

      Christina erschrak. »Was ist passiert?«

      Daniel schilderte ihr die Vorkommnisse, die sich ein paar Tage zuvor zugetragen hatten. Er versäumte es auch nicht zu erwähnen, daß sich Helene Wolrab auch in der Klinik befand. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, wie er betonte.

      Christina lauschte mit angehaltenem Atem.

      »Der junge Mann, Anian Fürst heißt er, hat sich vorbildlich benommen. Ich habe es selten erlebt, daß sich ein Fremder so selbstlos eingesetzt hat, um ein Kind zu retten«, schloß Daniel seinen Bericht.

      »Und das alles haben Sie mir verschwiegen?«

      Christina konnte es nicht glauben.

      »Ihre Gesundheit ging vor.«

      »Dann war der Traum tatsächlich eine Warnung, und ich konnte nichts unternehmen.«

      »Statt dessen wurde Muriel ein rettender Engel geschickt, um es romantisch auszudrücken.«

      Eine zarte Röte war in Christinas Gesicht, als sie an Anian dachte, den sie so entschieden abgewiesen hatte. Vielleicht sollte sie in Zukunft doch mehr auf ihr Herz hören, und nicht nur dem Verstand folgen.

      »Wo ist Herr Fürst jetzt?« fragte sie leise.

      »Soviel ich weiß, ist er für zwei Wochen beruflich verreist. Ihre Freundin Lisa weiß mehr darüber.«

      Daniel erhob sich.

      »Eine Frage noch, Herr Dr. Norden. Kann ich Leni besuchen? Es tut mir so leid, daß die Ärmste wegen uns so leiden mußte.«

      »Vielleicht tut ihr ein Besuch ganz gut. Ehrlich gesagt mache ich mir ein bißchen Sorgen um sie. Aber sie ist eine starke Persönlichkeit.«

      »Gemeinsam schaffen wir es!« antwortete Christina inbrünstig.

      Ihr war auf einmal so leicht ums Herz, daß sie an nichts Negatives denken konnte.

      Kaum hatte Daniel das Zimmer verlassen, griff Christina nach dem Telefon, das neben dem Bett stand. Mit zitternden Händen wählte sie ihre eigene Nummer, um mit Lisa zu sprechen, die ja Urlaub hatte, um Muriel betreuen zu können.

      »Hier spricht Mami, hallo mein Mäuschen«, begrüßte sie ihre Tochter, die den Hörer abnahm.

      »Mami, wie geht’s dir?« rief Muriel freudig.

      »Prächtig. Ich glaub’, ich darf bald heimgehen. Und was machst du so?«

      »Ich bin wieder ganz gesund. Morgen darf ich in den Kindergarten gehen. Mir ist eh schon so langweilig.«

      »Das ist schön. Kann ich mal mit Lisa sprechen?«

      »Ja, klar. Wir besuchen dich heute noch. Tschüß!«

      Damit reichte Muriel den Hörer weiter. Lisa wußte nicht, was sie sagen sollte, als sie Christinas Stimme hörte.

      »Tini, ich muß dir was erklären«, stammelte sie.

      »Nicht nötig. Dr. Norden hat mir vorhin von eurem Abenteuer erzählt.«

      Erleichtert atmete Lisa auf. »Hoffentlich hast du dich nicht zu sehr aufgeregt.«

      »Es ist ja alles gut gegangen.«

      Sie zögerte.

      »Dank Anian«, setzte sie dann leise hinzu.

      »Er ist ein wahrer Schatz. Und Muriel hat ihn schon ins Herz geschlossen«, erzählte Lisa.

      »Warum ist er überhaupt zu uns gekommen?« forschte Christina nach.

      »Er wollte dir die Fotos bringen.«

      »So schnell?«

      »Als er hörte, daß du in der Klinik bist, hat er Muriel eines geschenkt. Ich bringe es nachher mit, es wird dir gefallen.«

      »Wo ist Anian jetzt? Ich bin nicht sehr freundlich zu ihm gewesen und möchte mich gern entschuldigen und bedanken.«

      »Das wird schlecht gehen. Er ist beruflich unterwegs.«

      »Hast du seine Handy-Nummer?«

      »Ja. Er hat sie dagelassen, damit Muriel mit ihm telefonieren kann.«

      »Die beiden scheinen sich wirklich zu mögen. Dabei ist Muriel nicht vertrauensselig«, meinte Christina erstaunt.

      »Die beiden haben einen Draht zueinander. Das sieht man sofort.

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